Netzbetreiber sieht Risiken der Versorgungssicherheit

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Gefragt nach einer sicheren Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität heißt es in der Antwort der Bundesregierung [1],

„Alle der Bundesregierung bekannten, nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Forschung durchgeführten Analysen zur Versorgungssicherheit kommen zu dem Ergebnis, dass die sichere Stromversorgung in Deutschland absehbar auf dem heutigen hohen Niveau gewährleistet bleibt. In den Analysen wird auch der Ausstieg aus der Kernenergie und die Beendigung der Kohleverstromung berücksichtigt, wie er zum Zeitpunkt der Erstellung der Gutachten bekannt war.“

Warum hatte sich die Bundesregierung vom wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages eine Folgenabschätzung beim Blackout anfertigen lassen? Warum steigt permanent die Anzahl der Netzeingriffe? Warum müssen Alu-Werke Stromabschaltungen ertragen? Warum wurde eine – inzwischen auf Eis gelegte – Gesetzesregelung vorgesehen, die die Stromabschaltung für Haushalte vorsah? Warum das Streben nach Flexibilisierungspotenzialen? Warum wird der Strom von Autobatterien für die Versorgungssicherheit eingeplant? Warum soll der Strombedarf gesetzlich geregelt werden?

Angesichts dieser Fragen überzeugt die „sichere Stromversorgung in Deutschland absehbar auf hohem Niveau“ nicht. (Vergleiche auch hier.) Schaut man auf die Webseite von 50Hertz [2], so erfährt man, dass der Geschäftsführer, Stefan Kapferer, dazu aufrief, in der politischen Diskussion über die Klimaschutzziele die Versorgungssicherheit im Blick zu behalten. Mit dem Ausstieg aus der Kernenergie und der Kohleverstromung verliere Deutschland über 50 GW gesicherte und regelbare Leistung. Der europäische Strombinnenmarkt könne diese Verluste zwar teilweise ausgleichen – aber die Transformation der Energiesysteme nehme zugleich auch in unseren Nachbarländern an Fahrt auf.Wir brauchen auch langfristig regelbare Kraftwerke, um die Versorgungssicherheit in Deutschland zu gewährleisten – und zwar 60 GW“. Derzeit seien jedoch nur wenige dieser Kraftwerke in Bau, die mit Erdgas oder grünem Methan betrieben werden können (Gesamtkapazität von 1,2 GW). Planungen für weitere Kraftwerke lägen auf Eis, weil es keine Refinanzierungsperspektive gebe.

Das jetzige Marktsystem bietet offenbar keine ausreichenden Anreize für Investitionen in regelbare Kraftwerke, die in wind- und sonnenarmen Zeiten gebraucht werden.

Aktuelle wissenschaftliche Studien würden zeigen, dass in den kommenden Jahrzehnten nur durch mehr strombasierte Anwendungen die Sektoren Verkehr, Gebäude und Industrie klimaneutral werden können. Stefan Kapferer: „Um diesen zukünftigen Strombedarf decken zu können, ist ein beschleunigter Ausbau der Erneuerbaren Energien an Land und auf dem Meer in Verbindung mit einem starken Ausbau der Übertragungsnetzinfrastruktur erforderlich. Das funktioniert aber nur, wenn die Verstärkung oder der Bau von Windkraftanlagen, Solarparks, Stromleitungen oder Umspannwerken nicht durch jahrelange bürokratische Verfahren verzögert werden.“

Zu dieser Aussage eine erforderliche Ergänzung: Auch beim weiteren Ausbau der Erneuerbaren an Land und auf dem Meer sind regelbare Kraftwerke zwingend erforderlich (siehe Graphik). Angesicht steigender Stromnachfrage wahrscheinlich sogar mehr als 60 GW. Da diese mit Gas betrieben werden müssen, weil – von momentaner Lage betrachtet – nichts Anderes zur Verfügung stehen wird, ist die Klimaneutralität bis 2040 0der 2050 (je nach politischer Grundhaltung) nicht erreichbar.

Was bedeutet es nun, die „verlorenen“ 50 GW – angenommen – ausschließlich durch Windenergieanlagen zu ersetzen? Die im vergangenen Jahr an Land errichteten Neuanlagen haben eine mittlere Leistung von 3,5 MW. Von dieser Leistung ausgehend, wäre rein rechnerisch ein Zubau von rund 14.000 Windenergieanlagen erforderlich. Da aufgrund bisheriger Betriebserfahrungen die Anlagen an Land im zeitlichen Mittel nur etwa 20 % ihrer Maximalkapazität erreichen, wäre wiederum rein rechnerisch das Fünffache von 14.000 Anlagen, also 70.000 Anlagen erforderlich. Doch wenn der Wind ausbleibt, hilft auch der Zubau nichts.

Fakt ist: Die Windkraftanlagen können die Grundlastkraftwerke Kohle und Kernenergie nicht ersetzen, weil der Windstrom zu 65-85 % des Jahres unkontrollierbar produziert wird und daher stets Regelkraftwerke unter Wirkungsgradverlust mitlaufen müssen. Das große Problem ist, dass bisher die Speicherung des Windstroms nicht gelöst ist und auf absehbare Zeit bei vertretbaren Kosten auch nicht gelöst werden kann. Die folgende Graphik von Ralf Schuster macht diese Verhältnisse deutlich:

Die Graphik zeigt die Stromerzeugung bei angenommener dreifach höherer installierter Leistung im Mai 2021. Der Stromverbrauch schwankt je nach Tageszeit zwischen 40.000 und 60.000 MW. Tage- und stundenweise übersteigen Windstrom (blau) und Solarstrom (orange) den Bedarf. In diesen Fällen müsste die Stromerzeugung der Erneuerbaren gedrosselt oder, insofern möglich, ins Nachbarland abgeleitet werden. Die braune Fläche, die den Strombeitrag von Kern- und Kohlekraftwerken angibt, verdeutlicht, dass auf Regelenergie auch bei dreifach höherer installierter Leistung nicht verzichtet werden kann.

Zum Vergleich: Ende 2020 waren an Land 29.608 Windenergieanlagen mit einer Leistung von 54.938 MW in Betrieb.

 

[1] Bundestagsdrucksache 19/29689, „Umsetzung der energiepolitischen Ziele Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit“, 17.05.2021,

[2] https://www.50hertz.com/de/News/Details/7878/regelbare-kraftwerke-werden-auch-langfristig-zur-gewaehrleistung-von-versorgungssicherheit-gebraucht