Asse: Siegt der Aberglaube?

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Dr. Hermann Hinsch nahm den Artikel “Lies rechnet bei Asse mit Kosten in Milliardenhöhe” in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 06.12.2018 zum Anlass für nachfolgenden Kommentar:

Dr. Hermann Hinsch, Diplomphysiker und promovierter Biophysiker, arbeitete unter anderem auf dem Gebiet der Strahlenwirkung und in der Schachtanlage Asse auf den Gebieten Auslaugverhalten von radioaktiven Abfällen, Einlagerung hochradioaktiver Abfälle und Dosimetrie.

Kommentar

Berichtet wird über den Besuch des “tapferen” Niedersächsischen Umweltministers Olaf Lies im Bergwerk Asse. Dort hat er sich der Strahlung aus den teilweise schadhaften Abfallfässern ausgesetzt und radioaktives Tritium und Radon mit der Grubenluft eingeatmet. Zwar wird gesagt, jedes strahlende Teilchen wäre gefährlich, aber anscheinend hat Lies die Grubenluft gut überstanden.

Betrachten wir die Angelegenheit einmal nicht vom Standpunkt der Strahlenhysterie. Wie sieht die Sache aus, wenn man sie auf der Grundlage von Logik und Tatsachen betrachtet? Radioaktivität in hohen Dosen ist tödlich. Das ist Kochsalz auch, in kleinen Dosen jedoch lebensnotwendig. Manche kleinen Einwirkungen stärken die Abwehrkräfte. Man impft mit durchaus schädlichen Präparaten, aber in unschädlich kleinen Dosen. Ernsthaften Krankheiten wird dadurch vorgebeugt. Wachsen Kinder zu sauber auf, neigen sie zu Allergien. Diese Beispiele ließen sich beliebig vermehren. Eine entsprechend lebensverlängernde Wirkung kleiner Strahlendosen wird in hunderten seriöser wissenschaftlicher Arbeiten dargestellt.

Es ist aber gar nicht nötig, eine positive Wirkung kleiner Strahlendosen anzunehmen, um den ganzen Unsinn der Asse-Hysterie zu widerlegen. Man müsste nur anerkennen: Es gibt eine Dosis-Wirkungs-Beziehung, das heißt: Kleinere Dosen erzeugen kleinere Wirkungen, gleiche Dosen gleiche Wirkung, höhere Dosen größere Wirkung.

Vergleichen wir einmal: Auf einer Seite des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) ist zu lesen: Die gesamte Radioaktivität in der Asse beträgt rund 0,5 % der Aktivität eines Castor-Behälters mit hochaktivem Abfall. Nach anderen Dokumenten ist es etwa 1 %. Legen wir letzteren Wert zugrunde, dann bedeutet das: In Gorleben stehen auf der Oberfläche 316 radioaktiv beladene Castorbehälter, die enthalten zusammen also etwa 30.000mal mehr Radioaktivität als die Abfälle in der Asse, dort tief unter der Erde. Die Politiker verhindern seit langem, und, wie es aussieht, für alle Zukunft, dass diese Castor-Behälter unter die Erde kommen, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben.

Über die Asse kann sich da doch nur jemand aufregen, der nicht in der Lage ist, mit Zahlen umzugehen und Zahlen bezüglich Größe zu vergleichen. Dabei ist das der Stoff von Schulklassen. Ich helfe Migrantenkindern bei Mathe und würde es ebenso bei unserem Umweltminister versuchen, da ich auch aussichtslos erscheinende Fälle nicht abweise.

Vor allem müsste man wissen, dass wir in einer von Natur aus radioaktiven Welt leben. Schon heute kommt radioaktiv „verseuchtes“ Wasser vom Salzstock Asse an die Oberfläche, in mehreren Quellen in Groß Denkte. Es sind Salzquellen, die das natürliche radioaktive Kalium mitbringen, im Bereich von einer Milliarde Becquerel pro Jahr. Zum Vergleich: In 2 Jahren kommt so viel – oder so wenig – Kalium-Aktivität an die Oberfläche, wie insgesamt die Aktivität des Urans U-235 in den Abfällen beträgt. Warum ist Groß Denkte noch nicht evakuiert?

Insgesamt enthält der Asse-Berg weit mehr an (natürlichen) radioaktiven Elementen, als in den Abfällen vorhanden sind. Alle sind schrecklich langlebig, sonst würde es sie nicht mehr geben. Nicht das „gefährlichste“, aber das bei weitem häufigste ist das natürliche Kalium 40. Anderswo wird es als Bestandteil des Kalisalzes massenhaft gefördert und dann (zur Düngung) auf die Oberfläche der Felder gestreut, um Lebensmittel zu erzeugen.

Wurden bei der Einlagerung Fehler gemacht? Es gibt klare Einlagerungsvorschriften. Hier in Deutschland regiert die Strahlenhysterie, also orientieren wir uns einmal am Ausland. Die IAEA (International Atomic Energy Agency) sagt, und französische und englische Aufsichtsbehörden schreiben vor: Mittelaktiver Abfall muss einige 100 m unter die Erde. Mittelaktiv heißt: Der Abfall wird infolge radioaktiven Zerfalls noch nicht warm, lässt sich aber nicht mehr ohne Abschirmung handhaben. Fässer mit schwachaktivem Abfall sind ohne Abschirmung handhabbar. Sie dürfen flach vergraben werden, wenn sichergestellt ist, dass auf der Deponie 300 Jahre lang niemand gräbt und baut. Anschließend darf nur noch wenig langlebige Aktivität vorhanden sein. Daher werden für die flache Deponierung nur Abfälle mit durchschnittlich nicht mehr als 400 Bq/g an langlebigen radioaktiven Isotopen zugelassen. 400 Bq/g ist etwa die spezifische Aktivität von uranhaltigem Erz.

Bei der Asse wurde mittelaktiver Abfall vorschriftsmäßig eingelagert, schwachaktiver viel besser, indem man auch ihn fast 800 m unter die Erde gebracht hat.

Die 400 Bq/g an langlebigen radioaktiven Isotopen werden bei den schwachaktiven Abfällen wesentlich unterschritten. Noch besser wird es, wenn sich die Fässer auflösen sollten und sich die Radioaktivität auf ein größeres Gebiet verteilt. Die Gefährlichkeit von Schadstoffen wird anhand ihrer Konzentration pro kg oder Kubikmeter beurteilt.

Vertrete ich hier eine Einzelmeinung? Ich hoffe, Sie haben gemerkt: Zur Asse habe ich keine Meinung, sondern Kenntnisse. Alle ehrlichen Fachleute sagen das gleiche. Da ist das Ökoinstitut Freiburg, entschieden gegen Kerntechnik, aber für einen vernünftigen Umgang mit den nun einmal vorhandenen Abfällen. Im Jahr 2012 wurde dort abgeschätzt, was passiert, wenn die Grube schnell absäuft, also das schlimmste vorstellbare Ereignis eintritt. Ergebnis: Keine Gefahr für die Anwohner. Bei einer Anhörung in Berlin am 18.02.2013 hat ein Vertreter dieses Instituts, Michael Sailer*), für mich sehr überzeugend dargelegt: Wie die Situation nun einmal ist, soll man die Abfälle unbedingt unten lassen. Kein Politiker hat ihn verstanden, sondern anschließend im Bundestag ohne Gegenstimmen für die Rückholung gestimmt. Am 20.04.2013 wurde ein entsprechendes Gesetz beschlossen.

Dazu hat die Strahlenschutzkommission am 15.09.2016 umfangreich Stellung genommen, mit der dringenden Empfehlung, das Gesetz nicht anzuwenden, sondern die Abfälle unten zu lassen. Die Strahlenschutzkommission ist keine Atomlobby, sondern ein Beratungsgremium des Bundes auf dem Strahlengebiet. Jede und jeder der 20 Mitglieder wurde für jeweils zwei Jahre vom Bundesumweltministerium berufen.

Alle seriösen Abschätzungen auf der Grundlage von nunmehr über 100 Jahren strahlenbiologischer Forschung kommen zu dem Schluss, dass von den Abfällen der Asse auch im unwahrscheinlichsten Störfall keine Gefahr für die Anwohner ausgeht. Aber was sagt der niedersächsische Umweltminister? Er bezeichnet die Asse als das „erschütterndste Beispiel“ einer verfehlten Umweltpolitik in Niedersachsen. Der Umgang mit der Asse sei „eine der größten Herausforderungen in der Umweltpolitik“. Diese Art  politischer Einstellung zur Endlagerung hat bisher Fortschritte auf dem Gebiet der Endlagerung verhindert.

Die ganze Angelegenheit könnte erledigt sein. Auch der frühere Betreiber, das Helmholtz-Zentrum, hat viel Überflüssiges gemacht, aber nach deren Plan wäre die Asse 2013 endgültig geschlossen worden.

Hintergrund

Die Schachtanlage Asse II ist ein Salzbergwerk, das etwa 30 Kilometer nördlich des Harzes im Asse-Heeseberg Höhenzug liegt. Zwischen 1908 und 1925 wurde im Schacht Asse II das Kalisalz Carnallitit abgebaut. Parallel dazu wurde auch Steinsalz abgebaut. Von 1916 bis 1964 entstanden in der Südflanke des Grubenbaus insgesamt 131 Abbaukammern mit einer Größe von ca. 3,4 Mio. cbm, die zunächst nicht wieder verfüllt wurden.

Versuchsendlager Asse, Einlagerungskammer (Quelle: Umweltinstitut München)

1965 übernahm das Institut für Tieflagerung Braunschweig (Rechtsnachfolger ist das Helmholtz Zentrum München, HMGU) im Auftrag des Ministeriums für Bildung und Forschung die Schachtanlage. Auftrag war zunächst, die Endlagerung radioaktiver Abfälle zu erforschen. Die ersten Abfälle wurden 1967 eingelagert. Bis 1978 wurden 124.494 Gebinde mit schwachradioaktiven Abfällen (LAW) und 1.293 Gebinde mit mittelradioaktiven Abfälle (MAW), also insgesamt 125.787 Fässer mit Atommüll in das Bergwerk gebracht. Der größte Teil der rund 45.000 Kubikmeter radioaktiven Abfalls stammt aus den damaligen Kernforschungszentren Karlsruhe und Jülich. Eine Rückholung der Abfälle war zum Zeitpunkt der Einlagerung nicht vorgesehen. Auf der Basis einer Empfehlung des Bundesamtes für Strahlenschutz wurde in der 17. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages entgegen erheblicher Kritik von Fachorganisationen wie dem Fachverband für Strahlenschutz ein Gesetz erlassen, das die Rückführung der Abfälle vorsieht, um sie in dem – noch nicht fertiggestellten – Endlager Konrad nunmehr endgültig endzulagern.

*) vergl. auch ZEIT Online vom 10.10.2011, “Eine glatte Lüge”, (Interview mit Sailer)