Nukleare Entsorgung: Der Bund kommt seinen Verpflichtungen nicht nach

Print Friendly, PDF & Email

In ihrer Verantwortung für den langfristigen Schutz von Mensch und Umwelt vor den Risiken radioaktiver Abfälle propagierten politische Entscheidungsträger bereits vor Jahrzehnten die Endlagerung aller radioaktiven Abfälle durch ihren dauerhaften Einschluss in tiefen geologischen Formationen als die sicherste Entsorgung.

Eine weitere politische Prämisse besagte, um die Entsorgung aller radioaktiven Abfälle hat sich jene Generation zu kümmern, die den Nutzen der Kernenergie hat.

Die Genehmigung zum Betrieb von Kernkraftwerken ist an die Erfüllung der von Bund und Länder getroffenen Grundsätze zur Entsorgung für Kernkraftwerke (1) gebunden. Einer dieser Grundsätze betrifft die Endlagerung. Er lautet: „Fortführung des laufenden Planfeststellungsverfahrens (Gorleben) sowie Fortschritte bei der Erkundung und Erschließung eines Endlagers.“

Ferner: „Die oberirdischen Fabrikationsanlagen für die eine oder andere Entsorgungstechnik sowie die Anlagen des Bundes zur Sicherstellung und Endlagerung der radioaktiven Abfälle werden spätestens zum Ende der 90er-Jahre betriebsbereit sein.“ Wir schreiben inzwischen das Jahre 2016, doch weder gibt es eine Anlage zur Sicherstellung noch ein betriebsbereites Endlager.

Um es nochmals deutlich zu sagen: Errichtung und Betrieb eines Endlagers liegen allein in der Verantwortung des Bundes.

Aus heutiger Sicht ist auch folgende Bekundung aus 1980 bemerkenswert: „Es besteht Einvernehmen der Regierungschefs von Bund und Länder, dass nur für eine Übergangszeit die Zwischenlagerungsmöglichkeiten ausgebaut werden müssen.“ Als Übergangszeit ist die Zeit bis zur Fertigstellung eines Endlagers gemeint. Zeiten von 30, 40 und noch mehr Jahrzehnte können schlechterdings nicht als Übergangszeiten bezeichnet werden, und an solche war sicher auch nicht gedacht. Aber um solche Zeiten handelt es sich inzwischen. Der Bund kommt mithin seinen Verpflichtungen nicht nach.

Wo stapeln sich inzwischen die radioaktiven Abfälle und um welche Mengen handelt es sich? Sämtliche radioaktiven Abfälle lagern gegenwärtig in oberirdischen Zwischenlagern des Bundes, der Länder (Landessammelstellen) und der Kernkraftwerks(KKW)-Betreiber wie auch in den nuklearen Forschungseinrichtungen. Im nationalen Entsorgungsprogramm (2) sind die Abfallmengen aufgelistet. Der Bestand an Abfällen mit vernachlässigbarer Wärmentwicklung (schwach und mittelradioaktive Abfälle) zum 31.12.2014 war an konditionierten Abfallprodukten und Endlagergebinden rund 117.200 Kubikmeter und an Rohabfall sowie vorbehandeltem Abfall rund 21.700 Tonnen. (Die Mengenangabe in Volumeneinheit ist die für die spätere Endlagerung relevante Größe.)

Die bislang angefallenen abgebrannten Brennelemente lagern – soweit sie nicht der Wiederaufarbeitung zugeführt werden konnten – in dickwandigen Gusscontainern zum Beispiel des Typs „Castor“ in den Zwischenlagern von Ahaus und Gorleben sowie in den Zwischenlagern an den KKW-Standorten. Im Entsorgungsprogramm (2)  wird davon ausgegangen, dass bis zur Beendigung des KKW-Betriebes in 2022 insgesamt etwa 10.500 Tonnen Schwermetall in Form abgebrannter Brennelemente aus den Leistungsreaktoren anfallen, die endgelagert werden müssen.

Die Mengen Wärme entwickelnder radioaktiver Abfälle aus der Wiederaufarbeitung werden im Entsorgungsprogramm mit 291 Behältern angegeben. Dies sind Behälter des Typs Castor oder vergleichbarer Bauart. Auch deren Inhalte sind der Endlagerung zuzuführen. Ein Teil dieser Behälter wurde bislang in Gorleben zwischengelagert, weitere Behälter, die noch aus den Wiederaufarbeitungsanlagen in Frankreich und Großbritannien zurück genommen werden müssen, sollen – mit in Kraft treten des Standortauswahlgesetzes (3)   – ebenfalls an KKW-Standorten – die Genehmigungsverfahren laufen noch – zwischengelagert werden.

Die Genehmigungen der Behälter-Zwischenlager sind auf 40 Jahre befristet. Im Hinblick auf die jetzt von neuem begonnene Suche eines Endlagers für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle wird diese Befristung bei weitem nicht ausreichen, zumal für einige Lager bereits gut 30 Jahre seit ihrer Genehmigung verstrichen sind. Dieses Endlager wird es frühestens in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts geben – wenn überhaupt. Deutliche Verlängerungen der Genehmigungen sind unumgänglich. Die Gründe für die gewaltigen Verzögerungen und für die Einstellung der Erkundung des Salzstockes Gorleben werden in den Artikeln „Nukleare Endlagerung: Ein endloser Akt politischen Unwillens“ und „Das Standortauswahlgesetz verhindert Endlagerung auf absehbare Zeit“ beschrieben; beide Artikel befinden sich ebenfalls auf dieser Webseite.

Für die Zwischenlagerung schwach- und mittelradioaktiver Abfälle wurde von mehr oder weniger kurzen Zeiträumen ausgegangen. Die Inbetriebnahme des Endlagers „Konrad“ zur Aufnahme dieser Abfälle war ursprünglich für Ende der 90er-Jahre in Aussicht gestellt worden. Die Konditionierung (d. h. Verarbeitung und Verpackung) der radioaktiven Abfälle ist daher auf einen Zwischenlagerzeitraum von einigen Jahren ausgerichtet gewesen. Hingegen kann nach gegenwärtigem Stand bis zum Beginn der Einlagerung radioaktiver Abfälle in das Endlager Konrad eine Zwischenlagerzeit von bis zu 40 Jahren nicht ausgeschlossen werden. Die ungeplant lange oberirdische Zwischenlagerzeit hat in einigen Fällen bereits zu Korrosionen von Abfallbehältern mit Verlust der Dichtheit und der Stabilität geführt. Durch erneute Verpackung wurde in diesen Fällen der sichere Einschluss der radioaktiven Abfälle wieder hergestellt. Mit jeder erneuten Handhabung der Abfallbehälter aber sind Strahlenbelastungen für das Personal verbunden, die vermeidbar wären, wenn die Behälter bereits hätten endgelagert werden können.

Nach fast 20-jährigem Genehmigungsverfahren erging 2002 der atomrechtliche Planfeststellungsbeschluss für Konrad. Die dagegen gerichteten Klagen wurden 2006 vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg abgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte in seinem Nichtzulassungsbeschluss zur Revision 2007 die Genehmigung auch letztinstandlich (4). Damit ist Konrad das bislang einzige deutsche Endlager, das bestandskräftig nach dem Atomrecht genehmigt ist.

Es fällt inzwischen schwer, für die ständigen Verzögerungen beim Umbau des ehemaligen Eisenerzbergwerkes zu einem Endlager, Verständnis aufzubringen. Angeblich hätten technische Gründe die Verzögerungen verursacht: In 2007 wurde der Termin für die Fertigstellung 2013 genannt. In 2014 „auf nicht vor 2019“ verschoben. Seit letztem Jahr verkündet das verantwortliche Bundesamt für Strahlenschutz: „Frühestens 2022“. Aber auch dabei handelt es sich nicht um ein verlässliches Datum.

Inzwischen erweist sich – man höre und staune – die unzureichende Freigabe von Abfallgebinden durch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) als weitere Ursache, die die zügige Inbetriebnahme auch im Jahr 2022 gefährdet. Obwohl seit über 20 Jahren die vorläufigen und seit fünf Jahren die endgültigen Endlagerungsbedingungen für Konrad bekannt sind und im radiologischen Teil dieser Bedingungen keine Änderungen mit Relevanz durchgeführt wurden, stehen bis heute weniger als 600 vom BfS zur Einlagerung freigegebene Abfallgebinde zur Verfügung (4). Eine ausreichende Anzahl freigegebener Abfallgebinde ist indes eine wesentliche Voraussetzung für die planmäßige Nutzung des Endlagers. Das BfS plant eine jährliche Einlagerungskapazität von 10.000 Kubikmeter. Um diese Vorgabe zu erfüllen, müssen jährlich ca. 1500 bis 1800 Abfallgebinde dokumentiert und freigegeben werden. Wird jetzt nicht sehr zügig und nachhaltig gehandelt, ist absehbar, dass eine Einlagerung auch ab 2022 nicht realistisch ist (4). Dies hat zur Konsequenz, dass die Zeitdauer der – nur befristet genehmigten – Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle in den zentralen und dezentralen Zwischenlagern weiter verlängert werden muss.

 

(1) Bekanntmachung der Grundsätze zur Entsorgungsvorsorge für Kernkraftwerke, 19. März 1980 (BAnZ 1980, Nr.58) Hierbei handelt es sich um eine Aktualisierung früherer Grundsätze.

(2) BMUB Programm für eine verantwortungsvolle und sichere Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktive Abfälle (Nationales Entsorgungsprogramm) August 2015

(3) Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze (Standortauswahlgesetz – StandAG), am 01.01.2014 in Kraft getreten

(4)   Tobias Leidinger, atw Vol. 61 (2016)