Ökostrom: Keine Versorgungssicherheit ohne konventionelle Kraftwerke

Im Vorjahr 2019 überstieg der Anteil der erneuerbaren Energien an der erzeugten Strommenge in Deutschland erstmals den Stromanteil aus Fossilkraftwerken und Kernkraftwerken. Im Juli dieses Jahres deckte der Ökostrom durch sehr hohen Solarstromanteil stundenweise den momentanen Strombedarf nahezu vollständig. Aber eben für nur sehr kurze Zeit.

Es wäre jetzt ein fataler Trugschluss zu glauben, dass es nur eines weiteren Zubaus an Windkraft- und Solaranlagen bedarf, um die konventionellen Kraftwerke dauerhaft überflüssig zu machen.

Windkraft- und Solaranlagen sind, daran geht kein Weg vorbei, auf Wind und Sonnenschein stets angewiesen, um Strom zu erzeugen. Die Annahme, irgendwo in Deutschland oder auf dem Meer würde schon genug Wind wehen, um ausreichend Ökostrom zu erzeugen, ist nachweislich falsch. Linnemann und Vallana [1] konnten belegen, dass sogar europaweit die aufsummierte eingespeiste Leistung der über mehrere tausend Kilometer sowohl in Nord-Süd- als auch Ost-West-Richtung verteilten Windkraftanlagen hoch volatil ist. Ihr Fazit lautet:

„Die intuitive Erwartung einer deutlichen Glättung der Gesamtleistung in einem Maße, das einen Verzicht auf Backup-Kraftwerksleistung ermöglichen würde, tritt nicht ein. …Windenergie trägt damit praktisch nicht zur Versorgungssicherheit bei und erfordert planbare Backup-Systeme nach heutigem Stand der Technik von fast 100 % der Nennleistung des ‚europäischen Windparks’, solange dessen Nennleistung die kumulierte Jahreshöchstlast der betreffenden Länder zuzüglich Reserven noch nicht überschritten sind.“ Die Backup-Leistungen werden von Kernkraftwerken und Fossilkraftwerken geliefert, wobei der nukleare Beitrag 2022 und die Kohleverstromung spätestens 2038 enden soll.

Am Beispiel der Stromerzeugung im Juli 2020, dem Monat mit intensiver Sonnenscheindauer, soll nochmals (vgl. hier,hier,hier) die Volatilität der Ökostromerzeugung anhand der von Rolf Schuster/Vernunftkraft geschaffenen Grafiken verdeutlicht werden.

In der obigen Abbildung sind die im Juli 2020 tageweise die Leistungsbeiträge von Wind-, Solar-, Fossil- und Kernkraftwerken dargestellt. Die Tabelle weist eine installierte Gesamtleistung (sog. Nennleistung) aller Windkraft- und Solaranlagen von 113.689 MW aus (rote Linie am oberen Bildrand). Die tatsächlich erforderliche Leistung wird vom Verlauf der braunen Spitzen angegeben, wobei die braune Fläche die von konventionelle Kraftwerken (backup) beigesteuerte Leistung darstellt. Die maximal erforderliche Leistung betrug 66.515 MW, nachts sinkt der Bedarf stundenweise bis auf ca. 30 MW ab. Die erzeugte elektrische Energie in Gigawattstunden (GWh) wird in der unteren Tabellenzeile angegeben.

Am 4. und 5. Juli deckten die Windkraftanlagen (blaue Fläche) zusammen mit den Solaranlagen (gelbe Spitzen), wie oben angegeben, nahezu den erforderlichen Leistungsbedarf. Aber eben nur stundenweise und dies obwohl die Sonnenscheinstunden im Juli ungewöhnlich hoch waren. Hingegen stand in der Zeit vom 13. bis 20. Juli nur minimale Windkraft zur Verfügung, so dass in den Nächten in dieser Zeit ausschließlich die konventionelle Kraftwerksleistung gefragt war.

Ende Mai berichtete Heise Online [2]: „In Deutschland wurden im ersten Quartal 2020 rund 72,3 Milliarden Kilowattstunden Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt. Das entspricht einem Anteil von 51,2 Prozent im Vergleich zu konventionellen Energieträgern wie Kohle, Kernenergie und Erdgas.“ Bis 2030 soll nach Plänen der Bundesregierung der Anteil auf 65 % ausgebaut werden, dauerhaft und nicht nur zeitweise.

Dazu bitte ich den Leser einen Blick auf die letzte Spalte der obigen Tabelle zu werfen. Die gemeinsame Nennleistung von Windkraft- und Solaranlagen wurde maximal zu 48,21 %, minimal zu 0,66 % und im Mittel nur zu 16,05 % ausgeschöpft. Das bedeutet, im Mittel mussten fast 84 % Strom aus anderen Energiequellen beigesteuert werden. Dieses Missverhältnis zwischen Nennleistung (rote Linie oberer Bildrand) und tatsächlicher Einspeiseleistung kommt in der nachfolgenden Abbildung zum Ausdruck. Zu keiner Zeit erreichte die Einspeiseleistung auch nur annähernd die installierte Leistung, die Nennleistung.

Betrachten wir ausschließlich die Windkraftleistung an Land (onshore) und auf See (offshore) mit einer Nennleistung von 62.364 MW in obiger Tabelle, dann ergibt sich für Juli 2020 der nachfolgende Einspeiseverlauf:

Diese Abbildung zeigt, an nur vier Julitagen erreichten die Windkraftanlagen eine Leistung zwischen 25 und 30 MW bei einem täglichen Leistungsbedarf von ca. 60 MW.

Nun stellen wir uns die Frage, wie die Leistungsverteilung bei einer Verdopplung der Windkraft- und Solarkapazitäten im Juli ausgesehen hätte. Die Antwort gibt die nachfolgende Abbildung.

An einzelnen Tagen schießt das Leistungsangebot stundenweise über den Bedarf hinaus. Der überschüssige Strom müsste zwingend, um das Stromnetz stabil zu halten, in Nachbarstaaten abgeleitet beziehungsweise, Anlagen müssten rechtzeitig „runtergefahren“ oder gar abgeschaltet werden. ABER, und das ist die wesentliche Aussage in der Abbildung, zu keiner Zeit wird der Leistungsbedarf durch Windkraft- und Solaranlagen vollständig gedeckt. Stets ist die ununterbrochene Versorgungssicherheit, wie die graue Fläche überzeugend belegt, nur durch konventionelle Kraftwerke erreichbar.

Diese letzte Aussage wären auch bei einer Verdreifachung der Windkraft- und Solarkapazitäten uneingeschränkt gültig.

In anderen Monaten des Jahres treten zwar witterungsbedingt andere Leistungsbeiträge der Windkraft- und Solaranlagen auf, aber auch in den Monaten zeigen sich absolut ähnliche Verhältnisse wie im Beispielmonat Juli 2020 und bestätigen damit den Titel dieses Beitrages.

 

[1] Thomas Linnemann, Guido S. Vallana, „Windenergie in Deutschland und Europa“, Teil 2: Europäische Situation im Jahr 2017, VGB PowerTech 10/2018

[2] https://www.heise.de/news/Oekostrom-Anteil-steigt-in-Deutschland-auf-ueber-50-Prozent-4767561.html