Rückholung radioaktiver Abfälle erneut überdenken

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Gastbeitrag (leicht gekürzt) von Dr. Dipl. Phys. Hermann Hinsch, ehemals tätig in der Schachtanlage Asse auf den Gebieten Auslaugverhalten von radioaktiven Abfällen, Einlagerung hochradioaktiver Abfälle und Dosimetrie, in dem er sich mit der politisch beschlossenen Rückholung der radioaktiven Abfälle aus dem zu Forschungszwecken eingerichteten Endlager Asse auseinandersetzt.

Dürfen Leute, die weit mehr als eine Milliarde Euro an Steuergeldern, also Geld anderer Leute, für ein angeblich der Gefahrenabwehr dienendes Projekt ausgeben wollen, auf jede rationale Begründung verzichten? Genügt da auf die Frage „warum?“ eine nichtssagende Antwort wie diese:

„Bei einem Verbleib der Abfälle im Bergwerk ist es nach derzeitigem Kenntnisstand nicht möglich, einen genehmigungsfähigen Langzeitsicherheitsnachweis zu führen.“

Dies ist die „Begründung“ für die Rückholung der radioaktiven Abfälle aus der Asse laut dem offiziellen Informationsblatt „Asse Einblicke“ vom 05. Januar 2019 (Herausgeber: Bundesgesellschaft für Endlagerung, BGE). Weit billigere Projekte im Rettungswesen oder beim Umbau gefährlicher Straßenkreuzungen werden mit der Vermeidung von Todesfällen begründet.

Sehr unwahrscheinliche Emissionen radioaktiver Nuklide aus der Asse werden niemanden umbringen, denn selbst bei der Reaktorkatastrophe von Fukushima sind Todesfälle in der Bevölkerung unwahrscheinlich. So schreibt die GRS (Gesellschaft für Reaktorsicherheit):

„Laut dem Untersuchungsbericht des japanischen Parlamentes liegt mit Stand vom Juni 2012 bisher kein bestätigter Fall von ernsthaften Gesundheitsfolgen in der allgemeinen Bevölkerung vor, der direkt auf die Freisetzung von radioaktiven Stoffen aus dem Kraftwerk zurückzuführen wäre. Auch nach den Studien von UNSCEAR und der IAEO gibt es bisher keine Informationen über wesentliche gesundheitliche Folgen der Bevölkerung, die einer Strahlenexposition zugeschrieben werden können.“

Wer Strahlung vom Standpunkt des Aberglaubens betrachtet, wird sagen: Es gibt keine Dosis-Wirkungs-Beziehung. 3 Hexen verursachen nicht 3mal so viele sonst unerklärliche Todesfälle wie eine, sondern schlagen mal so zu, mal anders, und genau so ist Radioaktivität. Erkennt man aber an, dass es eine Dosis-Wirkung-Beziehung gibt, dann ist es sinnvoll, die Aktivitäten von Fukushima und der Asse zu vergleichen.

Ungefähre Aktivitätsmengen der wichtigsten Isotope des KKW Fukushima

Isotop Inventar zurzeit des Unfalls Freigesetzt in die Atmosphäre Freigesetzter Anteil
Xe-133 1,2 ∙ 1019 Bq 1,2 ∙ 1019 Bq 100 %
J-131 6,4 ∙ 1018 Bq 3 ∙ 1017 Bq 5 %
Cs-137 8 ∙ 1017 Bq 2 ∙ 1016 Bq 2,5 %

Da die Brennelemente sich auf über 2.000°C erhitzten, wurde auch eine sehr kleine Menge an Plutonium freigesetzt. Nur auf dem Reaktorgelände konnte es gerade noch nachgewiesen werden. Demgegenüber beträgt die gesamte Aktivität aller radioaktiven Stoffe in der Asse 2,3 ∙ 1015 Bq, langlebig sind davon gut ein Hundertstel, etwa 2,5 ∙ 1013 Bq.

Es wurde also in Fukushima allein an radioaktivem Caesium 7mal so viel in die Atmosphäre freigesetzt, wie insgesamt in der Asse an Radioaktivität aller Elemente zur Zeit überhaupt vorhanden ist.

Was könnte aus der Asse (überhaupt) freigesetzt werden? Nach allen seriösen Berechnungen nur ein sehr kleiner Teil des Inventars, davon in die Atmosphäre fast nichts. Käme Radioaktivität wie in Fukushima mit dem Wind, könnte dieser niemand entgehen. Sie kommt aber, wenn überhaupt, mit gesättigter Salzlösung (an die Erdoberfläche). Die trinkt keiner, und Pflanzen wird man damit auch nicht gießen. Ein Kontakt mit den radioaktiven Stoffen wäre leicht zu vermeiden. Im übrigen wäre der radioaktive Hauptbestandteil das natürliche Kalium 40. Es gibt Salzquellen an der Asse, die gar nichts mit den radioaktiven Abfällen zu tun haben, aber bezüglich Radioaktivität durchaus erstaunlich sind. Die Aktivität pro Kubikmeter erreicht 23.000 Bq.

Verantwortungsbewusst, wie man zur Zeit der Einlagerung der radioaktiven Abfälle war, hat man sie nicht, wie sonst in einigen Ländern üblich, nur einige Meter unter die Erdoberfläche gebracht, sondern fast 800 m. Und wenn doch Menschen irgendwie mit winzigen Aktivitätsmengen in Kontakt kommen? Das ist in der Grube unvermeidlich, mindestens atmen die Mitarbeiter radioaktives Tritium ein. Was sind die Folgen? Darüber schreibt das Informationsblatt „Asse Einblicke“:

„Daher startet das Bundesamt für Strahlenschutz im Mai 2009 ein sogenanntes Gesundheitsmonitoring, bei dem alle Beschäftigten der Asse erfasst und im Hinblick auf mögliche Gesundheitsgefährdungen hin bewertet werden. Im Februar 2011 wird das Ergebnis bekannt gegeben. Demnach gibt es keinen Nachweis dafür, dass Krebserkrankungen von Beschäftigten auf die Arbeit in der Asse zurückzuführen sind. Viele bleiben skeptisch, doch ein Bericht des Landkreises Wolfenbüttel kommt 2012 zum selben Ergebnis.“

Und was könnte dann außerhalb des Bergwerks passieren? Überhaupt lässt sich diesem Infoblatt vieles entnehmen, was geeignet ist, um gegen die Rückholung der Abfälle aus dem Bergwerk zu argumentieren. Man könnte einwenden, die Menge an Radioaktivität in der Asse, tief unter der Erde, wäre doch unbedeutend gegenüber der Aktivität des oberirdischen Lagers Gorleben, das nur durch einen Zaun geschützt ist. Dazu steht im Infoblatt: „Die Gesamtaktivität der Abfälle entspricht etwa einem Zweihundertstel eines typisch beladenen Castor-Behälters vom Typ V/19 der 96er-Bauart.“

Oder: Muss man wirklich so viel Rücksicht auf die Ängste der Anwohner nehmen? Dazu schreibt „Asse-Einblicke“: „Die jüngere Generation interessiert sich eher nicht für die Asse.“

Ein weiteres Argument gegen die Rückholung: Es stimmt doch nicht, dass die Leute wegziehen und Immobilien entwertet werden. Dazu lässt „Asse-Einblicke“ eine Maklerin zu Wort kommen:

„Man hört manchmal, dass Leute nicht in diese Gegend ziehen wollen wegen der Asse“, sagt die Maklerin Köchy, „aber uns ist so etwas bislang noch nie untergekommen.“ Insgesamt hätten die Immobilienpreise in der Region in den vergangenen Jahren um bis zu einem Drittel angezogen – die Nachfrage steigt.

Wenn aber alle Gründe gegen die Rückholung der Abfälle sprechen, warum dann doch? Auch ohne Gründe hackt „Asse-Einblicke“ übel auf dem früheren Betreiber herum, nach dessen Konzept die Asse heute erledigt wäre. Einige Ausdrücke aus „Asse-Einblicke:

„Scheitern im Umgang mit der Asse“; „Verantwortungsloser Umgang“; „unschöne Vergangenheit“; „größter Umweltskandal Deutschlands“; „skandalöse Bedingungen“; „Irreführung und Vertuschung“; „verantwortungsloses Herumwurschteln“.

Die Betreiber der Asse haben keine Wahl: Hinter ihnen steht die Bundesregierung, jeder trägt mit seinen Steuern dazu bei, den Unsinn der Rückholung mit zu finanzieren. Pro Milliarde ist jeder Einwohner der Bundesrepublik mit 12,50 € dabei. Es wurde nämlich 2013 ein Gesetz beschlossen, welches die Rückholung zwingend vorschreibt.

Etliche Fachleute haben sich gegen die Rückholung der radioaktiven Abfälle ausgesprochen, z.B. die gesamte Strahlenschutzkommission aus 20 jeweils vom Bundesumweltministerium berufenen Experten, auch das gegen Kernenergie eingestellte Ökoinstitut Freiburg. Sämtliche Abgeordnete aller Parteien stimmten für das Gesetz. Ein Sieg der Ideologie und eine erneute Niederlage für die Fachwelt.