EU-Taxonomie: Zum Urteil des EU-Gerichtes über die Aufnahme von Kernenergie

Wie berichtet, darf einem Urteil des Gerichtes der Europäischen Union zufolge die EU Kernkraft und Gas  weiterhin als klimafreundlich einstufen. Die Klage Österreichs gegen die Einbeziehung von Kernenergie und fossilem Gas in die Regelung für nachhaltige Investitionen wurde abgewiesen. Der Fachbereich Europa der Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages hat den Werdegang der Taxonomie und die Gerichtsentscheidung im folgenden, wörtlich übernommenen Artikel erläutert [1]. Hierin wird die besondere Bedeutung der Kernenergie zur Stromerzeugung in der EU hervorgehoben:

Im März 2022 wurden Kernenergie und fossile Gase durch einen delegierten Rechtsakt der Europäischen Kommission (KOM) in den Katalog der ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten der EU-Taxonomie aufgenommen. Hiergegen erhob Österreich am 7. Oktober 2022 Klage vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG). Mit Urteil vom 10. September 2025 wies das Gericht die Klage ab und entschied, dass die KOM mit der Aufnahme dieser Tätigkeiten in die Taxonomie nicht ihre vom Unionsgesetzgeber wirksam übertragenen Befugnisse überschritten habe. 

I. Hintergründe der EU-Taxonomie 

Mit der im Juni 2020 in Kraft getretenen Taxonomie-Verordnung (VO) werden Wirtschaftsaktivitäten als ökologisch nachhaltig klassifiziert, um damit den Grad der ökologischen Nachhaltigkeit einer Investition zu ermitteln. Durch die Klassifizierung sollen öffentliche und private Investitionen in die Förderung bestimmter Umweltziele, u.a. „Klimaschutz“ und „Anpassung an den Klimawandel“, gelenkt werden. Dabei stellt die Taxonomie den Bezugspunkt für weitere Initiativen dar wie beispielsweise Offenlegungspflichten von Unternehmen oder EU-Standards für europäische grüne Anleihen. In der Taxonomie-VO wird die KOM ermächtigt, „technische Bewertungskriterien“ zur Klassifizierung von Wirtschaftstätigkeiten in delegierten Verordnungen (Art. 290 AEUV) festzulegen. Hierfür trifft die Taxonomie-VO gewisse inhaltliche Vorgaben und regelt das Verfahren. Auf dieser Grundlage legte die KOM 2021 mit der delegierten VO (EU) 2021/2139 zunächst Bewertungskriterien für die Umweltziele der Taxonomie-VO fest. Am 9. März 2022 erließ die KOM die delegierte VO (EU) 2022/1214 (DVO 2022/1214), mit der Kernenergie und die Nutzung fossiler Gase unter bestimmten Bedingungen als nachhaltig eingestuft werden. 

II. Verfahren gegen die Entscheidungen der KOM 

Der Vorschlag der KOM zur Aufnahme von Kernenergie und Erdgas in die EU-Taxonomie war umstritten. Während u. a. Frankreich diesen Schritt begrüßte, wurde er von Deutschland abgelehnt. Weder im Rat der EU noch im Europäischen Parlament (EP) erreichten ablehnende Anträge die erforderlichen Mehrheiten. Daraufhin hat Österreich, unterstützt von Luxemburg, im Oktober 2022 Nichtigkeitsklage gegen die DVO 2022/1214 vor dem erstinstanzlich zuständigen EuG erhoben. Österreich rügte u. a., dass Kernenergie und fossile Gase nicht die materiellen Nachhaltigkeitsvorgaben der Taxonomie-VO erfüllten. Zudem sei die KOM nicht befugt, über die Einstufung der Kernenergie im Wege einer delegierten VO zu entscheiden. 

Im Oktober 2022 begehrte auch ein EP-Abgeordneter die Nichtigerklärung der DVO 2022/1214. Seine Klage stützte sich auf Rechtsverstöße im Normsetzungsverfahren, u. a. die Verletzung des Wesentlichkeitsvorbehalts und seiner Mitwirkungsrechte als EP-Mitglied. Das EuG wies sie 2023 aufgrund fehlender Klagebefugnis als unzulässig ab. Im April 2023 haben zudem verschiedene Umweltorganisationen Nichtigkeitsklagen gegen KOM-Entscheidungen betreffend die Prüfung der Einhaltung des EU-Umweltrechts bei der Einstufung von Erdgas bzw. Kernenergie als nachhaltig eingereicht (Rechtssachen T-214/23, T-215/23). 

III. Entscheidung des Gerichts in der Rechtssache T-625/22 (Österreich / Kommission) 

In seinem Urteil vom 10. September 2025 wies das EuG zunächst die Rüge von Verfahrensfehlern zurück. Die KOM habe beim Erlass der DVO 2022/1214 alle Konsultations- und Transparenzpflichten eingehalten. Die betreffe u. a. die Bewertung der Vereinbarkeit mit dem Ziel der Klimaneutralität bzw. den Klimazielen des Europäischen Klimagesetzes. Die Einbeziehung verstoße auch nicht gegen Art. 290 AEUV, wonach die KOM nur „nicht wesentliche Vorschriften“ des betreffenden Gesetzgebungsakts ergänzen oder ändern kann. Die wesentlichen Elemente der Taxonomie-VO bestünden insbesondere in der Festlegung von Umweltzielen, Nachhaltigkeitskriterien und Anforderungen an technische Bewertungskriterien. Die Festlegung technischer Bewertungskriterien für spezifische Wirtschaftstätigkeiten zähle hingegen nicht zu den wesentlichen Aspekten der Verordnung. Ausdrücklich ausgenommen sei nur die Stromerzeugung aus festen fossilen Brennstoffen. Die KOM werde somit ermächtigt, technische Bewertungskriterien unter Beachtung des Technologieneutralitätsgrundsatzes an den technologischen Fortschritt anzupassen. Dass die Einbeziehung von Kernenergie zwischen den Mitgliedstaaten umstritten war, sei für Art. 290 AEUV irrelevant, der dem Unionsgesetzgeber die wesentlichen Aspekte eines Bereichs, nicht aber dessen politische und umstrittene Aspekte vorbehalte. 

Die Vorgabe, dass eine Wirtschaftstätigkeit einen „wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz“ leisten muss, sei auch auf CO2-arme Tätigkeiten wie Kernenergie anwendbar. Die VO erfasse nicht nur CO2-intensive Übergangstätigkeiten, sondern alle Tätigkeiten, für die keine technologisch und wirtschaftlich durchführbaren CO2-armen Alternativen in ausreichendem Umfang verfügbar sind. Bei der Bewertung der KOM, dass erneuerbare Energien derzeit nicht in ausreichendem Umfang zur zuverlässigen Energieversorgung zur Verfügung stehen, sei das Erfordernis der Energieversorgungssicherheit (Art. 194 AEUV) zu berücksichtigen. Die Einbeziehung der Kernenergie sei auch mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar, in dem sich die Vertragsparteien verpflichtet haben, zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen u. a. durch die beschleunigte Einführung emissionsfreier oder emissionsarmer Technologien wie der Kernenergie beizutragen. 

Die Bewertung der KOM, dass Kernenergie keine erhebliche Beeinträchtigung der Umweltziele der Taxonomie-VO darstelle, sei nicht offensichtlich fehlerhaft. Die Anwendung des Vorsorgeprinzips erfordere u. a. eine auf schlüssige wissenschaftliche Beweise gestützte Risikobewertung. Dabei müsse nicht nachgewiesen werden, dass keinerlei Risiken bestünden, da es in der Praxis ein Risikoniveau von null nicht gebe. Die Einbeziehung von Kernenergie bewirke auch keine erhebliche Beeinträchtigung der mit der Taxonomie-VO verfolgten Umweltziele. Die KOM habe ihre Einschätzung u. a. zur nuklearen Sicherheit und Endlagerung radioaktiver Abfälle hinreichend begründet. Der Vortrag Österreichs zu den negativen Auswirkungen von Dürren und klimatischen Unwägbarkeiten sei zu spekulativ für den Nachweis eines offensichtlichen Beurteilungsfehlers. Auch sei die Lebenszyklusanalyse für beide Energiequellen korrekt durchgeführt worden. Diese erstrecke sich nicht notwendigerweise auf Tätigkeiten, die der betreffenden Wirtschaftstätigkeit vor- oder nachgelagert sind. 

Die Einbeziehung fossilen Gases sei als Übergangstechnologie ebenfalls rechtmäßig. Die festgelegten Emissionsschwellenwerte entsprächen den besten verfügbaren Technologien, unterstützen den schrittweisen Übergang zur Klimaneutralität und ermöglichten die Abkehr von noch CO2-intensiveren fossilen Brennstoffen. Es sei nicht nachgewiesen worden, dass CO2-ärmere Energiequellen dem Gebot der Versorgungssicherheit gerecht würden. 

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Österreich kann gem. Art. 256 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV i. V. m. Art. 56 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim Europäischen Gerichtshof einlegen.“

 

[1] Fachbereich Europa der Wissenschaftlichen Dienste, „Urteil des Gerichts der EU vom 10. September 2025 zur Aufnahme von Kernenergie und fossilen Gasen in die EU-Taxonomie“, Nr. 07/25 (19. September 2025), https://www.bundestag.de/publikationen