Kernenergie: Weltweit im Ausbau, in Deutschland ohne Zukunft

Print Friendly, PDF & Email

Ein nicht unwesentlicher Teil der deutschen Bevölkerung wäre froh, wenn – nach Rechtslage – im Jahre 2022 endlich das letzte der noch betriebenen neun Kernkraftwerke vom Netz geht. Ein ebenfalls nicht unerheblicher Teil sieht in der Kernenergie einen Garanten für eine zuverlässige, wirtschaftliche und sichere Stromversorgung und hält folglich den Ausstieg für einen gravierenden politischen Fehler, der der gegenwärtigen Bevölkerung, aber auch deren Nachkommen teuer zu stehen kommt.

Keine Technik in Deutschland ist zugleich derart geschätzt und bekämpft worden wie die Kerntechnik. Die über Jahre in Parlamenten geführten Debatten um die Kernenergie waren extrem kontrovers, kompromisslos, unversöhnlich und durchweg emotional aufgeladen. Sachargumenten wurde mit Risiko- und Angstargumenten widersprochen. Politiker boten der Öffentlichkeit ein zerstrittenes Bild, bei dem Angstempfindungen in der Öffentlichkeit überwogen. Gewollt oder ungewollt, auf jeden Fall schufen sie in großen Teilen der Öffentlichkeit eine gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie gerichtete Meinung, die, was dann nicht ausbleibt, durch die Ereignisse an den Reaktorstandorten Three Mile Island, Tschernobyl und Fukushima noch verstärkt wurde. Ein verheerendes Bild lieferten unsere Volksvertreter mit ihren Aussagen zum Ausstieg aus der Kernenergie. Nur wenige Wochen zuvor erklärten sie diese Technik für unverzichtbar, wie die Zitatensammlung im Wikiquote –Portal /1/ eindrucksvoll belegt. Schizophren wird die Situation dadurch, dass sich Politiker beim Ausstieg auf die öffentliche Meinung berufen, zu der sie mit ihrem Verhalten selbst beigetragen haben.

Jahrelange gerichtliche Auseinandersetzungen bei nahezu jeder atomrechtlichen Genehmigung waren zu überstehen, die, so kurios sich das auch anhört, zu einem ausgeprägten, teils sogar übersteigerten Sicherheitsbewusstsein in der Kerntechnik beigetragen haben. Deutsche Kernkraftwerke zählen zu den weltweit sichersten Anlagen. Im internationalen Vergleich der nuklearen Stromerzeugung nehmen die deutschen Kernkraftwerke stets Spitzenpositionen ein. Ein Beleg für ihre Zuverlässigkeit. In der nunmehr über 40-jährigen Betriebsgeschichte deutscher Kernkraftwerke gab es keinen Störfall, der auch nur ansatzweise den Ausstieg aus der Kernenergie rechtfertigen könnte. Sie zeichnet sich bis zum heutigen Tage durch eine kostengünstige, verlässliche und sichere Stromerzeugung insbesondere in der Grundlast aus.

Ein in Jahrzehnten aufgebautes kerntechnisches Know-how auf höchstem Niveau geht mit dem Ausstieg zugrunde. Ein Vertrauensbruch für alle Wissenschaftler und Berufsständler, die von der Notwendigkeit der Nukleartechnik zur Stromerzeugung überzeugt waren und noch sind. Bei der internationalen Weiterentwicklung der Reaktortechnik, der so genannten Generation IV, spielte Deutschland bestenfalls eine Nebenrolle und die auch nur über die Forschung in der Europäischen Union, direkt gab es keine staatliche Unterstützung. Bereits jetzt sind Service und Wartung für die Restlaufzeit der Kernkraftwerke in überwiegend ausländischer Hand. Bei der Zulieferindustrie auf dem Brennelementsektor blieb ein deutscher Anteil an der Uran-Anreicherungsanlage. Auch bei dieser weltweit führenden Spitzentechnologie bestehen Verkaufsabsichten. Deutschen Unternehmen blieb der Stilllegungssektor. Mit dem Ausstieg verspielte Deutschland seine internationalen Marktchancen. Das gern von Politikern genutzte Argument der Arbeitsplatzsicherheit zählte beim Ausstieg ganz offenbar nicht mehr. Sie sollten sich täglich erneut ins Gedächtnis zurückrufen, was einst Werner von Siemens sagte: „Die naturwissenschaftliche Forschung bildet immer den sicheren Boden des technischen Fortschritts, und die Industrie eines Landes wird niemals eine internationale, leitende Stellung erwerben und sich selbst erhalten können, wenn das Land nicht gleichzeitig an der Spitze des naturwissenschaftlichen Fortschritts steht.“/2/

Wer von den Politikern, die den Ausstieg zu verantworten haben, glaubte, Deutschland würde mit dem Ausstieg eine Vorbildfunktion übernehmen, irrt gewaltig. Der deutsche Ausstieg wird in dieser Form ein Alleingang bleiben. In den Ländern Belgien, Schweiz und Spanien ist der Ausstieg im Gespräch, das letzte Wort darüber aber noch nicht gesprochen.
Die Industrieländer Westeuropas nutzen unverändert die Kernenergie zur Stromerzeugung: Frankreich betreibt 58 Kernkraftwerke und deckt damit rund 80% seines Strombedarfs. Eine weitere Anlage befindet sich im Bau. In Großbritannien sind 16 Kernkraftwerke am Netz, von denen einige durch neue Kernkraftwerke ersetzt werden sollen. Dies ist erklärte Absicht der britischen Regierung, die bereits entsprechende Abkommen mit Frankreich und – man höre und staune – mit China abgeschlossen hat. Finnland verfügt über 4 Kernkraftwerke, eine Anlage ist im Bau und der Bau einer weiteren bereits im Gespräch. Schweden hat seine Ausstiegserklärung schon vor Jahren über Bord geworfen, weil es keine geeignete alternative Stromerzeugung sah. 10 Kernkraftwerke sind am Netz, bei dieser Anzahl soll es bleiben. Ersatzanlagen sind in Diskussion. Insgesamt befinden sich in den 28 Ländern der Europäischen Union 136 Kernkraftwerke in Betrieb.

Weltweit geht die kerntechnische Forschung und Entwicklung weiter, ebenso auch Planung und konkreter Zubau von Kernkraftwerken. Gegenwärtig befinden sich 435 Kernreaktoren mit 371 Gigawatt (GW) installierter Leistung in 30 Ländern im Betrieb und 72 Reaktoren in 15 Ländern im Bau /3/. Bis 2025 soll die Leistung auf 517 GW ansteigen. Mit 2359 Terrawattstunden (TWh) trugen die Kernkraftwerke zu 11% der Weltstromerzeugung bei /3/.

Vor allem Staaten im asiatisch-pazifischen Raum streben zunehmend die Stromproduktion aus Kernenergie an. Folgende Zahlen verdeutlichen die Entwicklung /4/, dabei gibt die erste Ziffer die in Betrieb befindlichen, die zweite in Klammern die im Bau befindlichen Reaktoren an:
China 20/(29), Indien 21(6), Rep. Korea 23(5), Pakistan 3(2), Taiwan 6(2), VAE 0(2)

Mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Weißrussland steigen zwei weitere Länder konkret in die Kernenergie ein. Die umfangreichsten Entwicklungsprogramme für Kernenergie hätten nach Global Data /5/ die Türkei, die VAE und Vietnam. Vietnam plane, bis 2030 zehn Kernkraftwerkseinheiten mit einer installierten Gesamtleistung von über 6,8 GW in Betrieb zu nehmen. Dazu habe das Land bereits eine Reihe von Regierungsabkommen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie unterzeichnet, unter anderem mit Argentinien, China, Indien, Russland und Südkorea.

Bemerkenswert ist, welche Reaktortechnologien bei den Kernenergie-Einsteigerländer zum Zuge kommen. Nach Global Data /5/ sind dies mit 34,8% der Reaktortyp WWER der JSC OKB Gidopress – eines Tochterunternehmens des russischen Staatskonzerns Rosatom –, gefolgt vom südkoreanischen Typ APR-1000 der Korea Hydro & Nuclear Power Company mit 21,7%. Der Atmea der französischen Areva-Gruppe komme auf 6% und der ABWR der japanischen Toshiba Corporation auf 3,5%.

Wirtschaftlich attraktiv und weniger kontrovers diskutiert als Reaktorneubauten sind Leistungserhöhungen und die Verlängerung der Betriebsdauer von Reaktoren, insbesondere solche mit abgeschriebenen Kapitalkosten. In hohem Maße machen die Betreiber von Kernkraftwerken in den USA hiervon Gebrauch. In Summe wurden Leistungserhöhungen von 7036 MWe (elektrische Leistung) vorgenommen, was der Leistung von fünf großen Kernreaktoren entspricht. Bereits 73 Reaktoren erhielten von der US-Genehmigungsbehörde NRC eine 20-jährige Betriebsverlängerung auf 60 Jahre bewilligt. Gegenwärtig sind bei der NRC weitere 18 Anträge auf Betriebsverlängerung in Bearbeitung. Darüber hinaus rüstet sich die NRC für Anträge zur Betriebsverlängerung über 60 Jahre hinaus /6/. In den USA befinden sich 100 Reaktoren in Betrieb und 5 im Bau.

Der Neubau von Reaktoren in den USA ist insofern auch bemerkenswert, weil der Shalegas-Boom in den USA ursprünglich geplante Nuklearprojekte unwirtschaftlich machte. Ein mit Gas betriebenes Kraftwerk ist schlüsselfertig für $ 1000 pro kW installierter Leistung in 3 Jahren Bauzeit zu errichten. Dem gegenüber belaufen sich die Kosten für einen Kernreaktor auf $ 4500 – 5000 pro kW installierter Leistung und einer Bauzeit von 5 Jahren bei gleichzeitig größerer Kostenunsicherheit /7/.

Der skizzierte weltweite Ausbau der Kernenergie ist eine Reaktion auf unberechenbare Preise fossiler Energieträger, knappe Ölreserven und steigende CO2 – Emissionen.

Kernenergiegegner und Politiker sollten zur Kenntnis nehmen, dass der von ihnen gern als Zeuge zitierte, vornehmlich dem Umweltschutz und der Ressourcenschonung zugewandte Club of Rome sich bereits 1996 für die Beibehaltung der Kernenergie aussprach: „Angesichts des schwerwiegenden Risikos einer Klimaveränderung auf unserem Planeten, die ein verstärkter Einsatz fossiler Brennstoffe mit sich bringen kann, müssen wir die technischen, wirtschaftlichen und sicherheitsrelevanten Vorbedingungen für ein größeres Comeback der Kernenergie schaffen. Kurzfristig gesehen, solange wir an der Weiterentwicklung der erneuerbaren Energien arbeiten, ist Kernenergie die einzige Lösung, die eine nachhaltige Entwicklung ermöglicht.“ Ebenso der Weltklimarat IPCC hatte in zwei seiner Berichte /8/ unter anderem die Nutzung der Kernkraft und die Laufzeitverlängerung vorhandener Kernkraftwerke zur Verringerung der CO2 – Emissionen empfohlen. Diese Empfehlung scheinen unsere Politiker zu ignorieren, wo hingegen die vom Weltklimarat prognostizierten Klimarisiken sehr wohl zur Grundlage politischer Klima- und Umweltpolitik gemacht werden.

Die jüngste Reform des Erneuerbaren Energiegesetzes (EEG) ist ein Eingeständnis, dass die Energiewende im Jahr 2011 eine politische Fehlentscheidung war. Wenn es überhaupt jemals gelingen sollte, den Strombedarf in Deutschland überwiegend mit alternativer Energie (Wind, Solar, Biomasse) zuverlässig zu decken, woran ganz erbliche Zweifel bestehen, dann kam die Energiewende um zig Jahre zu früh. Wie der Bundeswirtschaftminister selbst erkannte, habe man die Problematik der Energiewende total unterschätzt. Es gibt namhafte Stimmen, die sich für eine Abschaffung des EEG aussprechen.

Mit dem Ausstieg aus der Kernenergie und in Folge mit der Beschränkung der nuklearen Forschungsförderung auf nukleare Sicherheit und Endlagerung haben die Politiker vor allem im Hinblick auf künftige Generationen eine gewaltige Verantwortung auf sich geladen, indem sie ihnen nicht sämtliche Möglichkeiten zukünftiger Stromerzeugung offen gelassen haben, was im klaren Widerspruch zu einer nachhaltigen Energiepolitik steht. Der weltweit betriebene Ausbau der Kernenergie sollte nicht nur den Politikern, auch der Öffentlichkeit zu denken geben. Noch ist es nicht zu spät. Doch wenn sich Deutschland zudem auch der internationalen Forschung auf dem Nuklearsektor weiterhin entzieht, verliert Deutschland auf diesem Sektor wegen fehlender Kenntnisse nicht nur ein überzeugendes Mitspracherecht, dann ist erworbenes kerntechnisches Wissen in Deutschland auf Jahrzehnte tot.

/1/ file:///Users/ladmin/Desktop/Diskussion:Kernenergie%20–%20Wikiquote.webarchive
/2/ Krug, Hans-Heinrich, Siemens und Kernenergie, 1998
/3/ IAEA, GOV/INF/2014/13-GC(58)/INF
/4/ http://www.kernenergie.de/kernenergie/
/5/ Global Data, Medienmitteilung, 23. Juli 2014
/6/ NRC, Staff Recommandation Paper, 31. Jan.02014
/7/ World Nuclear News, Positive global outlook for nuclear energy, 10. April 2013
/8/ IPCC 2001, Bd.3, S.5 und IPCC 2007, Bd.3, S.268