Bundesregierung irrt. Künftig keine Überkapazität im EU-Strommarkt

Parlamentarier richteten an die Bundesregierung die Frage, ob aus Sicht der Bundesregierung in den kommenden zehn Jahren angesichts des gesetzlich verankerten Atomausstiegs bis spätestens 2022 und der Altersstruktur der fossilen Kraftwerke Investitionen in neue Stromerzeugungskapazitäten notwendig sind, um eine sichere Stromversorgung Deutschlands zu gewährleisten.

Die Bundesregierung beantwortete die Frage in der Drucksache 19/4386 vom 18. 09.2018 wie folgt: „Der Bericht zum Monitoring der Versorgungssicherheit nach § 63 EnWG wird im vierten Quartal 2018 veröffentlich; darin werden die genauen Ergebnisse des Gutachtens „Definition und Monitoring der Versorgungssicherheit an den europäischen Strommärkten von 2017 bis 2019“ bis zum Jahr 2030 enthalten sein. Es ist davon auszugehen, dass weitere Investitionen in Erzeugungstechnologien erforderlich sein werden. Zur Erreichung der Klimaziele ist ein deutlicher Ausbau der Erzeugungskapazitäten aus erneuerbaren Energien erforderlich. Darüber hinaus ist auch bei einzelnen KWK-Anlagen zu erwarten, dass ältere Anlagen durch neue Anlagen mit geringeren CO2-Intensitäten ersetzt werden.

Die Bundesregierung geht ebenfalls davon aus, dass Ertüchtigungsinvestitionen in geringem Umfang erforderlich sein werden, damit bestehende Anlagen die Anforderungen der Kapazitätsreserve erfüllen können. Kurzfristig sieht die Bundesregierung darüber hinaus keinen Bedarf an neuen zusätzlichen konventionellen Erzeugungskapazitäten, da die europäischen Strommärkte weiterhin von deutlichen Überkapazitäten geprägt sind.“

Was bedeutet „kurzfristig“?  Angesichts der langen Planungs- und Errichtungsdauer neuer Stromerzeuger eine folgenschwere Fehleinschätzung! „Die derzeit noch vorhandenen Überkapazitäten an gesicherte Leistung schmelzen überall in Europa mittel- bis langfristig ab. Damit stehen auch die Nachbarländer vor der Herausforderung, die Versorgungssicherheit bei steigenden Anteilen volatiler Kapazitäten zu gewährleisten“, schrieb der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) am 22.8.2018 *).

Der BDEW beruft sich auf den wissenschaftlichen Dienst der EU (JRC-Joint Research Center), wonach sich von 2016 bis 2025 in der EU ein Rückgang der installierten Leistung von Kohlekraftwerken von 150 Gigawatt (GW) auf 105 GW ergibt und ein weiterer Rückgang auf 55 GW bis 2030. Das entspricht einer Abnahme von 63 Prozent. Auch der Anteil der Kernenergie geht in einigen EU-Ländern zurück.

Die Zeiten, in denen sehr viel Strom nachgefragt wird, seien in Mitteleuropa nahezu deckungsgleich. Ist die Stromnachfrage in Deutschland hoch, dann sei dies in der Regel auch in den angrenzenden Staaten der Fall.Auch immer mehr Windräder und Solarparks helfen in solchen Situationen nicht weiter, betont BDEW: „Die für Wind und Fotovoltaik entscheidenden Großwetterlagen führen in Zentraleuropa zu einer mehr oder weniger deutlichen Gleichzeitigkeit von Erzeugungsmangel oder Überflusssituationen.“ Erneuerbare Energien trügen nur in geringem Umfang zur gesicherten Leistung bei.

 *)  BDEW/Awh_20180816_Verfuegbarkeit-auslaendischer-Kraftwerkskapazitaeten