Erhebliche Mängel beim Umbau der Energieversorgung

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Vor einem Jahr wurden die letzten drei deutschen Kernkraftwerke endgültig abgeschaltet. Der Tenor in deutschen Medien war: Die Abschaltung habe der Stromversorgung nicht geschadet. Sie sei unverändert sicher.

Veronika Grimm*) sieht die Abschaltung und den Umbau der Energieversorgung  kritisch. Nachfolgend äußert sie sich zu den Auswirkungen und zum Umbau der Energieversorgung. Ihre Äußerungen wurden ihrem Interview mit der WirtschaftsWoche [1] entnommen.

Zum Strompreis

In vielen Stunden des Jahres wäre der Strompreis (beim Weiterbetrieb der KKW) günstiger. Damals haben wir errechnet, dass die Strompreise durchschnittlich acht bis zwölf Prozent niedriger ausgefallen wären, wenn man die drei restlichen Atomkraftwerke nicht abgeschaltet hätte – allerdings bei damals höheren Gaspreisen. Heute sind die Gaspreise niedriger. Ein deutlicher Effekt auf den Börsenpreis wäre aber auch jetzt zu erwarten.

 Zum Kohleeinsatz

Es wurde mehr Kohle verstromt, aber die Produktion der aufgrund der Gasmangellage wieder eingesetzten bzw. der nicht stillgelegten Kraftwerke war mit 5 Terrawattstunden (TWh) 2022 und 14 TWh 2023 bei einer jährlichen Stromerzeugung von 500 TWh nicht besonders hoch. Die Kraftwerke waren wichtig als Ersatz, wenn nicht genug anderer Strom da war. Wir haben auch mehr importiert, als das der Fall gewesen wäre mit Kernkraft.

Zum Importstrom

Ein großer Teil der Importe kam aus Frankreich. Die Importe aus Polen waren gering. Importe erfolgten meist zu Spitzenlastzeiten mit teuren Strompreisen. Exporte ergaben sich in sonnenreichen Stunden mit günstigen Strompreisen.

Zu Strompreisfolgen für die Industrie

Für die Industrie bestehen nach wie vor ungünstige Bedingungen. Das bleibt ein Problem. Es war allerdings richtig, dass der Staat den Strompreis nicht noch stärker subventioniert. Denn das würde eine Dauersubvention. Das andere Ende der „Brücke“, das einige gern herbeireden, ist nicht in Sicht. Das muss uns eigentlich beunruhigen. Die Abschaltung der Atomkraftwerke mitten in der Energiekrise zeigt allerdings, wie unflexibel die deutsche Politik und wie wenig Pragmatismus möglich ist. Das gilt hier namentlich für die Grünen. Gerade wenn man milliardenschwere Subventionen beim Strom für nötig hält, hätte man das besser abwägen müssen. Im Übergang sollen alles die Gaskraftwerke leisten, doch davon gibt es nicht genug. (Bei einer früheren Gelegenheit hatte Veronika Grimm gesagt: „Mit dem „Industriestrompreis“ oder „Transformationsstrompreis“ wollten Teile der SPD und die Grünen den Preis je Kilowattstunde Strom für die energieintensive Industrie für einige Jahre auf fünf oder sechs Cent drücken. Damit sollte eine Brücke gebaut werden, bis der Strompreis für Großkunden ohne staatliche Unterstützung dieses Niveau erreicht, das in mehreren anderen Ländern für die Industrie bereits gilt.“)

Auswirkungen in Europa

Das Beharren auf den Ausstieg aus der Kernenergie habe auch negative Auswirkungen auf die Nachbarn. Wirklich problematisch wird es, wenn man dann den anderen auch noch signalisiert, dass man ihren Weg für falsch hält. In Frankreich stammt 70 Prozent des Stroms aus Kernenergie. Dort ist die Akzeptanz für Erneuerbare viel niedriger als bei uns und die extreme Rechte, der Rassemblement National, macht Stimmung gegen den Ausbau. Es ist nicht klug, wenn Deutschland gegen die Transformationspfade anarbeitet, die in anderen Ländern Zustimmung genießen. Wir sollten den Transformationspfad der anderen mittragen, so wie wir es von ihnen erwarten. Je schneller der Umbau der Energieversorgung insgesamt in der EU vorankommt, desto schneller können sich auch die Preise entspannen.

Zur Stromkostenentwicklung

Die Kosten für den Bau und Betrieb von Windkraft- oder Solar-Anlagen werden weiter sinken. Wir werden aber andere Kraftwerke und Infrastruktur in größerem Umfang brauchen, um Versorgungslücken auszugleichen. Strom wird nicht nur gebraucht, wenn der Wind weht und die Sonne scheint. Diese substantiellen Kosten für Speicher, für Gas- und später auch Wasserkraftwerke werden oft nicht ausreichend beachtet. Diese Kosten sind und bleiben signifikant, daher wird der Strompreis kaum sinken. Wenn man die Kosten zur Deckung der Nachfrage berechnet, kann das dreimal so hoch sein wie die Entstehungskosten der Erneuerbaren.

Kritischer Punkt beim Umbau

Die Versorgungslücken, die bei Windkraft und Solar vorhanden sind, müssen gefüllt werden. Das wird nicht konsequent genug vorangetrieben: Irgendjemand wird die Kosten für Ersatzkraftwerke tragen müssen, sonst baut die niemand. Wenn sie mit Wasserstoff betrieben werden sollen, dann muss dieser in großen Volumina produziert und importiert werden. Hier ist auch die nötige Infrastruktur noch nicht annähernd vorhanden. Wenn diese Voraussetzungen nicht bald geschaffen werden, werden energieintensive Unternehmen ihre Produktion zunehmend verlagern. Die Produktion in der energieintensiven Industrie hat in der Energiekrise schon stark abgenommen, das Niveau ist anhaltend niedrig. Wir wissen noch nicht, ob diese Produktion wieder zulegt oder ob wir sie dauerhaft verlieren. Es wäre besser, wenn wir die klimaneutralen Vorprodukte importieren, so dass darauf aufbauend die komplexen Wertschöpfungsketten, etwa in der chemischen Industrie, erhalten bleiben könnten.

*) Veronika Grimm ist eine deutsche Wirtschaftswissenschaftlerin. Seit 2008 Inhaberin des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftstheorie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Sie ist zudem Mitglied der Wissenschaftlichen Leitung des Energie Campus Nürnberg (EnCN), Vorständin des Zentrum Wasserstoff.Bayern (H2.B) und Direktorin des Laboratory for Experimental Research Nuremberg (LERN). 2020 wurde sie in den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung berufen. (Wikipedia)

[1] https://nachrichten.wiwo.de/8dc79112b7c27306e7db3ff884b64d86064dd69d4e4ecf7867a5814cb6ba333e291a93c7d636e102807614bc3e55e5a2129753928?xing_share=news