Kritische Betrachtung der „Wasserstoff-Strategie“ der Bundesregierung

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Elektrolytisch erzeugter „grüner“ Wasserstoff soll die Energiewende retten, im Direkteinsatz des Wasserstoffs oder als Energiespeicher. Über das grundsätzliche Für und Wider des Wasserstoffs berichteten wir bereits. Hier schauen wir uns die fortgeschriebene Wasserstoff-Strategie der Bundesregierung näher an.

Das nachfolgende Zahlenwerk ist reichlich verwirrend und bleibt nur selten im Gedächtnis. Als Ergebnis der Rechnungen und Überlegungen bleibt daher festzuhalten:

  • Die Herstellung von „grünem“ Wasserstoff durch Elektrolyse ist extrem stromintensiv. Die eingesetzte Stromenergie übersteigt deutlich die Energie des erzeugten Wasserstoffs.
  • Die im Strategiepapier genannte 10 GW Elektrolysekapazität entspricht in der Größenordnung der Leistung von 6 Kernkraftwerken.
  • Über den erforderlichen Bedarf an „grünem“ Wasserstoff liegen keine konkreten Zahlen vor. Bei der Annahme eines Bedarfs nach 2030 im mittleren unteren Bedarf von 300 TWh übersteigt der Strombedarf deutlich die derzeitige jährliche Ökostrom-Erzeugung, was den Zubau von mehreren 10.000 Windenergieanlagen in der 5 MW Kategorie erforderlich machen würde. Allein nur zur Wasserstofferzeugung.
  • Für die Kosten der erforderlichen Anlagen zur Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien und zur grünen Wasserstofferzeugung kommen nach Haferburgs Angaben bis 2030 etwa 500 Milliarden Euro auf die Deutschen zu.
  • Die Umstellung allein des Erdgases auf Wasserstoff im Zuge der Decarbonisíerung erfordert bereits mehr als das Doppelte des unterstellten Wasserstoffbedarfs von 300 TWh, was einem Wasserstoffvolumen von 100 Milliarden Norm-Kubikmetern entspricht. Die Umstellung sämtlicher Primärenergien auf Wasserstoff ist energetisch, kosten- und mengenmäßig eine Illusion.
  • Der Zeitplan für den Ausbau des Wasserstoff-Verteilungsnetzes bis 2032 ist unrealistisch.
  • Wegen fehlender technischer Voraussetzungen zur Wasserstofferzeugung in den Exportländern und fehlender Transportlogistik ist an einen Wasserstoffimport aus diesen Ländern in den nächsten Jahren nicht zu denken.

„Wasserstoff-Wirtschaft“

„Deutschland wird zur Wasserstoff-Wirtschaft“, heißt es großspurig auf der Internetseite des Bundesministeriums für Bildung und Forschung [1]  zur Wasserstoffstrategie. Bis 2030 will die Bundesregierung 10 GW*) Elektrolysekapazität aufbauen. „Das reicht voraussichtlich aus, um 30 bis 50 Prozent des deutschen Wasserstoffbedarfs zu decken. Neben dem heimischen Transport wird Deutschland Wasserstoff in großen Mengen importieren müssen.“ Quantitative Mengenangaben über den Wasserstoffbedarf wurden nicht genannt.

„Grundvoraussetzung für den Hochlauf der Wasserstoff-Wirtschaft ist, dass Wasserstoff überhaupt in ausreichendem Maße zur Verfügung steht. Und zwar dort, wo er gebraucht wird. Ein über 11.000 Kilometer langes Wasserstoff-Kernnetz soll daher bis 2032 alle großen Wasserstoff-Einspeiser mit allen großen Verbrauchern verbinden.“ [2]

Eine erste kritische Betrachtung zur Wasserstoff-Wirtschaft hatten wir bereits angestellt. Schauen wir uns nun an, was die obigen Daten bedeuten:

10 GW Elektrolysekapazität soll aufgebaut werde. Diese Kapazität entspricht der Leistung von 6 Kernkraftwerken der Größe Isar II, um den Lesern eine Größenvorstellung von der erforderlichen Kapazität zu geben. Da die Elektrolyseanlagen mit „grünem“ Strom betrieben werden sollen, kommen folglich im Wesentlichen nur Windenergieanlagen infrage.

Zukünftiger Wasserstoffbedarf

Einschätzungen zum zukünftigen Bedarf von Wasserstoff bis 2050 sind mit besonderen Unwägbarkeiten verbunden. Die Angaben des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages [3] bewegen sich innerhalb einer vergleichsweise großen Bandbreite zwischen 400 bis etwas über 800 TWh**) im Jahr oder aber auf niedrigerem Niveau, etwa in Höhe von 169 bis 449 TWh jährlich. Betrachtet wurden die Sektoren Industrie, Gebäude und Verkehr. Bis 2030 sei der Bedarf „moderat würde aber danach stark ansteigen“.

Laut fortgeschriebener Wasserstoffstrategie nimmt die Bundesregierung einen Wasserstoffbedarf bis 2030 in Höhe von 95 bis 130 TWh an.

Zum Vergleich: Der Wasserstoff (H2)-Bedarf der Industrie betrug in 2020 ca. 54,3 TWh.

Strombedarf für Wasserstofferzeugung

Um eine ungefähre Vorstellung über den Strombedarf der Elektrolyseanlagen zu bekommen, werde ein mittlerer jährlicher Wasserstoffbedarf auf mittlerem niedrigem Niveau von 300 TWh angenommen.

Bei einem H2-Energiewert von 3 kWh/Nm3 beziehungsweise 33,3 kWh/kg entspricht der Wasserstoffbedarf von 300 TWh einem H2-Volumen von 100 x 109 Nm3 beziehungsweise einer H2-Masse von 9 x 109 kg.

Als Faustformel für den Energiebedarf zur Wasserstoffherstellung in Elektrolyseanlagen gilt: 5 kWh/Nm3 H2 oder ungefähr entsprechend 55 kWh/kg H2 [4].

Daraus ergibt sich ein Energiebedarf von 500 x 109 kWh oder 500 TWh zur Bereitstellung der Wasserstoffmenge von 300 TWh. Dieser Energiebedarf ist durch erneuerbaren Energien zu decken.

Zum Vergleich: In 2022 betrug der Netto-Stromverbrauch in Deutschland 491 TWh. Dieser Vergleich verdeutlicht die gewaltige erforderliche Strommenge für die Herstellung von (nur) 300 TWh Wasserstoff. Der gesamte 2022 nach Frauenhofer-ISE in Deutschland durch Wind und Sonne erzeugte Netto-Strom von 181 TWh reicht bei Weitem nicht aus, um die vorgegebene „grüne“ Wasserstoffmenge zu erzeugen. Von der Verwendung des nur überschüssigen Ökostroms ganz zu schweigen.

Bedarf an Windenergieanlagen

Angenommen, der Strom wird durch 5 MW-Windenergieanlagen erzeugt. Unter optimalen Standortbedingungen erzeugt eine derartige Anlage bezogen auf die Volllast jährlich rund 9.000 MWh, wobei die Volllast erfahrungsgemäß nur in 20 Prozent des Jahres, also 1752 Stunden, erreicht wird. Tatsächlich verteilen sich die 9.000 MWh wegen intermittierender Windverhältnisse (Flatterstrom) über das ganze Jahr.

Fazit: Zur Bereitstellung von 500 TWh „grünem“ Strom sind rein rechnerisch weit über 50.000 Windenergieanlagen notwendig. Und zwar ausschließlich für die Wasserstofferzeugung von 300 TWh.  In Deutschland stehen derzeit rund 30.000 Windenergieanlagen.

Diese Zahlen belegen zugleich, dass die Verwendung von überschüssigem Ökostrom nicht annähernd ausreichen, um den angenommenen mittleren niedrigen Wasserstoffbedarf von 300 TWh zu decken.

Umstellung von Erdgas auf Wasserstoff

Bis 2045 will die Bundesregierung Klimaneutralität erreichen. Sie verfolgt das Ziel der Decarbonisierung. Somit sind bis zu diesem Zeitpunkt die Primärenergien durch Strom oder „grünen“ Wasserstoff zu ersetzen.

Betrachten wir nur den Ersatz des Erdgases durch Wasserstoff: In 2022 betrug der Erdgasverbrauch 777.228 GWh, neben Mineralöl 1.140.912 GWh und Kohle 638.288 GWh [5], wobei in der Literaturquelle der jeweilige Verbrauch in Petajoule angegeben wird: 1 PJ entspricht 277,78 GWh.

777.228 GWh (entsprechend rund 777 TWh) sind bereits über das Doppeltes des oben angenommenen Wasserstoffbedarfs von 300 TWh und ein Mehrfaches des von der Bundesregierung unterstellten Wasserstoffbedarfs bis 2030.

Bei einem Heizwert des Wasserstoffs von rund 35 kWh pro Kilogramm Wasserstoff entsprechen die 777 TWh rund 222 Millionen Tonnen Wasserstoff.

Oder: Aus einem Kilogramm Wasserstoff lässt sich etwa 30 kWh Strom erzeugen, also braucht man rund 33 Tonnen Wasserstoff zur Erzeugung einer Stromenergie von 1 GWh.

Auch große Anteile des oben genannten Bedarfs an Mineralöl und Kohle müssen auf Wasserstoff umgestellt werden. Die Zahlen für Erdgas aber sollen bereits die absolut überzogenen und unrealistischen Ziele der Bundesregierung verdeutlichen. Von den immensen Kosten ganz zu schweigen.

Verteilungsnetz

Die Bundesregierung plant den Ausbau eines über 11.000 km langen Netzes bis 2032 zur Verteilung des Wasserstoffes vom Einspeiser bis hin zum Verbraucher. Weder wurden bisher Ausschreibungen, Planfeststellungsverfahren und Investoren bekannt. Von der Dauer von Genehmigungsverfahren ganz zu schweigen. Denken wir an die Dauer des Stromnetz-Ausbaues, der seit Jahren unvollendet ist, wird schnell klar, wie unrealistisch der vorgegebene Zeitplan ist.

Wasserstoff-Import

Die Bundesregierung erkennt an, dass „Wasserstoff in großen Mengen importiert werden muss“. Es sind Länder im Gespräch, deren politische Stabilität Risiken aufweisen. Weder sind die technischen Voraussetzungen einer Elektrolyse in den Exportländern gegeben, wobei die Beschaffung des Wassers ein noch größeres Problem (Entsalzungsanlagen?) sein dürfte als in Deutschland, noch sind die Voraussetzungen für die H2-Speicherung vor Ort (Verdichtungsanlagen, Kühlanlagen?) und den Transport des Wasserstoffs gegeben.

Schlussbemerkung

Die hier genannten Angaben können je nach Literatur und Annahmen variieren. Wichtig ist mir, die Größenordnung der von der Bundesregierung verfolgten Ziele ins richtige Licht zu rücken. Wasserstoff ist in einigen Industriezweigen ein wertvolles und unverzichtbares Element. Die Herstellungskosten des Wasserstoffs, sein auf die Gesamtkette von Herstellung bis zum Einsatz bezogener geringer Wirkungsgrad und der Transport- und Verteilungsaufwand insbesondere beim Wasserstoffimport sprechen gegen seinen Einsatz zur Lösung der Energiewende. Die auf Decarbonisierung ausgerichtete„Wasserstoff-Strategie“ wird an der nicht erzeugbaren Wasserstoff-Menge scheitern.

*)   1 Gigawatt (GW) = 1 Mrd.kW Dimension der Leistung

**) 1 Terawattstunde (TWh) = 1.000 GWh = 1 Mrd.kWh Dimension der Energie

Literaturquellen

[1] https://www.bmbf.de/bmbf/de/forschung/energiewende-und-nachhaltiges-wirtschaften/nationale-wasserstoffstrategie/nationale-wasserstoffstrategie_node.html

[2] https://www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte/klimaschutz/wasserstoff-technologie-1732248

[3]https://www.bundestag.de/resource/blob/940168/7c5b943fdb5e9626ccc444a5bf30ff7b/WD-5-014-23-pdf-data.pdf

[4] https://power-to-x.de/power-to-x-marktuebersicht-92-elektrolyseure-von-17-herstellern/

[5] https://www.umweltbundesamt.de/daten/energie/primaerenergieverbrauch#primarenergieverbrauch-nach-energietragern