EVU können Entschädigungen einklagen – Atomgesetz in Teilen nicht verfassungskonform

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Zum besseren Verständnis des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 6.12.2016 ein kurzer Blick auf die Vorgeschichte:

In der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000 „respektieren die EVU die Entscheidung der Bundesregierung, die Stromerzeugung aus Kernenergie geordnet zu beenden.“

Für jede einzelne Anlage wird in der Vereinbarung festgelegt, welche Strommenge sie gerechnet ab dem 01.01.2000 bis zu ihrer Stilllegung maximal produzieren darf (Reststrommenge). Die Berechtigung zum Betrieb eines Kernkraftwerks (KKW) endet, wenn die vorgesehene bzw. durch Übertragung geänderte Strommenge für die jeweilige Anlage erreicht ist. Für jede Anlage wird auf der Grundlage einer Regellaufzeit von 32 Kalenderjahren ab Beginn des kommerziellen Leistungsbetriebs die ab dem 01.01.2000 noch verbleibende Restlaufzeit errechnet.

Auf der Grundlage der Vereinbarung beschloss der Bundestag am 14. 12. 2001 mit den Stimmen der rot-grünen Koalition das Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergie. Aufgrund der nunmehr gesetzlich verankerten Restlaufzeiten für die deutschen Reaktoren hätte das erste Kernkraftwerk voraussichtlich 2003 und das letzte 2021 vom Netz gehen müssen.

Bislang verfügten die KKW-Betreiber über eine unbefristete Betriebsgenehmigung ihrer Anlagen. In Ländern mit einer auf 40 Jahre befristeten Betriebsgenehmigung werden seit Jahren  Laufzeitverlängerungen auf 60 Jahre ausgesprochen.

Union und FDP, die gegen das Gesetz stimmten, kündigten erneut an, den Atomausstieg im Falle eines Wahlsiegs wieder rückgängig zu machen. Sie halten Wort – zunächst. Mit der 11. Novelle des Atomgesetzes revidierte die Bundesregierung aus Union und FDP den Atomausstieg. Die sieben Kernkraftwerke, die bis 1980 gebaut wurden, dürfen demnach acht Jahre länger am Netz bleiben. Für die zehn neueren Reaktoren beträgt die Laufzeitverlängerung 14 Jahre. Die einzelnen Kernkraftwerke erhalten ihrer durchschnittlichen Jahreserzeugung entsprechende zusätzliche Reststrommengen, die im Gesetz ausgewiesen sind. Wie lange die einzelnen Anlagen tatsächlich am Netz bleiben, hängt einerseits von der Abarbeitung der erhöhten Reststrommengen ab, andererseits wird den Betreibern zugestanden, nicht verbrauchte Reststrommengen älterer Anlagen auf  neuere Anlagen zu übertragen, wodurch deren Betriebsdauer an 40 Jahre heranreicht.

Das eindeutige Bekenntnis der schwarz-gelben Bundesregierung zur Notwendigkeit der Kernenergienutzung aus Gründen der Versorgungssicherheit, der Wirtschaftlichkeit und des Umweltschutzes sowie als „Brückentechnologie“ im Rahmen des Energiekonzeptes der Bundesregierung wurde mit dem am 11.3.2011 durch einen Tsunami ausgelösten Reaktorunfall in Fukushima  quasi „über Nacht über Bord“ geworfen. Unter dem Eindruck der Unfallauswirkungen beschloss die Bundesregierung bereits drei Tage später am 14. März eine auf drei Monate befristete Abschaltung der sieben ältesten KKW sowie eine Sicherheitsüberprüfung aller Kernkraftwerke. Als rechtliche Grundlage nannte  sie § 19 Abs.3 des Atomgesetzes, der die Aufsichtsbehörden in sehr allgemeiner Form zur Ergreifung von “Schutzmaßnahmen” ermächtigt.

Es ist müßig darüber zu spekulieren, ob dieses dreimonatige Moratorium zunächst nur  wahltaktischen Überlegungen beider Bundesregierungsfraktionen CDU/CSU und FDP zuzuschreiben ist, um abzuwarten, bis sich die Erregung über den Unfall gelegt hat oder ob das Votum (30. Mai 2011) der von der Bundeskanzlerin eingesetzten Ethikkommission „Sichere Energieversorgung“ oder gar, ob die für CDU und FDP verheerende Wahlniederlage in Baden-Württemberg zur nunmehr endgültigen Abkehr von der Kernenergie bewogen hat, am 17. März erklärte die Bundeskanzlerin, dass durch diesen Unfall eine „veränderte Lage“ entstanden sei, die zum Handeln zwinge.

Mit der am 31.7.2011 veröffentlichten 13. Novelle des Atomgesetzes wurde nicht nur die bis dahin vorläufige dreimonatige Abschaltung der unmittelbar nach dem Unfall stillgelegten acht KKW endgültig besiegelt, sondern es wurden zudem den EVU feste  Abschaltzeiten für jedes der verbleibenden neun KKW auferlegt, wobei zugleich die enorme Aufstockung der Reststrommengen wieder einkassiert wurde. Die jetzt im Gesetz aufgeführten Reststrommengen der einzelnen KKW entsprachen genau wieder den Mengen, auf die sich die KKW-Betreiber und die rot-grüne Bundesregierung im Juni 2000 geeinigt hatten.

Das 13. Atomgesetz brachte – und das ist der Knackpunkt – eine deutliche Verschärfung gegenüber der Vereinbarung vom Juni 2000: Die bisher mengenmäßig begrenzten Laufzeiten wurden nunmehr durch feste Abschaltzeiten ersetzt, unabhängig davon, ob die bereits mit den EVU vereinbarten und im 11. Atomgesetz definierten Mengen tatsächlich produziert werden konnten oder nicht. Eine weitere Verschärfung ist die Rücknahme der erst wenige Monate zuvor beschlossenen zusätzlichen Strommengen, die eine Laufzeitverlängerung von bis zu 14 weiteren Jahresleistungen bedeutet hätte.

Nach Rechtsauffassung der EVU – Eon, RWE, Vattenfall – ist die 13. Atomrechtsnovelle nicht verfassungskonform. Sie legten Verfassungsbeschwerde ein. Das vierte EVU, die Energie Baden-Württemberg (EnBW) verzichtete auf eine Verfassungsbeschwerde, weil ihr als faktisch hundertprozentiges Unternehmen der öffentlichen Hand dieses Rechtsmittel nicht zur Verfügung steht. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgericht 1) vom 6.12 2016  wurde ein langer Streit über die verfassungsrechtlichen Grundsatzfragen des gesetzlich diktierten Kernenergieausstiegs in Deutschland beendet. In dem Urteil heißt es:

„Die Regelungen des Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes vom 31. Juli 2011 („13. AtG-Novelle“) erweisen sich weitgehend als eine zumutbare und auch die Anforderungen des Vertrauensschutzes und des Gleichbehandlungsgebots wahrende Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums. Die 13. AtG-Novelle verletzt die Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) jedoch insoweit, als die Einführung fester Abschalttermine für die in Deutschland betriebenen Kernkraftwerke (§ 7 Abs. 1a Satz 1 Atomgesetz in der Fassung der 13. AtG-Novelle), einen konzerninternen Verbrauch der im Jahr 2002 jedem Kernkraftwerk gesetzlich zugewiesenen Stromerzeugungskontingente bis zu den festgesetzten Abschaltdaten nicht sicherstellt. Hierdurch werden die durch die Eigentumsgarantie geschützten Nutzungsmöglichkeiten der Anlagen unzumutbar, teilweise auch gleichheitswidrig beschränkt. Demgegenüber steht die Streichung der mit dem Elften Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom 8. Dezember 2010 („11. AtG-Novelle“) den einzelnen Kernkraftwerken zusätzlich gewährten Stromerzeugungskontingente in Einklang mit dem Grundgesetz. Mit Art. 14 GG unvereinbar ist ferner, dass die 13. AtG-Novelle keine Regelung zum Ausgleich für Investitionen vorsieht, die im berechtigten Vertrauen auf die im Jahr 2010 zusätzlich gewährten Stromerzeugungskontingente vorgenommen, durch deren Streichung mit der 13. AtG-Novelle aber entwertet wurden. § 7 Abs. 1a Satz 1 Atomgesetz ist zunächst weiter anwendbar; der Gesetzgeber muss bis 30. Juni 2018 eine Neuregelung treffen.“

 

Leidinger 2) schreibt in seinem Kommentar zu diesem Urteil: „Mit den vom BVerfG jetzt konkretisierten Anforderungen im Hinblick auf die Eigentumsgarantie, den Gleichheitsgrundsatz und den Grundsatz des Vertrauensschutzes sind Maßstäbe gesetzt, die dem Gesetzgeber…aufzeigen, dass die Berufung auf den Primat der Politik kein Freifahrtsschein für beliebiges Handeln bedeutet. Vertrauen bei Investitionsentscheidungen, die letztlich auf politischen Beschlüssen fußen, ist und bleibt schutzwürdig, auch wenn de Politik ihre Meinung kurzfristig ändert.“

 Vollzugsfähige Vorgaben hat das Gericht nicht bestimmt. Der Gesetzgeber ist nun gefordert, die Regelungen für eine angemessene Entschädigung bis zum 30. Juni 2018 zu treffen. Diese könnte zwar durch eine Änderung der bislang definierten Laufzeiten geschaffen werden, was energiewirtschaftlich von Vorteil wäre, aber aus politischen Gründen kaum zu erwarten ist.

 

Bereits mit der auf drei Monate befristeten Abschaltung der sieben ältesten KKW (Moratorium) hatte sich die Bundesregierung eine juristische Schlappe eingefangen, weil sie ohne ausreichende materielle Rechtsgrundlage handelte. Am 27.2.2013 entschied der Hessische Verwaltungsgerichtshof, dass die Stilllegungsverfügung des Hessischen Umweltministeriums für das KKW Biblis (auf Veranlassung der Bundesregierung) formell rechtswidrig sei. Eine Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen. Die Revisionsbeschwerden des Landes Hessen wurden am 14.1.2014 vom Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen. Die Urteile des Verwaltungsgerichtshofs zu Biblis A und Biblis B sind somit rechtskräftig geworden. Der RWE-Konzern erhält dadurch freie Hand für einen Zivilprozess gegen das Land Hessen. Zumindest kann er Schadenersatz für die drei Monate verlangen, in denen im Kernkraftwerk Biblis der Block A aufgrund des damals verfügten “Moratoriums” stillstand.

1)        1 BvR 2821/11, 1 BvR 1456/12. 1BvR 321/1)

2)        Tobias Leidinger, Das Urteil des BVerfG zum Atomausstieg in Deutschland: Licht und Schatten, atw Vol. 62(2017), S. 26ff