Nukleare Sicherheitskultur

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Ein Überblick

Störungen in einer kerntechnischen Anlage oder die Schnellabschaltung von Kernkraftwerken erwecken in der Öffentlichkeit den Eindruck der Anfälligkeit der Anlage und ihrer technischen Unsicherheit. Schnell fallen in Medien Begriffe wie Schlamperei und Schrottreaktor bevor überhaupt Ursache und Einzelheiten des Ereignisses bekannt sind. In großer Aufmachung erscheinen Meldungen über Ereignisse, die sich bei näherer Betrachtung als Bagatellen herausstellen. Die unsichere Ursachenlage zu Beginn eines Ereignisses nutzend und Angst in der Öffentlichkeit zu verbreiten, ist eine seit Jahren praktizierte Strategie von Kernenergiegegnern.

Warum, fragt man sich, kann es überhaupt zu Störungen oder gar zu Störfällen kommen, wo doch die deutschen Nuklearanlagen zu den weltweit sichersten Anlagen zählen sollen? Dazu ein Blick auf die nationale und auch internationale nukleare Sicherheitskultur.

Vorweg sei gesagt: Das Wirken und das Zusammenwirken aller auf dem Nuklearsektor tätigen Organisationen, mag für Außenstehende komplex erscheinen, hat sich im Sinne eines hohen Sicherheitsstandards seit Jahren bewährt und ist in dieser Art wohl in keinem anderen Industriezweig zu finden. Deutschland ist in vielen dieser Organisationen mitwirkend vertreten und unterhält darüber hinaus bilaterale nukleare Zusammenarbeitsabkommen mit führenden Staaten in der Nukleartechnologie (u.a. USA, Japan, Südkorea).

Nach den Vorschriften des Atomgesetzes darf der Betrieb einer Nuklearanlage z.B. eines Kernkraftwerkes nur dann genehmigt werden, wenn die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden getroffen ist. Dies ist eine der zentralen Anforderungen an die Sicherheit, die selbstverständlich internationale Erkenntnisse mit einbezieht. Im Fall der Kernkraftwerke werden die aktuellen Anforderungen in den „Sicherheitsanforderungen an Kernkraftwerke“ in der Fassung vom 20. November 2012 detailliert beschrieben. Eine weitere Spezifizierung erfolgt im kerntechnischen Regelwerk.

Denkbare technische Störungen und Ereignisse in und an der Nuklearanlage, die eine Gefährdung für Mensch und Umwelt darstellen können, werden nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik untersucht und bewertet. Bei der Genehmigungserteilung müssen gegen betrachtete Ereignisse (so genannte Auslegungsstörfälle) zuverlässig wirksame Maßnahmen getroffen werden, so dass vorgegebene Grenzwerte der Strahlenbelastung eingehalten werden können. Im kerntechnischen Regelwerk sind die Annahmen für solche Ereignisse und somit die Randbedingungen zur Auslegung der Anlage festgelegt. Sicherheitseinrichtungen müssen grundsätzlich mehrfach vorhanden sein (Redundanz). Die Anwendung unterschiedlich wirkender technischer Lösungen (Diversität) soll die Zuverlässigkeit der Sicherheitseinrichtungen zusätzlich erhöhen. Die Anforderungen an die Sicherheitseinrichtungen steigen mit dem Gefährdungsgrad eines untersuchten Störfalles. Hinter diesem nur mit knappen Worten formulierten Sicherheitskonzept steht ein extrem differenziertes Regelwerk, das auch die kleinsten „Winkel“ einer Anlage mit erfasst.

Bei Beachtung aller Vorschriften und Regelungen dürften – so die allgemeine Auffassung – keine Störungen und erst recht keine Störfälle auftreten. Doch eine stets und ständig störungsfreie Technik gibt es nicht! Selbst bei höchstem Sicherheitsaufwand ist das Versagen einer Armatur, einer Rohrleitung, einer Einrichtung, eines Schaltkreises oder selbst eines Bedienungsfehlers nicht auszuschließen. Das Versagen von Einrichtungen und Komponenten wird bereits in der Planungsphase einer Anlage experimentell untersucht, deterministisch und probabilistisch intensiv analysiert und den Ergebnissen entsprechend werden sicherheitstechnische Gegenmaßnahmen getroffen. Und zwar in der Weise, dass die Auswirkung eines Ereignisses auf das Innere der Anlage begrenzt bleibt, außerhalb der Anlage keine die Gesundheit gefährdenden Situationen auftreten, oder/und die Anlage selbstständig abschaltet beziehungsweise in einen sicheren Betriebszustand übergeht. Auch äußere Einwirkungen wie Hochwasser, Brände, Explosionen, Erdbeben sowie auch der Flugzeugabsturz auf eine Anlage sind Gegenstand der Analyse.

Die rechtliche Vorgabe, den Stand von Wissenschaft und Technik bei der Vorsorge gegen Schäden einzuhalten, verpflichtet das Bundesumweltministerium als der obersten Atomrechtsbehörde den internationalen Stand von Wissenschaft und Technik in den nationalen Sicherheitsanforderungen und im nuklearen Regelwerk permanent aktuell zu halten. Was wiederum zu einer regelmäßigen Überprüfung der Nuklearanlagen im Hinblick auf die Einhaltung internationaler Sicherheitsnormen führt.

Der Stand von Wissenschaft und Technik wird durch mehrere internationale Organisationen festgelegt. Durch die deutsche Mitwirkung in maßgeblichen internationalen Komitees und Arbeitsgruppen sind den deutschen Teilnehmern die sicherheitstechnischen Entwicklungen frühzeitig bekannt.

Das mit Abstand umfangreichste, sämtliche Gebiete der Nukleartechnik und des Strahlenschutzes betreffende Regelwerk wird von der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) mit dem Titel „Safety Standard Seriesherausgegeben. Es handelt sich hierbei um Empfehlungen, sind folglich für die Mitgliedsstaaten der IAEO nicht bindend. Andererseits aber bilden sie durch das internationale Einvernehmen über nukleare sicherheitstechnische Vorsorgemaßnahmen den Stand von Wissenschaft und Technik auf globaler Ebene. Also genau das, was das Atomgesetz verlangt. Sicherheitsüberprüfungen von Kernkraftwerken durch die OSART-Kommission (Operational Safety Review Team) werden im Übrigen auf der Grundlage der IAEO-Safety Standards durchgeführt.

Bindungswirkung übt zudem die bei der IAEO angesiedelte Convention on Nuclear Safety (CNS) aus, der Deutschland als Vertragspartei angehört. (Eine analoge Konvention gibt es auf dem nuklearen Entsorgungssektor.) Ein wesentliches Instrument dieser Konvention ist die im Abstand von drei Jahren stattfindende Überprüfungskonferenz, auf der alle Vertragsparteien einen detaillierten Bericht über den aktuellen Sicherheitsstand der Nuklearanlagen in ihrem Land vorlegen und sich der Aussprache über ihren Bericht stellen müssen. Die letzte (6.) Überprüfungskonferenz fand in der Zeit vom 24. März bis 4. April 2014 in Wien statt.

Innerhalb der Europäischen Union haben zwei Organisationen Einfluss auf den nuklearen Sicherheitsstandard. Zum einen die von der EU-Kommission installierte European Nuclear Safety Regulators Group (ENSREG), die mehr auf politischer Ebene agiert und auf mehr technischer Ebene die Western European Regulators Association (WENRA), ein Zusammenschluss der obersten Genehmigungsbehörden der EU-Staaten. Von ihr stammen „Reactor Safety Reference Levels“ aus dem Jahr 2008, „Safety of New NPP designs“ aus 2013 und Safety Reference Levels for Existing Reactors“ aus 2014. Ebenfalls Beiträge zu einer Vereinheitlichung eines hohen nuklearen Sicherheitsstandards in den EU-Staaten mit Kernenergienutzung.

Eine weitere Agentur, die sich mit der Nukleartechnologie und ihrer Sicherheit befasst, sollte nicht unerwähnt bleiben, die Nuclear Energy Agency (NEA), eine Untermenge der OECD, der Wirtschaftsvereinigung industrieller Staaten, zumal auch sie einem Beitrag zu einem weltweit hohen Sicherheitsstandard leistet.

Zum unmittelbaren Austausch von Erfahrungen mit dem Betrieb und mit technischen Entwicklungen von Kernkraftwerken gründeten die Anlagenbetreiber die World Association of Nuclear Operators (WANO)“ im Jahre 1989. Anlass war das Reaktorunglück von Tschernobyl.

 

Sollten trotz aller sicherheitstechnischen Vorkehrungen Unfälle, Störfälle oder sonstige für die kerntechnische Sicherheit bedeutsame Ereignisse auftreten, dann hat der Betreiber der Nuklearanlage nach der „Atomrechtlichen Sicherheitsbeauftragten- und Meldeverordnung“ (AtSMV) die Pflicht, die Ereignisse der Aufsichtsbehörde zu melden. Die AtSMV unterscheidet vier Meldekategorien, die sich hinsichtlich der Bedeutung des Ereignisses in den Meldefristen unterscheiden, von unverzüglich bis zehn Werktage. Die Öffentlichkeit wird u. a. über die Internetseite des Bundesamtes für Strahlenschutz regelmäßig informiert. Von der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) werden in der Datenbank „TRANS“ gemeldete nicht betriebsgerechte Anlagenzustände ohne Berücksichtigung ihrer unmittelbaren sicherheitstechnischen Bedeutung erfasst und ausgewertet (1).

Deutschland ist zudem als Mitgliedsstaat der IAEO verpflichtet, Zwischenfälle oder meldepflichtige Ereignisse ab der INES-Stufe 2 (Störfall) oder größer in Nuklearanlagen bei der IAEA zu melden. INES, „International Nuclear and Radiological Event Scale“, ist die Bewertungsskala der IAEO. Sie soll der Öffentlichkeit eine verständliche Auskunft darüber geben, welche Bedeutung ein meldepflichtiges Ereignis für die Sicherheit der Anlage hatte und inwieweit radiologische Auswirkungen auf die Bevölkerung und Umgebung auftraten. Die aktuellen INES-Meldungen werden auf der Homepage der IAEO veröffentlicht. Die Bewertungsskala ist in acht Stufen unterteilt. Die Stufe 0 für Ereignisse ohne oder mit geringer sicherheitstechnischer Bedeutung, die Stufen 1 bis 7 für Ereignisse mit wesentlicher sicherheitstechnischer Bedeutung (2,3).

In Deutschland ist es seit Jahren Praxis, auch nahezu unbedeutende Ereignisse zu melden, schon allein, um sich nicht den Vorwurf der Vertuschung auszusetzen. Dies führt zwangsläufig zu einer erheblichen Ereignisrate mit der unschönen Wirkung einer verunsicherten Öffentlichkeit über den Sicherheitszustand der kerntechnischen Anlage.