Fragwürdige Einschätzung der Stromversorgungssicherheit

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Die deutsche Stromversorgung ist nach Einschätzung des Bundeswirtschaftsministeriums auch ohne Kernkraft und bei einem kompletten Kohleausstieg bis 2030 mittelfristig gesichert. Das gelte auch bei einem deutlich steigenden Stromverbrauch etwa durch Wärmepumpen oder E-Autos, hieß es am 04. Januar 2023 aus dem Ministerium unter Bezug auf einen Bericht zur Versorgungssicherheit im Stromsektor für die Jahre 2025 bis 2031. Der Bericht der Bundesnetzagentur wird nun innerhalb der Bundesregierung beraten.

Der Bericht beruht den Angaben zufolge auf zwei wissenschaftlichen Analysen, bei denen die Versorgungssicherheit in verschiedenen Situationen durchgespielt wurde, bei wechselndem Wetter und mit Ausfällen. Es sei auch geprüft worden, ob der Strom unter unterschiedlichen Bedingungen auch bei den Verbrauchern ankommt, Krisenszenarien seien aber nicht beleuchtet worden. Das Wirtschaftsministerium leitet daraus Handlungsempfehlungen für die Bundesregierung ab.

Die Versorgungssicherheit beruhe aber auf einer Reihe von Voraussetzungen. So müsse etwa Ersatz für die Energieerzeugung aus Kohle geschaffen werden. Das geschehe zum Beispiel über den Ausbau erneuerbarer Energien oder den Bau von Erdgas-Kraftwerken, die zudem für den späteren Betrieb mit klimafreundlichem Wasserstoff ausgerüstet sein sollen.

Schauen wir uns die genannten Voraussetzungen näher an:

  • Insgesamt gab es in Deutschland Ende 2022 nach Angaben aus dem Wirtschaftsministerium rund 29.000 Windenergieanlagen an Land und 1532 Anlagen auf See mit einer Gesamtleistung von etwa 66 Gigawatt (GW). Diese Leistung soll langfristig verdoppelt werden. Bis 2030 sollen 80 GW erreicht werden. Unter Berücksichtigung eines erwarteten Rückbaues alter Anlagen wäre ein jährlicher Zubau von 4 bis 7 GW brutto erforderlich. Das bedeutet, an jedem Werktag müssten 4 bis 7 Anlagen mit je 5 MW errichtet werden. Weder sind dafür die nutzbaren Flächen bundesweit bereitgestellt, noch stehen Fachpersonal, Maschinen, Bauteile und Material in notwendigem Umfang zur Verfügung. Bereits das Bundesumweltamt verkündete, „es bestehe das Risiko, dass im Ergebnis sehr viel weniger Windenergieanlagen installiert werden.“
  • Bei einem geplanten Stromanteil der erneuerbaren Energien von 80 % würden Reservekraftwerke nur sehr sporadisch Strom liefern müssen. Damit ist ein unwirtschaftlicher und somit teurer Betrieb dieser Kraftwerke garantiert. Es dürfte daher nicht überraschen, dass sich für den Bau von Erdgas-Kraftwerken, deren Stromproduktion ohnehin die teuerste Art der Stromerzeugung ist, keine Investoren finden werden. (siehe dazu auch letzten Absatz)
  • Bei – wie es aussieht – sicher langfristigem Ausfall der Gaslieferung aus Russland ist eine Deckung des Gasbedarfes für Industrie, Heizungen und Stromerzeugung sehr fraglich. Der Import von Flüssigkeit (LNG) wird den Ausfall russischen Gases nicht mal zur Hälfte decken. Mit den ak­tu­ell ge­plan­ten vier schwim­men­den LNG-Ter­mi­nals in Deutschland kön­nen bis zu 22,5 Mil­li­ar­den Ku­bik­me­ter LNG pro Jahr an­ge­lan­det wer­den, wie es heißt. Russland lieferte rund 60 Milliarden Kubikmeter jährlich. Eine Steigerung der Gasimporte aus Norwegen, Belgien und den Niederlanden ist nicht zu erwarten. Aus den Niederlanden war zu vernehmen, dass eher der Export drosselt werden sollte. Zudem gibt es Meldungen über Risiken der Gasbedarfsdeckung für den Winter 2023/2024.
  • Aus „grünem“ Strom durch Elektrolyse Wasserstoff zu erzeugen, um damit in Gaskraftwerken wieder Strom zu erzeugen, ist total verrückt. Anders lässt sich das nicht bezeichnen. Dann sollte der grüne Strom doch direkt genutzt werden. So aber gehen rund 60% der ursprünglichen Energie durch Umwandlungsprozesse verloren. Die Kosten des auf diese Weise erzeugten Stroms sind fernab jeder Wirtschaftlichkeit und nur durch weitere staatliche Subventionen bei Erzeugung und Verbraucher tragbar.
  • Sollte tatsächlich „grüner“ Wasserstoff (H2) zur Stromerzeugung eingesetzt werde, wird der Strompreis erheblich emporschnellen, wenn der Strompreis weiterhin nach dem Merit-Order-Prinzip ermittelt wird. Die Herstellungskosten von „grünem“ Wasserstoff betragen ca. 4 EUR/kg H2. Einen Kostenvergleich mit Erdgas bieten die aktuellen Preise an Tankstellen, wo für „grünen“ Wasserstoff etwa 9,5 EUR/kg H2 und für Erdgas etwa 1,2 EUR/kg Erdgas zu zahlen sind. Reine Gaskraftwerke hatten bereits im Juni 2021 die mit Abstand höchsten Stromgestehungskosten [1]. Zu diesem Zeitpunkt lagen diese zwischen knapp 12 und 29 ct/kWh. Durch die russische Invasion in der Ukraine ist der Gaspreis jedoch rasant gestiegen, sodass eine Kilowattstunde Gas heute ca. 20 Cent kostet. Dementsprechend kann man davon ausgehen, dass auch die Stromgestehungskosten bei reinen Gaskraftwerken heute deutlich höher ausfällt.

Fazit

In Anbetracht der unübersehbaren Unwägbarkeiten beim Ausbau der erneuerbaren Energien, beim Bau von Gaskraftwerken, bei der Gasbedarfsdeckung, bei der Herstellung von „grünem“ Wasserstoff, insbesondere dessen Kosten der Herstellung, von einer gesicherten Stromversorgung auch ohne Kernenergie und Kohle überzeugt zu sein, ist unbegreiflich und nicht nachvollziehbar.

 

[1] https://www.wegatech.de/ratgeber/stromgestehungskosten/