Endlagerung hochradioaktiver Abfälle immer fraglicher

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– Kommentar zum Kommissionsbericht –

Am 5. Juli 2016 übergab die „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ ihren nahezu 700 Seiten starken Abschlussbericht dem Präsidenten des Deutschen Bundestages und der Bundesumweltministerin. Der Titel des Berichtes: „Verantwortung für die Zukunft. Ein faires und transparentes Verfahren für die Auswahl eines nationalen Endlagerstandortes“. Einrichtung und Aufgabe der Kommission beruhen auf dem Standortauswahlgesetz, das am 1. Januar 2014 in Kraft trat.

Jemand, der die Entwicklung der jahrzehntelangen Endlagerplanung in Deutschland von Anfang an miterlebt hat, wird sich fragen, was dieser Bericht über den Neustart der Endlagersuche zu diesem Zeitpunkt soll. Will der Staat überhaupt noch ein Endlager für hochradioaktive Abfälle? Salzgestein war aus fachlich fundiertem Grund bereits in den 60er Jahren als Endlagergestein ausgewählt worden, es gibt einen Standort (Gorleben) und es liegt ein aussichtsreiches Ergebnis mit einer positiven internationalen Bewertung über eine mehrjährige Erkundung des Salzstockes vor, eine Bewertung, die auch die Auswahlkriterien für den Standort mit einschließt. Warum lässt man quasi den Standort „links liegen“ und fängt wieder bei Null an? War 40 Jahre lang dilettantisch gearbeitet worden? Wohl kaum, denn die Personen, die den Neuanfang starten werden, sind wohl weit gehend (noch) die gleichen, die auch bisher für die Planung verantwortlich waren.

In den nachfolgenden Ausführungen werden kritische Aspekte des Standortauswahlprozedere angesprochen, die die Realisierung der Standortauswahl und somit der Endlagerung zeitlich wie kostenmäßig fraglich wenn nicht sogar undurchführbar erscheinen lassen.

Vorgeschichte

Planung, Errichtung und Betrieb von Endlagern liegen in der Verantwortung des Bundes. Der von ihm im Einvernehmen mit der niedersächsischen Landesregierung im Jahre 1976 benannte Standort Gorleben, vorgesehen für die Endlagerung Wärme entwickelnder radioaktiver Abfälle und ursprünglich auch für die Einrichtung eines nuklearen Entsorgungszentrums, war seit seiner Benennung permanenter politischer Kontroversen und heftigen antinuklearen Demonstrationen ausgesetzt. Der Benennung war ein mehrstufiger, umfangreicher Auswahlprozess vorausgegangen. Kritiker bemängelten die ungenügende Öffentlichkeitsbeteiligung und die überwiegend politisch motivierten Gründe bei der Standortauswahl.

Die fehlende Endlagerung radioaktiver Abfälle wurde und wird auch heute noch argumentativ gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie ins Feld geführt. Da lag es nahe, aus der Sicht derer, die so argumentierten, Planungen der Endlagerung zu verzögern und zu behindern. Diese Einstellung gipfelt im rot-grünen Koalitionsvertrag von 1998 in der Feststellung:

„Die Koalitionsparteien sind sich einig, dass das bisherige Entsorgungskonzept für radioaktive Abfälle gescheitert ist und keine sachliche Grundlage mehr hat.“

Die gleiche Koalition bekannte sich dennoch drei Jahre später dazu, dass die bisherigen Ergebnisse der Standorterkundung nicht gegen eine Eignung des Salzstockes Gorleben als Endlager sprechen würden. Gleichwohl wurde der Erkundung am 29. September 2000 ein zehnjähriges Moratorium auferlegt. Im Jahr 2002 stellte der Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AkEnd) auf Verlangen des Bundesumweltministeriums (BMU) wirtsgesteinsunabhängige Ausschlusskriterien und Mindestanforderungen für die Auswahl von Standorten auf. Diese Kriterien stellten die Auswahl des Standortes Gorleben nicht in Frage, da sie keine neuen fachlichen und wissenschaftlichen Erkenntnisse enthielten.

Auch nach Ablauf der Moratoriumsfrist wurde der Erkundungsstopp nicht aufgehoben. Zwar wurden die bisherigen Erkundungsergebnisse in der 17. Legislaturperiode auf Veranlassung des BMU einer vorläufigen Sicherheitsanalyse unterzogen, deren Ergebnis allem Anschein nach für den Standort sprachen, das Analyseergebnis aber wurde vom BMU nie veröffentlicht. Der BMU verzichtete auf eine vorläufige Eignungsprognose Gorleben und sagte das ursprünglich für 2013 geplante internationale Peer Review über das Ergebnis dieser Sicherheitsanalyse ab. Im Ergebnis der Sicherheitsanalyse heißt es überdeutlich unter anderem: „Aus den Ergebnissen des Vorhabens „Vorläufige Sicherheitsanalysen Gorleben“ lässt sich ableiten, dass die im Vorhaben entwickelten Endlagerkonzepte im Verbund mit der geologischen Gesamtsituation am Standort Gorleben oder eines ähnlich gearteten Salzstandortes … geeignet sind, die langzeitsicherheitsbezogenen Sicherheitsanforderungen des BMU an die Wärme entwickelnden radioaktiven Abfälle zu erfüllen.“

Nach dem ohne vorherige parlamentarische Erörterung aus rein parteipolitischen Gründen erfolgten Beschluss der Bundesregierung im Jahre 2011, aus der Kernenergienutzung auszusteigen, wurde die bislang ungelöste Endlagerfrage einer breit angelegten politischen Erörterung unterzogen. Am 9. April 2013 verständigten sich Bund, Länder und Parteien auf ein Standortauswahlgesetz mit dem die Suche nach einem Endlagerstandort von neuem beginnt und zu dem der damalige Bundesumweltminister Peter Altmaier erklärte:

“Mit der heutigen Verständigung haben wir einen Durchbruch erzielt, nach dem Ausstieg aus der Kernenergie auch die Suche nach einem Endlager im gesamtgesellschaftlichen Konsens zu lösen. Damit werden wir jetzt auch den seit Jahrzehnten bestehenden Konflikt um ein atomares Endlager beenden. Die Verständigung über die Parteigrenzen und Länder hinweg ist möglich geworden, weil alle Beteiligten sich ihrer Verantwortung bewusst waren und sind und im Geist des Konsenses Kompromissbereitschaft gezeigt haben. Es zeigt auch, dass die Politik handlungsfähig ist und schwierige Fragen lösen kann, wenn Vertrauen hergestellt ist.”

Aufgabe der Kommission

Zur Aufgabe der Kommission heißt es im Standortauswahlgesetz: „Zur Vorbereitung des Standortauswahlverfahrens erarbeitet die Kommission einen Bericht. Sie geht in diesem Bericht umfassend auf sämtliche entscheidungserheblichen Fragestellungen ein. Sie unterzieht dieses Gesetz einer Prüfung und unterbreitet Bundestag und Bundesrat entsprechende Handlungsempfehlungen.“

Neben Entscheidungsgrundlagen für die Standortauswahl, die sich am Kriterium der bestmöglichen Sicherheit orientieren und wissenschaftsbasiert sein sollen, soll die Kommission unter anderem Vorschläge für Kriterien einer möglichen Fehlerkorrektur (dies läuft auf eine Rückholbarkeit der Abfälle hinaus) und Anforderungen an die Beteiligung und Information der Öffentlichkeit sowie Sicherstellung der Transparenz erarbeiten. Transparenz und Partizipation der Öffentlichkeit bei allen Verfahrensschritten wird als notwendige Voraussetzung einer von breiter Übereinstimmung getragenen Entscheidung angesehen.

Kommentar zum Bericht

Generelles

Bei der Verständigung zwischen CDU/CSU, SPD und Die Grünen auf einen Neubeginn der Standortsuche handelt es sich um keinen fachlich-wissenschaftlichen gebotenen Prozess, sondern sie dient vorrangig und wahrscheinlich sogar ausschließlich der Akzeptanzverbesserung auf politischer Ebene sowie in der Öffentlichkeit. Um den Grünen keinen Anlass zu geben, den Neustart später politisch zu torpedieren oder auf Landesebene bestehende Koalitionen nicht zu gefährden oder auch um Koalitionsmöglichkeiten mit der Partei offen zu halten, wurden Die Grünen als derzeitige Opposition im Deutschen Bundestag mit in die Verständigung eingebunden.

Bereits am 20.04.2015 betitelte die Frankfurter Allgemeine einen Zwischenstand der Kommissionsarbeit mit: “Atommüllendlager nicht mehr in diesem Jahrhundert. Die Entsorgung des radioaktiven Mülls wird wohl viele Milliarden Euro teurer. Außerdem zeigt sich: Faktisch sind die Zwischenlager die Endlager.“ Sie bezieht sich hierbei auf Aussagen des Kommissionsvorsitzenden Michael Müller (SPD), der in dem Zusammenhang durchblicken ließ, dass „erhebliche finanzielle Risiken auf den Staat zukommen“.

Sie trifft damit ins Schwarze. Der Zeithorizont für Suche, Auswahl, Planung, Errichtung, Betrieb und Verschluss des Endlagers ist geradezu utopisch. Ins absolut Unkalkulierbare werden sich damit auch die Kosten entwickeln. Zeiten von 80, 100 und mehr Jahren werden von der Kommission selbst genannt. Mehr als ein Menschenalter. Die angegebenen Zeitspannen für die eine oder andere Endlagerphase sind bereits derart groß, dass man nicht mal von einer Schätzung sprechen kann. Man weiß es einfach nicht besser. Diese Aussichten (die in Wahrheit keine sind) relativieren die Worte von Peter Altmaier „Mit der heutigen Verständigung haben wir einen Durchbruch erzielt“ erheblich. Vielmehr hat die Verständigung den Charakter eines Offenbarungseides.

Extrem lange Planungszeiten führen dazu, dass die Planungen stets von neuen Erkenntnissen aus Forschung und Entwicklung sowie fortgeschriebenen Sicherheitsbestimmungen und möglicherweise auch von neuen politischen Ideen überholt werden, was wiederum Rückwirkungen auf laufende Genehmigungsverfahren hat. Personelle Wechsel werden mit wachsender Dauer der Verfahren wahrscheinlicher mit der Folge neuer Einarbeitungen. Wer ein laufendes Verfahren übernimmt, setzt nicht dort fort, wo der Vorgänger aufhörte. Aus Gründen eigener Sicherheit wird er alte Vorgänge kontrollieren und unter Umständen zu anderen Erkenntnissen kommen.

Wirtsgesteine

Dem Standortauswahlgesetz entsprechend geht die Kommission bei der Standortsuche vom gesamten Bundesgebiet aus, von der so genannten weißen Landkarte Deutschlands. Das bedeutet zugleich, keine a priori Festlegung auf Salzgestein, sondern Berücksichtigung auch von Ton- und Kristallingestein (Granit) als mögliche Endlagerformation. Das gesamte Bundesgebiet flächendeckend zu untersuchen, ist unrealistisch und kann wohl nicht gemeint sein. Es werden immer Untersuchungslücken bleiben. Vielmehr wird diese gesetzliche Vorgabe der Absicht geschuldet sein, von vorne herein kein Bundesland „ungeschoren“ davon kommen zu lassen. Andererseits ist schwer vorstellbar, dass den Gesetzesinitiatoren die vor über zwanzig Jahren durchgeführten bundesweiten Untersuchungen der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) nicht bekannt waren. Im BGR-Bericht „Untersuchung und Bewertung von Regionen mit potenziell geeigneten Wirtsgesteinformationen aus dem Jahre 1994 sind die Kristallinvorkommen ausgewiesen und geologisch kartiert. Danach sind homogene und ungeklüftete Bereiche in einer für die Errichtung eines Endlagers notwendigen räumlichen Ausdehnung nicht zu erwarten. Der BGR-Bericht „Untersuchung und Bewertung von Tongesteinsformationen“ aus dem Jahr 2007 weist untersuchungswürdige Vorkommen (nur) in der Kreide Norddeutschlands sowie im Jura Nord- und Süddeutschlands (Region Ulm) aus. Dass untersuchungswürdige Salzlagerstätten in großer Zahl in Norddeutschland vorhanden sind, ist im BGR-Bericht von 1995 bekannt gemacht worden. Was also sollen die erneuten Untersuchungen außer erhebliche zusätzliche Kosten und einen mächtigen Zeitbedarf anderes bringen?

Käme es zu einem Wechsel von dem bislang favorisierten Salzgestein zum Tongestein, müsste man mit erheblichen technischen Konsequenzen rechnen (1)

  • deutlich höherer Erkundungsaufwand
  • etwa Verdreifachung der Behälterzahl wegen geringerer Temperaturbelastbarkeit des Tons gegenüber Salz
  • größeres Grubengebäude, mehr als 200 km Strecken (Faktor 8-9 gegenüber Salz)
  • deutlich erhöhter Forschungs- und Entwicklungs-Bedarf (Wirtsgestein, Behälter, Barrieren…)
  • hoher Ausbauaufwand für das Grubengebäude (Salzgestein ist selbsttragend)

Auswahlverfahren

Das beschriebene Vorgehen bei der Standortauswahl enthält nichts grundsätzlich Neues. Die recht allgemein gefassten Ausschlusskriterien, Mindestanforderungen und Abwägungskriterien als Mittel des Auswahlprozesses finden sich bereits in vergleichbarer Form im Bericht des oben zitierten Arbeitskreises „Auswahlverfahren Endlagerstandorte“. Ein mit Mitgliedern der Kommission geführtes Interview (4) macht allerdings deutlich, dass insbesondere bei den geowissenschaftlichen Abwägungskriterien häufig kein Konsens bestand. Neue Kriterien, die bisher in Fachkreisen keine Berücksichtigung gefunden haben, wurden zu Konfliktthemen, heißt es im Interview. Dass sich diese oder ähnliche Konflikte durch das ohnehin schon schwierige Suchverfahren ziehen werden und es weiter verkomplizieren, ist geradezu systembedingt.

„Bestmöglicher“ Standort und Standortvergleich

In Zeiten der rot-grünen Bundesregierung war die Suche nach dem „bestmöglichen“ Standort gefordert worden. Eine rein politische Forderung, die gegen Gorleben sprechen sollte. Höchste Sicherheitsanforderungen an ein Endlager bestanden selbstredend bereits zum Zeitpunkt der Gorleben-Benennung. Obwohl es sich bei der Forderung nach dem bestmöglichen Standort um eine objektiv unmögliche Zielsetzung handelt, heißt es unter „Zweck und Ziel“ des StandAG – Entwurfes vom 14.5.2013:

„Es wird ein vergleichendes Standortauswahlverfahren neu eingerichtet, das auf die Ermittlung des im Hinblick auf die Sicherheit bestmöglichen Standortes in Deutschland gerichtet ist.“

Die Kommission greift in ihrem Bericht die Formulierung in § 1 StandAG auf und spricht weniger missverständlich vom Standort mit bestmöglicher Sicherheit:

„Der gesuchte Standort für ein Endlager für hoch radioaktive Abfallstoffe bietet für einen Zeitraum von einer Million Jahren die nach heutigem Wissensstand bestmögliche Sicherheit für den dauerhaften Schutz von Mensch und Umwelt vor ionisierender Strahlung und sonstigen schädlichen Wirkungen dieser Abfälle.“

Problematisch wird es mit der Empfehlung im sich anschließenden Satz: „Dieser Standort ist nach den entsprechenden Anforderungen in einem gestuften Verfahren durch einen Vergleich zwischen den in der jeweiligen Phase geeigneten Standorten auszuwählen.“

Vergleichende Standortuntersuchungen in diesem Sinn sind faktisch unmöglich, da durch die Variabilität geologischer Formationen sowie die beabsichtigte Einbeziehung unterschiedlicher Wirtsgesteine (Salz, Ton, Granit) grundsätzlich unterschiedliche Endlagerkonzepte (technisch und geotechnisch) erforderlich sind, die folglich wirtsgesteins- und standortspezifisch zu entwickeln und anzupassen sind. Die Bewertung der Endlagersicherheit, insbesondere die Langzeitsicherheit, kann daher nur für einen konkreten Standort auf der Grundlage des Gesamtkonzeptes erfolgen.

Diese Auffassung wird auch vom Bundesamt für Strahlenschutz im 2005 vorgelegten Synthesebericht (2) geteilt, in dem es heißt: „Es gibt kein Wirtsgestein, das grundsätzlich immer eine größte Endlagersicherheit gewährleistet. Für alle in Deutschland relevanten Wirtsgesteine können angepasste Endlagerkonzepte entwickelt werden. Ein Vergleich verschiedener Optionen ist nur im Vergleich konkreter Standorte und Endlagerkonzepte möglich.“ Schnee von gestern? Keineswegs. Es wäre schon viel erreicht, wenn sich die verantwortliche Behörde an ihre eigenen Bewertungen erinnern und diese auch konsequent vertreten würde. Allein gemessen an dieser Aussage in einem amtlichen Dokument ist das extrem aufwendige neue Suchverfahren reine Zeit- und Geldverschwendung.

Sollte es zum Wechsel des Wirtsgesteins kommen, wären weit reichende Konsequenzen für das Endlager-, Einlagerungs- und Behälterkonzept sowie die notwendigen Betriebszeiten in Betracht zu ziehen. Zudem bestünde weit reichender Forschungs- und Entwicklungsbedarf (1), da sich die Endlagerung bisher in Deutschland ausschließlich auf Salzgestein konzentriert hat. Es steht daher außer Frage, dass der Wechsel den Zeitbedarf und die Endlagerkosten erheblich in die Höhe treiben wird.

Fehlerkorrektur

Der Grundsatz der Fehlerkorrektur ist konzeptionell neu. Dazu heißt es im StandAG: „Die Kommission soll Vorschläge erarbeiten für Kriterien einer möglichen Fehlerkorrektur (Anforderungen an die Konzeption der Lagerung insbesondere zu den Fragen der Rückholung, Bergung, und Wiederauffindbarkeit der radioaktiven Abfälle sowie der Frage von Rücksprüngen im Standortauswahlverfahren).“

Die Kommission versteht ihre Arbeit und die spätere Standortsuche als ein lernendes Verfahren. Dabei sind Entscheidungen gründlich auf mögliche Fehler oder Fehlentwicklungen zu prüfen. Die Möglichkeit zur Umsteuerung (Reversibilität) im laufenden Verfahren, sei erforderlich, um Fehlerkorrekturen zu ermöglichen, um Handlungsoptionen für zukünftige Generationen offen zu halten, zum Beispiel zur Berücksichtigung neuer Erkenntnisse, und könne zum Aufbau von Vertrauen in dem Prozess beitragen. Konzepte der Rückholbarkeit der Abfälle beziehungsweise der Reversibilität von Entscheidungen seien dafür zentral.

Soweit so gut. Konfliktträchtig ist die Empfehlung der Kommission: „Bevor unumkehrbare oder nur unter großem Aufwand revidierbare Entscheidungen getroffen werden, muss eine transparente und wissenschaftlich gestützte Evaluation unter Beteiligung der Öffentlichkeit und der vorgesehenen Gremien durchgeführt werden. Der gesamte Prozess muss transparent sein, in substantieller Beteiligung der Öffentlichkeit und der Regionen erfolgen und als ein selbsthinterfragendes System gestaltet werden.“

Hiermit wird ein Präzedenzfall geschaffen, der auf andere Großprojekte überspringen kann. Die eindeutig rechtlich geregelte Öffentlichkeitsbeteilung würde nach dieser Empfehlung extrem ausgeweitet. Durch die Option „Rücksprünge im Standortauswahlverfahren“ kann das Verfahren beliebig in die Länge gezogen werden. Stillstände im Verfahren sind geradezu unvermeidbar, wenn die neue Form der Öffentlichkeitsbeteiligung nicht eindeutig geregelt wird. Aber auch dann muss nach bisherigen Erfahrungen mit Verzögerungen gerechnet werden. Sollte der Öffentlichkeit gar Klagebefugnis eingeräumt werden, dann sind jegliche Prognosen über den Verfahrensablauf mit extremen Unsicherheiten behaftet. Scheitern eingeschlossen.

Rückholung

Eingangs zu diesem Thema heißt es im Bericht: „Das Verbringen der radioaktiven Abfälle in einem eigens dazu angelegten Bergwerk in einer tiefen geologischen Formation ohne Rückholungsoptionen gehört zu den bestuntersuchten Entsorgungsoptionen.“

Gleichwohl gelangt die Kommission zu der Auffassung, „dass eine geologische Endlagerung ohne Vorkehrungen, die eine Rückholung oder Bergung der Abfälle zur Fehlerkorrektur ermöglichen, nicht mehr den heutigen Anforderungen und dem Bedürfnis nach Kontrollierbarkeit entspricht und empfiehlt daher, Überlegungen zur Endlagerung ohne solche Fehlerkorrekturmöglichkeiten nicht weiter zu verfolgen.“

Begründet wird diese Auffassung mit Zweifeln an der „zentralen Prämisse, dass eine technisch/geologisch absolut sichere Lösung möglich ist, dass also Sicherheitsnachweise so verlässlich geführt werden können, dass zukünftige Generationen vor möglichen Schädigungen durch die Abfälle garantiert geschützt sind. Diese Prämisse entstammt einem technisch/naturwissenschaftlichen Machbarkeitsideal, das durch die Bewusstwerdung der Ambivalenz von Technik, insbesondere im Auftreten nicht intendierter Folgen, in grundlegende Zweifel geraten ist.“ Absolute Sicherheit kann es nicht geben. Sie wurde ausgiebig bei der Kernenergienutzung erörtert. Das Bundesverfassungsgericht fällte hierzu am 08. August 1978 zum Schnellen Brüter in Kalkar ein Grundsatzurteil, in dem es heißt:

„Die in die Zukunft hin offene Fassung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG dient einem dynamischen Grundrechtsschutz. Sie hilft, den Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtomG jeweils bestmöglich zu verwirklichen.

Vom Gesetzgeber im Hinblick auf seine Schutzpflicht eine Regelung zu fordern, die mit absoluter Sicherheit Grundrechtsgefährdungen ausschließt, die aus der Zulassung technischer Anlagen und ihrem Betrieb möglicherweise entstehen können, hieße die Grenzen  menschlichen Erkenntnisvermögens verkennen und würde weithin jede staatliche Zulassung der Nutzung von Technik verbannen. Für die Gestaltung der Sozialordnung muss es insoweit bei Abschätzungen anhand praktischer Vernunft bewenden. Ungewissheiten jenseits dieser Schwelle praktischer Vernunft sind unentrinnbar und insofern als sozialadäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen.“

Diese Kernaussage des Grundsatzurteils sollte auch maßgeblich für die Sicherheitsanforderungen und Sicherheitsauslegungen eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle sein. Die Sicherheitsanforderungen basieren auf sehr umfänglichen, zumeist ausgesprochenen konservativen Störfallanalysen, die alle nach menschlichem Erkenntnisvermögen denkbaren Ereignisse einschließen und somit die Notwendigkeit einer Rückholung aus Sicherheitsgründen nicht notwendig machen. Der Sicherheit ist bei der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle absoluter Vorrang einzuräumen. Hier unter Umständen Abstriche in Kauf zu nehmen, um die Rückholbarkeit zu ermöglichen, wäre nicht akzeptabel.

Öffentlichkeitsbeteiligung

Die Beteilung der Öffentlichkeit geht weit über das hinaus, was bisher in atomrechtlichen Genehmigungen gefordert ist. Im Bericht selbst wird das neue Vorgehen nicht unkritisch gesehen. Dort heißt es:

„Das vorgeschlagene partizipative Suchverfahren betritt in zentralen Fragen Neuland. Es bearbeitet ein hoch komplexes Thema mit einer über viele Jahrzehnte hinweg konfliktreichen Vorgeschichte und mit dem Ziel, eine in einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragene Lösung zu finden, die letztlich auch von den unmittelbar Betroffenen toleriert werden kann. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn alle Parteien nicht nur fair und vorbehaltlos am gesamten Verfahren beteiligt werden, sondern wenn bei diesen auch die Bereitschaft besteht, sich auf eine neue gesellschaftliche Konfliktkultur einzulassen, die vergangene Konflikte nicht ignoriert und neu entstehende Konflikte thematisiert, sich dabei aber stets am Prinzip einer konstruktiven Konfliktbearbeitung orientiert und den Fokus auf das gemeinsame Ziel einer weitgehend konsensualen und gesellschaftlich tragfähigen Lösung nicht aus den Augen verliert.“

Mit der Endlagerung radioaktiver Abfälle haben wir in Deutschland in der Tat ein politisches und gesellschaftspolitisches Problem, kein technisches Problem, denn die wissenschaftlich-technischen Voraussetzungen für die Endlagerung in Salzgestein sind weit gehend erfüllt. Lösungen für diese Probleme zu finden, denen wir uns in Deutschland seit Jahrzehnten ausgesetzt sehen, scheiterten nicht zuletzt an Politikern, die an einer Lösung nicht interessiert waren, die vielmehr die Ablehnungen im Volke für ihre politischen Zwecke ausnutzten und die Stimmung gegen die Endlagerung aufheizten. Der bekannte Demonstrationsruf „Gorleben ist überall“ lässt erahnen, dass die Voraussetzungen, einen neuen Standort zu finden, denkbar schlecht sind, egal, wie „demokratisch“ das Auswahlverfahren und die nachfolgenden Standortuntersuchungen auch angelegt sind. Wenn Bürger ein Endlager absolut nicht in der Nähe ihres Wohnortes haben wollen, werden sie alles dran setzen, dies zu verhindern. Die im Bericht empfohlenen Regionalkonferenzen als zentrale Begleitgremien, überregionale Partizipationen oder dergleichen werden daran nichts ändern. Das lehrt die langjährige Erfahrung. Vielmehr werden Beteiligungsmöglichkeiten bis zum Exzess ausgenutzt werden. Und was nicht vergessen werden darf: Die Bürgerproteste rund um Gorleben waren nach Lage der Dinge erfolgreich. Sie sind Vorbild und das macht den Gegnern Mut. In diesem Zusammenhang sei an jüngste Äußerungen der Bundesumweltministerin Barbara Hendricks erinnert, die den Einsatz der Bürger gegen den Standort Gorleben lobte. Dieser Einsatz war alles andere als friedlich. Die Bilder von gewalttätigen Protesten prägten die Berichterstattungen.

Langfristige Zwischenlagerung

Das Ende der Einlagerung radioaktiver Abfälle in das geplante Endlager erwarten Mitglieder der Kommission nach FAZ-Angaben (3) erst „zwischen 2075 und 2130“. Folglich sind abgebrannte Brennelemente und Glaskokillen für eine Zeit von heute ab gerechnet weitere 59 bis 115 Jahre zwischenzulagern. Dieser Zeitraum überschreitet die geplanten Zwischenlagerzeiten um Jahrzehnte. Die Zwischenlagerung mutiert zum Dauerzustand. Die atomrechtlichen Genehmigungen sind für die Zwischenlagerungen auf 40 Jahre befristet. Fristverlängerungen sind unausweichlich. Der Vorsitzende der Entsorgungskommission warnte gar vor der Gefahr der Freisetzung großer Mengen Radioaktivität etwa durch Krieg oder Terrorismus (3) bei oberirdischer Lagerung.

Fazit

Dem bestuntersuchten, aussichtsreichen Untersuchungsbergwerk am Standort Gorleben wird ein „Dornröschenschlaf“ verordnet, ähnlichen einem gesunden Patienten, der auf unbestimmte Zeit in ein künstliches Koma versetzt wird.

Der Kommissionsbericht, wäre er in den 70er Jahren erstellt worden und der ihm zu Grunde liegende überparteiliche Konsens über die Grundsätze der Standortauswahl, hätten der Endlagerplanung zu jener Zeit durchaus effektive Dienste erweisen können. Sämtliche Aspekte der Endlagerung werden grundlegend behandelt. So aber ist den Politikern der Vorwurf zu machen, dass sie mit dem Neubeginn der Standortsuche und dem hierfür ursächlichen Standortauswahlgesetz (StandAG) gewaltig auf Zeit spielen wollen. Wird das Gesetz das Endlagervorhaben in überschaubarer Zeit voranbringen? Nein. Dieser Konsens, zumal der überparteiliche Konsens, wird sich nach aller Erfahrung recht schnell als brüchig erweisen. Politiker wollen (wieder) gewählt werden und dann wird sich erweisen, wer zu ausgewählten Standorten steht und vor Ort dies politisch durchsteht. Bereits in der nächsten Phase, der Anpassung des StandAG an die Empfehlungen der Endlagerkommission, der rechtlichen Normierung des Auswahlverfahrens sowie der Öffentlichkeitsbeteiligung, wird sich zeigen, ob der politische Konsens von Dauer ist. Bayern und Sachsen sind bereits mit der Erkenntnis vorgeprescht, sie würden nicht über geeignete Gesteinsformationen verfügen. Das „Schwarze Peter Spiel“ zwischen den Ländern hat also bereits begonnen. Die von der Kommission geforderte Bedingung, dass bei allen Parteien die Bereitschaft bestehen müsse, sich auf eine neue gesellschaftliche Konfliktkultur einzulassen und sich dabei aber stets am Prinzip einer konstruktiven Konfliktbearbeitung zu orientieren, ist illusorisch.

Sämtliche operativen Tätigkeiten der langfristigen Zwischenlagerung, gegebenenfalls der Abfallkonditionierung sowie Planung, Errichtung und Betrieb des Endlagers sollen der neu zu gründenden Bundesgesellschaft für Endlagerung – also einer staatlichen Einrichtung – übertragen und bisher auf diesem Sektor tätige Unternehmen aufgekauft werden. Ob dieser Schritt aus der Sicht Kosten und Zeit ein vorteilhafter sein wird, sei dahin gestellt. Die Negativerfahrungen mit den derzeit in staatlicher Verantwortung errichteten Großprojekten in Deutschland (z.B. Berliner Flughafen) begründen erhebliche Zweifel. Auch die immer wieder hinaus geschobene Fertigstellung des Endlagers Konrad sollte Warnung genug sein. Ein Großprojekt wie die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle gehört in die Verantwortung eines Generalunternehmers mit industrieller vorzugsweise bergmännischer Erfahrung. Spätestens bei der endlagergerechten „Verpackung“ abgebrannter Brennelemente wird die Gesellschaft und damit der Staat mit nuklearem Material im Sinne des Atomgesetzes umgehen und dafür eine nukleare Anlage planen, errichten und betreiben müssen. Auch dafür muss ein Standort gefunden werden! Zwar existiert mit der Pilotkonditionierungsanlage am Standort Gorleben eine bislang ungenutzte Einrichtung für die endlagergerechte Verpackung der Brennelemente beziehungsweise der Brennstäbe. Diese Art der Verpackung aber war für die Endlagerung in Salzgestein vorgesehen. Bei anderer Endlagerformation wird diese Verpackungsart wohl nicht zum Einsatz kommen. Zudem ist fraglich, ob zum Zeitpunkt der Verpackung die vorhandene Anlage noch die dann geltenden Sicherheitsanforderungen erfüllt.

Genehmigung von und Aufsicht über Tätigkeiten der Gesellschaft werden dem neuen Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit übertragen. Mit der Leitung wurde kürzlich eine Person betraut, die sich seit 18 Jahren gegen die Standorterkundung Gorleben ausgesprochen hat. Kein Vertrauen erweckender Akt, der von der Bundesumweltministerin vollzogen wurde.

Die Empfehlung zur Rückholbarkeit sollte angesichts höchstrichterlicher Entscheidung und im Hinblick auf uneingeschränkte Sicherheit der Endlagerung nochmals überdacht werden.

Ob das StandAG die nächsten zehn Legislaturperioden überdauern wird, ist nicht vorhersehbar. Völlig neue, heute noch nicht absehbare technische wie politische Entwicklungen in dieser Zeit lassen aber einen unveränderten Bestand eher unwahrscheinlich annehmen. Durch Transparenz und Beteiligung Einvernehmen mit Bürgern zu erreichen ist Kernstück des StandAG und des Kommissionsberichtes. Scheitert das Einvernehmen, dann scheitert auch die Standortfindung und damit das Endlagervorhaben. Die Endlagersuche in Schweden und in der Schweiz mag als Vorbild gedient haben, auf Deutschland ist es nicht übertragbar. Der richtige Zeitpunkt für Offenheit und Ehrlichkeit wurde verpasst. Die Politik hätte zur rechten Zeit den Mut und den Willen haben müssen, auch gegen Widerstände und Empörungen ihr Endlagervorhaben überzeugend zu gestalten. Das ist nicht nur unterblieben, es wurde über Jahre politisch zerredet. Das StandAG wird auch mit den von der Kommission gegebenen Empfehlungen Bürgerproteste nach bisherigen Erfahrungen nicht verhindern. Die Sondervoten im Kommissionsbericht sind in dieser Hinsicht ein klares Signal. Die von der Kommission genannten Zeitvorstellungen für das Standortsuch- und Auswahlverfahren lassen den Schluss zu, dass die Befürworter des Standortauswahlgesetzes im Zeitrahmen ihrer politischen Verantwortung die Endlagerung nicht anstreben. „Nach mir die Sündflut“ nennt der Volksmund diese Einstellung.

 

Schlussbemerkung

Der folgende Hinweis hat nichts mit dem Bericht der Endlagerkommission zu tun, wohl aber viel mit Verhältnismäßigkeit:

Giftiger Sondermüll wird seit Jahren in Deutschland ebenfalls in Salzkavernen endgelagert, ohne dass ein auch nur annähernd vergleichbarer politischer und geowissenschaftlicher Aufwand im Vergleich zur Endlagerung radioaktiver Abfälle bekannt wäre. Wer die von Radioaktivität ausgehende Gefährdung als ungleich höher bewertet als die von giftigem Sondermüll, dem sei gesagt, dass die Radioaktivität von Jahr zu Jahr geringer wird, die Toxizität des Sondermülls aber bleibt unverändert. Ohne die Endlagersicherheit bei giftigem Sondermüll infrage zu stellen, ist davon auszugehen, dass die Anforderungen an das Endlager für radioaktive Abfälle ungleich höher sind, was sich auch in den Kosten der Endlagerung nieder schlägt.

 

Quellennachweis

(1) Stefan Weber, Vortrag „Die neue Endlagersuche und Stand der Arbeiten der Kommission Lagerung hochradioaktiver Abfallstoffe“, Berlin Oktober 2014

(2) BfS Konzeptionelle und sicherheitstechnische Fragen der Endlagerung radioaktiver Abfälle. Wirtgesteine im Vergleich. Synthesebericht. Salzgitter, 4.11.2005

(3) Frankfurter Allgemeine Zeitung, „Atommüll-Endlagerung nicht mehr in diesem Jahrhundert“, 20.04.2015

(4) Interview (Teil I) in atw Vol. 61 (2016), S.517ff, „Generationsaufgabe Endlagerung – eine Kommission plant für die Zukunft“