Eine neue Ära für die Kernenergie

Mit dem deutschen Ausstieg aus der Kernenergie wurden zugleich Forschung und Förderung auf dem nuklearen Sektor drastisch heruntergefahren. Unseren Nachkommen wurde die Chance genommen, auf der Basis des bisher wissenschaftlich und technisch Erreichtem, die Zukunft ihrer Energieversorgung umfassend selbst zu bestimmen. Vielmehr muss es eine Verpflichtung jeder Politikerin und jeden Politikers sein, alle Alternativen der Energieversorgung offen zu halten und der jungen Generation ihre Einsatzfreudigkeit und die Begeisterung für ihren Beruf in der Kerntechnik zu erhalten wie auch ihre Zuversicht zu stärken, mit einer kerntechnischen Ausbildung einen zukunftsträchtigen Beruf ergriffen zu haben. Dass der Ausstieg aus der Kernenergie ein politischer Fehler war, zeigt sich in der gegenwärtigen Energiekrise geradezu täglich.

In den USA ist offensichtlich eine neue Ära für die Kernenergie angebrochen, die auch unserer Politik zu denken geben sollte. „Die Dynamik in den USA kann als starker Katalysator für den Einsatz der Kernenergie auf dem gesamten Kontinent dienen.“ Über diese neue Ära berichten:

Brian M. Smith und Andreas Pautz*)

Die Vereinigten Staaten nutzen eine einmalige Gelegenheit, um ihre Position als weltweit führende Kraft bei der Innovation und dem Einsatz von Kernenergie zu behaupten. Für die Partner und Verbündeten der USA in ganz Europa bieten sich zahlreiche Möglichkeiten, von diesen Entwicklungen zu profitieren. Diese Botschaft wurde auf dem jüngsten Kernenergie-Gipfel deutlich, der von Arnova Capital veranstaltet und von Roger Köppel in Zürich moderiert wurde. Nach Jahrzehnten relativer Stagnation bei neuen kommerziellen Kernenergieprojekten beschleunigt eine Reihe von Faktoren den Zeitplan für den Einsatz fortschrittlicher Kerntechnologien, die das Potenzial haben, die Energielandschaft in Amerika und darüber hinaus neu zu gestalten.

Innovation vom Labor bis zum Stromnetz

Im Mittelpunkt dieses Aufschwungs stehen bahnbrechende Technologieentwicklungsinitiativen. Das US-Energieministerium (DOE) und seine nationalen Laboratorien, insbesondere das Idaho National Laboratory (INL), sind dabei führend. Das INL ist das führende Labor des Ministeriums für Forschung, Konstruktion, Entwicklung und Demonstration im Bereich der Kernenergie. Auf einer Fläche von über 2300 Quadratkilometern im Südosten von Idaho hat es in seiner langen Geschichte 52 Reaktoren getestet und betrieben und dient seit Beginn der «Atoms for Peace»-Initiative von Präsident Eisenhower im Jahr 1953 als Testlabor für neue Kernkraftwerkkonzepte.

Zu den einzigartigen, hochmodernen Einrichtungen des Labors gehört der Advanced Test Reactor, der für die Erprobung von Brennstoffen und Materialien für den sicheren und effizienten Betrieb von Reaktoren der nächsten Generation von entscheidender Bedeutung ist. Seine einzigartige Konstruktion ermöglicht gleichzeitige Experimente unter verschiedenen Bedingungen, was die Forschung erheblich beschleunigt. Über die Erprobung hinaus ist das INL aktiv an der Demonstration fortschrittlicher Reaktortechnologien beteiligt. Der Reaktor Marvel (Microreactor Applications Research Validation and Evaluation) beispielsweise ist eine Versuchsanlage, in der Mikroreaktoranwendungen getestet, Regulierungsprozesse verfeinert und autonome Steuerungssysteme entwickelt werden. Die vom National Reactor Innovation Center bereitgestellten nuklearen Testumgebungen ermöglichen es privaten Anbietern, ihre Reaktoren in einer kontrollierten Umgebung zu testen, Risiken zu minimieren und den Weg zur kommerziellen Zulassung und zum Einsatz zu beschleunigen. Solche Bemühungen sind unerlässlich, um fortschrittliche Konzepte von theoretischen Modellen in kommerziell nutzbare Einheiten umzusetzen.

Die Dringlichkeit wird zum Teil durch den steigenden Strombedarf insbesondere aus energieintensiven Sektoren wie künstlicher Intelligenz (KI) und Rechenzentren verstärkt. Das DOE untersucht aktiv, wie fortschrittliche Reaktoren diesen Bedarf decken können, und hat die Anweisung erteilt, KI-Rechenzentren als kritische Verteidigungsanlagen auszuweisen und Standorte für fortschrittliche Reaktoren zu prüfen, um diese mit Strom zu versorgen. Diese strategische Ausrichtung unterstreicht die Rolle der Kernenergie nicht nur als saubere, zuverlässige Grundlastenergiequelle, sondern auch bei der Verwirklichung ehrgeiziger Ziele für die nationale Sicherheit und die technologische Wettbewerbsfähigkeit.

 Der Advance Act ebnet den Weg

In der Erkenntnis, dass technologische Fortschritte mit einem modernen Regulierungsrahmen einhergehen müssen, wurde im Juli 2024 das Gesetz zur Beschleunigung des Einsatzes vielseitiger, fortschrittlicher Kernenergie für saubere Energie (Advance) verabschiedet, das die US-Atomaufsichtsbehörde (NRC) anweist, die Genehmigung und den Einsatz fortschrittlicher Kerntechnologien zu straffen und zu beschleunigen.

Eine wichtige Bestimmung des Advance Act ist die Anweisung an die NRC, ihren Auftrag zu überarbeiten und die Effizienz ausdrücklich in die Genehmigung aufzunehmen. Dies ist eine bedeutende Veränderung, bei der die Sicherheit weiterhin im Vordergrund steht, aber die zeitnahe Genehmigung neuer Reaktorkonzepte als wichtige Aufgabe hervorgehoben wird. Das Gesetz schreibt die Straffung verschiedener Genehmigungsverfahren vor, darunter die beschleunigte Prüfung von Reaktoren an bestehenden oder benachbarten Standorten und die Erstellung leistungsbasierter und risikoorientierter Leitlinien für Mikroreaktoren. So wird die NRC beispielsweise die Vorschriften aktualisieren, um werkseitig gefertigte Mikroreaktoren zu erleichtern, die aufgrund ihrer inhärenten Sicherheitsmerkmale vor dem Versand ausserhalb des Standorts beladen und getestet werden können, wodurch die Komplexität und die Kosten der Bauarbeiten vor Ort reduziert werden.

 Aufbau heimischer Kapazitäten

Darüber hinaus entlastet das Advance-Gesetz die Antragsteller für fortschrittliche Kernreaktoren finanziell, indem es die Stundenhonorare für behördliche Prüfungen erheblich senkt. Es öffnet auch Türen für verstärkte ausländische Investitionen in den US-Nuklearsektor und stärkt die Führungsrolle der USA im weltweiten Nuklearexport, wobei die internationale Dimension des Einsatzes der Kernenergie anerkannt wird. Das Gesetz fördert auch die Umnutzung von Brachflächen und stillgelegten Standorten fossiler Brennstoffe für neue Kernkraftwerke, wodurch die vorhandene Infrastruktur genutzt und Gemeinden wiederbelebt werden.

Ein wesentlicher Bestandteil einer robusten Zukunft der Kernenergie ist ein sicherer und unabhängiger Brennstoffkreislauf. Im Lauf der Zeit sind die inländischen Kapazitäten zur Uranumwandlung und -anreicherung zugunsten der externen Beschaffung dieses wichtigen Rohstoffs zurückgegangen, und die USA gehen diese Schwachstelle nun aktiv an.

Ziel ist es, die Abhängigkeit von ausländischen Lieferanten, insbesondere von geopolitischen Konkurrenten, zu verringern und eine stabile Lieferkette für bestehende und fortschrittliche Reaktoren sicherzustellen. Mit Milliarden von Dollar an Mitteln aus dem US-Kongress hat das DOE mehrere Unternehmen mit Verträgen für die Urananreicherung beauftragt, darunter auch für High-Assay Low-Enriched Uranium (Haleu), eine spezielle Brennstoffform, die für viele fortschrittliche Reaktorkonzepte erforderlich ist. Der Wiederaufbau dieser heimischen Kapazitäten ist eine wichtige Voraussetzung für umfassendere Ziele beim Einsatz von Reaktoren und dient als strategische Massnahme zur Stärkung der nationalen Sicherheit und Energieunabhängigkeit.

Im Mai 2025 unterzeichnete Präsident Trump eine Reihe von Durchführungsverordnungen, die das Engagement der Bundesregierung für die Beschleunigung des Einsatzes der Kernenergie bekräftigen. Diese Verordnungen enthalten umfassende Richtlinien für verschiedene Bereiche der Kernindustrie.

Zu den wichtigsten gehört die Aufforderung an das DOE, die Prüfung, die Genehmigung und den Einsatz fortschrittlicher Reaktoren in DOE- und nationalen Laboratorien zu beschleunigen. So setzt beispielsweise ein neues Pilotprogramm das ehrgeizige Ziel, bis zum 4. Juli 2026 die Kritikalität für mindestens drei neue Kernreaktoren zu erreichen. Die Durchführungsverordnungen weisen die NRC ausserdem an, ihre Vorschriften, ihr Regulierungsrahmenwerk und ihre Organisationsstruktur grundlegend zu überarbeiten, mit dem Ziel, die USA wieder als weltweit führende Nation im Bereich der Kernenergie zu etablieren und die Kernenergiekapazität der USA bis 2050 zu vervierfachen. Die NRC wird angewiesen, Umweltprüfungen zu straffen und bei Genehmigungsentscheidungen neben Sicherheits-, Gesundheits- und Umweltaspekten auch die wirtschaftlichen und nationalen Sicherheitsvorteile der Kernenergie zu berücksichtigen.

Die Anordnungen befassen sich auch mit dem dringenden Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften und weisen das Arbeits- und das Bildungsministerium an, die Teilnahme an Ausbildungs- und Bildungsprogrammen im Bereich der Kernenergie zu erhöhen. Des Weiteren fordern sie einen Plan zur Steigerung der heimischen Uranumwandlungs- und -anreicherungskapazitäten, was den allgemeinen Bestrebungen nach einem sicheren heimischen Brennstoffkreislauf entspricht.

Diese Durchführungsverordnungen signalisieren einen starken Top-down-Impuls zur Überwindung bürokratischer Hürden und zur Ausschöpfung des vollen Potenzials der Kernenergie, mit aggressiven Zeitplänen und klaren Vorgaben für die Bundesbehörden.

 US-Fortschritte helfen Europa

Die regen Aktivitäten im US-Atomsektor lassen sich eher als Revolution denn als Renaissance bezeichnen und haben bedeutende, spannende Auswirkungen für gleichgesinnte Partner in Europa. Viele europäische Länder kämpfen mit Fragen der Energiesicherheit und dem Wunsch, ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern, insbesondere um geopolitischen Spannungen und Marktinstabilitäten entgegenzuwirken. Die Dynamik in den USA kann als starker Katalysator für den Einsatz der Kernenergie auf dem gesamten Kontinent dienen.

Die Fortschritte der USA bei der Entwicklung fortschrittlicher Reaktortypen, insbesondere kleiner modularer Reaktoren (SMR) und Mikroreaktoren, bieten attraktive Lösungen für europäische Länder. Diese Reaktoren sind von Natur aus sicherer, lassen sich aufgrund ihrer modularen Bauweise schneller einsetzen und bieten eine grössere Flexibilität hinsichtlich Standortwahl und Leistungsabgabe. Mit der Zulassung und dem Einsatz der amerikanischen Reaktortypen werden bewährte Konzepte verfügbar, die das Vertrauen europäischer Energieversorger und Regierungen stärken, die ähnliche Investitionen in Betracht ziehen.

Darüber hinaus können die Regulierungsreformen in den USA, insbesondere die durch den Advance Act und Präsidialverordnungen ermöglichten vereinfachten Genehmigungsverfahren und Kostensenkungen, ähnliche Bemühungen in Europa inspirieren und beeinflussen. Ein berechenbareres und effizienteres regulatorisches Umfeld ist entscheidend für die Gewinnung privater Investitionen und die Beschleunigung von Projektzeitplänen, eine Herausforderung, vor der viele europäische Länder stehen.

 USA und Schweiz als Partner

Die Wiederherstellung einer robusten, dynamischen inländischen Lieferkette für Kernbrennstoffe in den USA sorgt für mehr globale Stabilität und Diversifizierung bei Kernbrennstoffen. Dies ist besonders relevant für europäische Länder, die derzeit von einer begrenzten Anzahl von Lieferanten abhängig sind. Eine widerstandsfähige US-Lieferkette kann internationalen Partnern eine sicherere und wettbewerbsfähigere Alternative bieten.

Schliesslich sendet das Engagement der USA für die Kernenergie, das durch die jüngsten Durchführungsverordnungen verdeutlicht wird, ein starkes Signal an die internationale Gemeinschaft hinsichtlich der Rentabilität und strategischen Bedeutung der Kernenergie. Diese Führungsrolle kann eine stärkere internationale Zusammenarbeit, den Austausch bewährter Verfahren und möglicherweise Joint Ventures bei der Entwicklung und dem Einsatz von Kerntechnologie fördern. Ein aktuelles, sichtbares Beispiel für eine solche Zusammenarbeit wurde auf dem Arnova Capital Nuclear Energy Summit im Juni vorgestellt, an dem die Autoren als Vertreter des Idaho National Laboratory und des Paul Scherrer Instituts (PSI) in der Schweiz darüber diskutierten, wie diese Kooperationen die europäischen Nationen dazu ermutigen können, ihre eigenen nuklearen Ambitionen zu beschleunigen und so zu einer globalen Wende hin zu sauberer, zuverlässiger und sicherer Energie beizutragen.

Die Zusammenarbeit zwischen amerikanischen und Schweizer Laboratorien zeigt die starken Synergien, die den weltweiten Fortschritt im Nuklearbereich beschleunigen können. Die Schweiz nimmt durch das PSI eine Sonderstellung in der europäischen Kernforschungslandschaft ein. Das PSI vereint einzigartige Kompetenzen in der Kernbrennstoff-Forschung durch seine grossangelegten wissenschaftlichen Infrastrukturen, seine international anerkannte Exzellenz im Bereich der nuklearen Sicherheit und sein weltweit führendes Programm zur Entsorgung radioaktiver Abfälle. Ebenso bedeutend sind seine Ausbildungs- und Schulungsmassnahmen, mit denen es die nächste Generation von Experten auf eine Weise ausbildet, wie es nur wenige europäische Institutionen können. Über ihr technisches Know-how hinaus kommt der Schweiz aufgrund ihrer Nichtmitgliedschaft in der EU und ihrer langjährigen Neutralität eine besondere Rolle als Brücke zwischen den USA und Europa zu, die eine Zusammenarbeit über politische und regulatorische Grenzen hinweg ermöglicht.

Durch die Kombination der wissenschaftlichen Kompetenz des PSI mit der Dynamik der USA bei der Einführung fortschrittlicher Reaktoren und regulatorischer Innovationen profitieren beide Länder. Die USA profitieren von der Schweizer Präzision in Forschung und Ausbildung sowie von den Einblicken in den europäischen Markt, während die Schweiz Zugang zu grossangelegten Einsatzmöglichkeiten und industriellen Ökosystemen in Amerika und weltweit erhält. Zusammen fördern diese komplementären Stärken nicht nur die bilateralen Ziele, sondern bieten auch ein Modell für die transatlantische Zusammenarbeit, von dem die gesamte Energiezukunft Europas profitieren kann.

Die Vereinigten Staaten begeben sich auf eine spannende Reise zur Wiederbelebung ihres Kernenergiesektors. Mit einer Kombination aus technologischen Durchbrüchen, ehrgeizigen politischen Reformen und einer erneuten Konzentration auf die heimischen Kapazitäten ist Amerika gut aufgestellt, um seinen eigenen Energiebedarf zu decken und gleichzeitig eine breitere Renaissance der Kernenergie in ganz Europa anzuregen und zu fördern. Die Zukunft sauberer, zuverlässiger Energie wird immer rosiger.

*) Brian M. Smith ist Direktor Nuclear Reactor Development im Idaho National Laboratory, Washington, DC.

*) Prof. Andreas Pautz ist Leiter des Zentrums für Nukleare Technologien und Wissenschaften (NES) am Paul-Scherrer-Institut.