Immer mehr neue Nationen setzen auf Kernenergie

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Ende des Jahres 2022 bestand der weltweite Kernkraftwerkspark aus 438 Reaktoren in 33 Ländern. Sechs neue Kernkraftwerke gingen im Jahr 2022 ans Netz, fünf Einheiten wurden stillgelegt. Die installierte Nettoleistung stieg auf rund 393.600 Megawatt. Die Kernenergie ist weiterhin die zweitgrößte Quelle sauberen Stroms mit einem Anteil an der globalen Stromproduktion von 10%, in der EU rund 25% [1].

 Im Jahr 2022 sind sechs neue Kernkraftwerke (KKW) mit dem Netz verbunden worden, darunter mit Olkiluoto-3 in Finnland der erste neue Reaktor in Westeuropa seit rund 15 Jahren. Mit Fuqing-6 und Hongyanhe-6 verzeichnete Chinazwei Inbetriebnahmen. Zudem speisten 2022 Karachi-3 in Pakistan, Shin-Hanul-1 in Südkorea und Barakah-3 in den Vereinigten Arabischen Emiraten erstmals Strom ins Netz ein; letzteres nach einer Bauzeit von sechs Jahren [1].

Im Jahr 2022 startete der Bau von acht weiteren Kernkraftwerken, darunter die ersten beiden Einheiten des Neueinsteigers Ägypten. Auch in der Türkei geht der nukleare Einstieg voran: Am Standort Akkuyu begann im Juli 2022 der Bau des vierten Reaktors. China verzeichnete im vergangenen Jahr fünf Baustarts. Weltweit sind 57 neue Kernkraftwerke in Bau und gut 100 weitere geplant.

Zum ersten Mal seit der Fukushima-Reaktorkatastrophe von 2011 hat die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) ihre Prognosen für die jährliche Stromerzeugung aus Kernenergie angehoben, was einen signifikanten Wandel in der Kernenergiepolitik auf der ganzen Welt bedeutet. Nach Jahren der Skepsis und Besorgnis überdenken Länder auf der ganzen Welt nun ihre Position zur Kernenergie – überzeugt von ihrem Potenzial, langfristig eine effiziente und zuverlässige heimische Energiequelle bereitzustellen.

Ein Jahrzehnt nach dem Unfall von Fukushima, scheint es unwahrscheinlich, dass die öffentlichen Vorbehalte gegenüber der Kernenergie ihre zunehmende Nutzung aufhalten werden.

Japan steht unerwartet an der Spitze dieser nuklearen Wiederbelebung, wobei Premierminister Fumio Kishida Pläne zur Wiederinbetriebnahme einer Reihe von stillgelegten Kernkraftwerken des Landes ankündigte und Absichten zur Entwicklung von Kernreaktoren der nächsten Generation festlegte.

Belgien, das bis 2025 vollständig aus der Kernenergie auszusteigen wollte, hat am 10.01.2023 beschlossen, die Laufzeit ihrer beiden neuesten Reaktoren Doel-4 und Tihange-3 um 20 Jahre zu verlängern.

Die Niederlande sollen im nächsten Jahrzehnt zwei neue Kernkraftwerke bekommen. Als Grund gibt die neue Koalition unter Ministerpräsident Rutte den Klimawandel und die Versorgungssicherheit an. Die Koalition hat sich auf nicht weniger als die Rückkehr zur Kernenergie verständigt.

Polen plant den Bau von sechs Kernkraftwerke bis 2040 an mehreren Standorten des Landes. Im März vergangenen Jahres wurde der Bericht zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) für die erste Anlage eingereicht. In den Standort- und Nachbargemeinden der Anlage wurde im Dezember 2022 die jährliche Befragung zur «Einstellung zur Kernenergie» durchgeführt. Sie ergab, dass die Unterstützung für die Kernenergie innerhalb eines Jahres weiter markant angestiegen ist.

UK planning for rapid nuclear expansion“ meldete World Nuclear News am 7. April 2022. Bis 2050 soll die Kapazität auf 24 GWe ausgebaut werden, was etwa 25% des prognostizierten Strombedarfs entspricht. Im September versprach der scheidende Premierminister Boris Johnson 700 Millionen Pfund für den Bau des neuen Kraftwerks Sizewell C in Suffolk und verpflichtete sich zur Kernenergie als einer der letzten Handlungen seiner Amtszeit.

Die Länder, die auf Atomkraft angewiesen sind. Anteil der Kernenergie an der gesamten Stromerzeugung im Jahr 2021. Quelle: IAEA

Im Programm der jetzt in Italien regierenden LEGA ist die Prüfung auf Rückkehr zur Kernenergie enthalten. Die Regierungspräsidentin Giorgia Meloni hatte schon im Wahlkampf eine entsprechende Forderung erhoben. Vizepräsident und Infrastrukturminister Salvini bekräftigte: „Ich werde hartnäckig für Italiens Rückkehr zur Kernenergie arbeiten. Italien könnte in sieben Jahren ein Kernkraftwerk besitzen und damit Energie zu niedrigeren Kosten erzeugen als heute. Reaktoren der neuesten Generation sind die sicherste und sauberste Form der Energiegewinnung, das ist die Zukunft“ [2].

Eines der stärksten Argumente für Investitionen in die Kernenergie ist, dass sie den Nationen mehr Energiesicherheit und Unabhängigkeit gewährt, zudem eine CO2-freie Stromerzeugung. Wobei Frankreich als offensichtliche Erfolgsgeschichte hervorsticht. Frankreich bezieht rund 70 Prozent seines Stroms aus Kernenergie (Abbildung) und verfügt über eine Energieunabhängigkeit von 53,4 Prozent – eine der höchsten Raten in der EU. Bei diesem Maß an Autonomie ist die Nation weniger russischen Kürzungen bei den Gaslieferungen ausgesetzt. Frankreich beherrscht die Kerntechnik und hat eine eigene Industrie für Kernkraftwerksbau sowie für den geschlossenen Kernbrennstoff-Kreislauf aufgebaut. Also auch hier autark. Selbst die Endlagerung hochaktiver Nuklearabfälle ist auf der Zielgeraden, während die Endlagerung mittel- und schwach radioaktiver Abfälle seit Jahren in Frankreich praktiziert wird.

Aktuelle Nachricht: Der französische Senat hat in erster Lesung am 24.01.2023 mit grosser Mehrheit einem Gesetzesentwurf zugestimmt, der den beschleunigten Bau neuer Kernreaktoren zum Ziel hat. Um keine Zeit zu verlieren, sollen bürokratische Hürden abgebaut werden. Auch soll der Anteil des Nuklearstroms am Strommix Frankreichs bis 2035 nicht mehr von 70 auf 50% reduziert werden – ältere Reaktoren sollen weiterlaufen.

Wenn nicht in letzter Minute noch ein politisches Umdenken in Deutschland eintritt, werden die 11,9 % Kernenergiestrom bald Geschichte sein. Es sei denn, die “Ampel” hört auf das Volk.

Bild brachte am 30.01.2023 auf der Titelseite das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung: Danach sprechen sich 71% der Deutschen für den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke aus.

Europäische Verbundpartner äußern sich besorgt über die Verlässlichkeit der Stromversorgung in und aus Deutschland. Jeder Partner des Verbundsystems trägt Verantwortung für die Netzstabilität in seinem Land sowieso und zugleich auf europäischer Ebene. Wenn die deutsche Energiepolitik etwas beherrscht, dann ist es ihre Unfähigkeit, den Realitäten gerecht zu werden.

 Die Unmittelbarkeit der gegenwärtigen Energiekrise erfordert schnelles Handeln, um die Rechnungen niedrig zu halten und die Lichter nicht ausgehen zu lassen. In Deutschland könnte die Kernenergie ein Teil der Lösung der Energiekrise sein. Investitionen in die Kernenergie werden die Energiekrise dieses Winters nicht lösen – aber sie könnten verhindern, dass die nächste Krise so hart zuschlägt. Da sich die Energielandschaft durch die Ereignisse des vergangenen Jahres so dramatisch verändert hat, ist die Energieversorgungssicherheit verständlicherweise eine langfristige Priorität für die EU, und die Kernenergie könnte sich als entscheidend für die Erreichung dieses Ziels erweisen.

 

[1] www.nuklearforum.ch/de/medien.

[2] Marco Gallina, „Renaissance des Pragmatismus“, Tichys Einblick 02/23