10-Jahresbilanz des Energiekonzeptes 2010

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Vor rund 10 Jahren verabschiedete die Bundesregierung ihr Energiekonzept 2010.  In der Einleitung des Konzeptes [1] heißt es recht vollmundig:

„Die Sicherstellung einer zuverlässigen, wirtschaftlichen und umweltverträglichen Energieversorgung ist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Es wird dabei vor allem um die Umsetzung eines zentralen politischen Ziels für unser Energiesystem der Zukunft gehen: Deutschland soll in Zukunft bei wettbewerbsfähigen Energiepreisen und hohem Wohlstandsniveau eine der energieeffizientesten und umweltschonendsten Volkswirtschaften der Welt werden. Ein hohes Maß an Versorgungssicherheit, ein wirksamer Klima­ und Umweltschutz sowie eine wirtschaftlich tragfähige Energieversorgung sind zugleich zentrale Voraussetzungen, dass Deutschland auch langfristig ein wettbewerbsfähiger Industriestandort bleibt.“

Wenn es um das Energiekonzept 2010 geht, fallen bei den Zielen häufig die Worte „ambitioniert“ und „ehrgeizig“. Sind das Hinweise darauf, dass die Energiewende nicht einfach zu bewerkstelligen ist? Kritische Betrachtungen zum Energiekonzept wurden bereits in der Vergangenheit hier, hier und hier angestellt. Was wurde bisher erreicht beziehungsweise verfehlt?

Mit beeindruckend deutlichen Worten beginnt die ein Jahr alte von Prognos AG erstellte vbw Studie [2]: „Grundlage von Wachstum und Beschäftigung ist eine sichere, bezahlbare und umweltverträgliche Energieversorgung. Nur wenn alle drei Seiten dieses Zieldreiecks gleichermaßen berücksichtigt werden, können Deutschland und Bayern international wettbewerbsfähige Investitions- und Industriestandorte bleiben. Nur dann können wir auch Vorbild sein für andere Länder, die die Entwicklung der Energiewende in Deutschland sehr genau beobachten.

Die Versorgungssicherheit ist heute gewährleistet. Das Abschalten der letzten Kernkraftwerke und der Kohleausstieg werden uns jedoch vor große Herausforderungen stellen. Erneuerbare Energien können aufgrund ihrer Volatilität den Wegfall an gesicherter Leistung nur in geringem Maß ausgleichen. Geeignete Speichertechnologien sind noch nicht in Sicht. Gleichzeitig stockt der Netzausbau, ohne den die Energiewende nicht gelingen kann: Die großen Übertragungsleitungen SuedLink und SuedOstLink werden frühestens 2025 zur Verfügung stehen. Die Folge ist eine weitere Zunahme teurer Netzengpassmaßnahmen, die heute schon über das Netzentgelt den Strompreis belasten.

Nach wie vor gehört Deutschland zu den Ländern mit den höchsten Industriestrompreisen in Europa. Der Haushaltsstrom war 2017 in keinem anderen Land der EU-28 so teuer wie hier. Der Ausbau der erneuerbaren Energien schreitet zügig voran, die Klimaziele in Deutschland werden aber trotzdem deutlich verfehlt. In der Folge werden massive Einschnitte in den einzelnen Sektoren diskutiert, die wiederum die Grundlagen unseres Wohlstands gefährden. Deswegen brauchen wir dringend ein in sich schlüssiges Gesamtkonzept, das Energie- und Klimapolitik intelligent miteinander verknüpft und der Energiewende neue Impulse verleiht.“

Mit dieser auch aktuell gültigen Aussage wäre das Wesentliche bereits gesagt. Schauen wir uns die quantitativen Ziele des Energiekonzeptes 2010 im Einzelnen an (Tabelle), die sich aus den Angaben des Umweltbundesamtes ergeben:

Die Verfehlung ihres Emissionszieles für Treibhausgas bis 2020 hat die Bundesregierung bereits eingeräumt. Das Ziel konnte auch nicht erreicht werden, weil in 2011, also ein Jahr nach der Festlegung des Energiekonzeptes, die Entscheidung zum Ausstieg aus der Kernenergienutzung fiel, und der fehlende CO2-freie Kernenergiestrom durch Strom aus Fossilkraftwerken ersetzt werden musste. Aus gleichem Grund wird auch das für 2030 gesetzte Ziel einer 55 %-igen CO2-Reduktion nicht erreichbar sein, denn die Kohleverstromung kann auch weiterhin nicht ersetzt werden.

Quantitative Ziele des Energiekonzeptes 2010

Das Verringerungsziel des Primärenergieverbrauchs basiert auf – geförderte – Maßnahmen zur Wärmedämmung, auf die Steigerung eines effektiveren Energieeinsatzes und der Effizienzsteigerung der Energiegewinnung. Die Wärmedämmung in Neubauten gehört bereits zu den Bauauflagen, bei Altbauten stößt sie auf Machbarkeits- und Finanzierungsprobleme. Der Energieverbrauch ist in der Wirtschaft ein oftmals erheblicher Kostenfaktor, so dass der effektive Energieeinsatz aus Wettbewerbssicht bereits seit Jahrzehnten unerlässlich ist. Das Einsparpotential ist daher weit ausgeschöpft, große Sprünge sind nicht zu erwarten. Ohne Verzicht auf wirtschaftliche und industrielle Einschränkungen und ohne Verlusten an Lebensqualität wird es keine nennenswerte Verringerung des Primärenergieverbrauchs geben.

Das Reduktionsziel für den Stromverbrauch ist höchst unrealistisch. Beim Ausstieg aus Kernenergie und Kohle wird Strom, dort, wo es technisch möglich ist, diese Energiequellen ersetzen. Die Umstellung des Güter- und Personenverkehrs von Verbrennungsmotoren auf Elektroantriebe, die Entwicklung neuer Elektrogeräte, die digitale Entwicklung mit Anwendungen in Wirtschaft und Industrie sowie in geradezu allen Lebensbereichen wird überdies zum Anstieg des Strombedarfs führen.

Auch der geplante Einsatz von 1 Millionen E-Autos in Deutschland bis 2020 wurde weit bisher verfehlt. Die Zahl der Elektrofahrzeuge wächst zwar, jedoch viel langsamer, als die Politik sich das wünscht. Etwa 14 Prozent des Planungswertes wurden erreicht. Kosten, Reichweite und Batterie-Ladedauer von E-Autos sind die gravierendsten Nachteile gegenüber dem Auto mit Verbrennungsmotor.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien konnte die gesteckten Ziele für 2020 zwar erreichen, dies aber nur infolge der finanziellen Förderung und der Vorrangeinspeisung von Ökostrom durch das Erneuerbaren Energiegesetzes (EEG), also durch Planwirtschaft in Reinkultur. Auch ein aktuell etwa 45 %iger Ökostromanteil in 2019 darf nicht darüber hinweg täuschen, dass die Grundlast des Stromes nur von Kernenergie- und Kohlestrom sichergestellt wird. Die finanzielle Förderung belasten Wirtschaft und Haushalte mit rund 30 Milliarden Euro jährlich. Der Strompreis ist der höchste in Europa mit weiterhin wachsender Tendenz. Von wettbewerbsfähigen Energiepreisen kann keine Rede sein.

Bereits 2014 klagte der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel vor Wirtschaftsvertretern über „irre Zustände“ bei der Energiewende [3]. Ein Jahr zuvor hatte er sich für einen „Neustart“ bei der Energiewende ausgesprochen. „Da machen alle mit, aber keiner weiß, wohin“ [4]. Im gleichen Artikel wird Gabriel mit den bemerkenswerten Worten zitiert: Ein zeitgleicher Ausstieg aus Atom und Kohle sei nicht möglich.“   Vor der Kasseler Solar Firma SMA Solar am 17.4.2014 bekannte er, „Die Wahrheit ist, dass die Energiewende kurz vor dem Scheitern steht“. Und etwas später im Vortrag: „Die Wahrheit ist, dass wir auf allen Feldern die Komplexität der Energiewende unterschätzt haben“.

Die Komplexität besteht darin, Stromangebot und –nachfrage auch dann im Gleichgewicht zu halten, wenn der Anteil der wetterabhängigen Wind- und Solarenergie sehr hoch oder aber auch sehr niedrig ist. Das Ausmass der Stromschwankungen ist an einem Monatsbeispiel hier verdeutlicht. Um infolge der Volatilität des Ökostroms das Netz vor Zusammenbrüchen zu sichern, sind mehrere Tausend Netzeingriffe jährlich erforderlich. Dies erfordert die ständige Betriebsbereitschaft von Regel- und Reservekraftwerken.

Auf eine möglicherweise viel größere Herausforderung weist der Technikphilosoph Arnim Grunwald [5] hin, „Die Energiewende bringt starke gesellschaftliche Veränderungen mit sich. Sie stellt etablierte Rollen, Regeln und Geschäftsmodelle in Frage, verlangt neue Verhaltensweisen und den Abschied von alten Gewohnheiten. Unser Leben ist an die Energie- und Mobilitäts-Infrastruktur angepasst. Wenn wir diese Systeme ändern, müssen wir uns auch selbst ändern, etwa was die Nutzung von Energie betrifft. Wie schwer das fällt, sehen wir an der fehlenden Bereitschaft zum Umstieg auf die Elektromobilität, die ja wegen der begrenzten Reichweite und der langen Ladezeiten ein ganz anderes Nutzerverhalten verlangt.“

Schlussbemerkungen

Deutschland ist weit davon entfernt eine der „umweltschonendsten Volkswirtschaften der Welt“ zu werden. Überdies ist sehr fraglich, ob das visionäre Ziel der CO2-Verminderung in den geplanten Größen bei gleichzeitigem Erhalt der „Wettbewerbsfähigkeit“ ohne Kernenergie und Kohle überhaupt erreichbar ist. Naturwissenschaftliche, technische und wirtschaftlichen Fakten sprechen dagegen.

Wie das „hohe Wohlstandsniveau“ bei steigenden Stromkosten, bei Einschränkungen im Strom- und Primärenergieverbrauch und den diversen kostenträchtigen CO2-Minderungsmaßnahmen aufrecht gehalten werden kann, ist nicht erkennbar.

Deutschlands Energiewende wird intensiv vom Ausland beobachtet. Wegen des Verzichts auf Kernenergie werden Zweifel am Erfolg der Energiewende geäußert, hier nachzulesen. Als Vorbild wird die deutsche Energie- und Umweltpolitik von den Industriestaaten nicht gesehen.

Durch den Ausstieg aus der Kernenergie und den Verzicht auf Kohle ab 2038 muss Deutschland seinen Bedarf an Wärmeenergie hauptsächlich mit Gas decken. Die einstmals – richtigerweise – aufgestellte politische Prämisse einer redundanten und diversitären Energieversorgung wird damit vollständig aufgegeben. Zu dem Zeitpunkt wird die Erdgasversorgung hauptsächlich aus Staaten des Ostblocks erfolgen. Eine Versorgung ohne Alternativen bedeutet eine einseitige Abhängigkeit und somit politische Erpressbarkeit. Die Belieferung mit Flüssiggas aus den USA ist denkbar, ihre Entwicklung aber noch nicht beurteilbar.

Die Kernenergiepolitik in Deutschland wurde häufig mit einem gestarteten Flugzeug ohne Landemöglichkeiten verglichen. Damit sollte auf das Fehlen eines Endlagers hingewiesen werden. Aber auch die Energiewende wurde planwirtschaftlich gesetzlich verordnet, ohne dass die technischen Voraussetzungen dafür gegeben waren und ohne dass die wirtschaftlichen und versorgungspolitischen Folgen bedacht worden sind. Die Kosten dieser verfehlten Politik gehen zu Lasten der Bürger, die weiteren Folgen ebenso.

Quellen:

 [1] energiekonzept-2010.pdf von BMWT und BMUNR

[2] https://www.vbw-bayern.de/Redaktion/Frei-zugaengliche-Medien/Abteilungen-GS/Wirtschaftspolitik/2019/Downloads/vbw_Studie_7_Monitoring-der-Energiewende_Januar_2019.pdf

[3] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/sigmar-gabriel-schimpft-ueber-energiewende-a-1000976.html

[4] https://www.nrz.de/politik/wirtschaftsminister-gabriel-fuer-neustart-bei-energiepolitik-id8815381.html

[5] https://www.pv-magazine.de/2019/01/28/wir-haben-die-komplexitaet-der-energiewende-massiv-unterschaetzt/