Die Energiekrise, das Bedürfnis nach Energiesicherheit und – nach Ansicht des Weltklimarates IPCC – der Klimawandel erzwingen eine umfassende Neuausrichtung der Energiesysteme auf globaler Ebene. Länder wie Polen, Türkei, Ägypten sind im vollem Gange dabei, Kernenergie erstmals in ihren Energiemix aufzunehmen.
Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) muss die Welt die jährliche Rate der nuklearen Kapazitätserweiterungen verdoppeln, um das Netto-Null-Ziel für 2050 zu erreichen. Darüber hinaus können Kernkraftwerke mit Projekten für erneuerbare Energien kombiniert werden, um als Grundlaststrom zu fungieren, da Kernenergie den höchsten Kapazitätsfaktor aller Energiequellen besitzt: Kernkraftwerke produzieren bei maximaler Leistung mehr als 93 Prozent der Zeit, verglichen mit 57 Prozent für Erdgas und 25 Prozent für Solarenergie.
Politische und öffentliche Widerstände in westlichen Ländern gegen die Kernenergie, nicht zuletzt aber auch die extrem hohen Sicherheitsanforderungen haben dazu geführt, dass die mittlere Zeit zwischen der Entscheidung und der Inbetriebnahme von Kernkraftwerken der hohen Leistungsklasse (größer 1000 MW) typischerweise zwischen 10 und 19 Jahren liegt – nicht in Asien. Die reine Bauzeit eines Kernkraftwerks dauert durchschnittlich acht Jahre. Darüber hinaus machen große kommerzielle Hürden, vor allem die hohen Vorlaufkapitalkosten und enormen Kostenüberschreitungen, den Neubau zu einem noch beschwerlicheren Unterfangen. Gleichwohl sind weltweit rund 50 Kernraftwerksprojekte in Planung und im Bau.
Schon seit Jahren wird über kleine Kernkraftwerke – zwischen 30 und 300 MW – nachgedacht und geforscht. Das Interesse an kleinen Kernkraftwerken (und Reaktoren zu Heizzwecken) besteht vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländer, welche das Milliardenkapital für große Kernkraftwerke nicht aufbringen können und in deren kleines nationales Stromnetz Nuklearkraftwerke jenseits von 300 Megawatt elektrisch (MWe) nicht einzupassen sind. Kleine Reaktoren gelten als vielversprechende Alternative, um zusammen mit erneuerbaren Energien sowohl den Grundlast- als auch den flexiblen Betrieb bereitzustellen. Sie können mit hoher Auslastung betrieben werden und gleichzeitig die Nachfrage nach Flexibilität bei der Produktionsrate befriedigen.
Besonders kostensparend wirkt sich die Modulbauweise aus, was auch diesen Reaktortypen den Namen gab: Small Modular Reactor-SMR. Während bei einer Großanlage umfangreiche Komponenten auf der Baustelle gefertigt werden müssen, ist dies bei kleinen Moduln nicht der Fall. Diese können in der Fabrik gefertigt und zusammengebaut werden und – wegen ihrer geringen Größe – auf Fahrzeugen zum Standort gebracht werden. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um kleine Reaktortanks, sowie Kühlmittelpumpen und Dampferzeugereinheiten. Daraus ergibt sich ein Kostenvorteil von 30 bis 40 Prozent, welcher den Eskalierungskosten wegen Mehrfachfertigung entgegenwirkt.
Ein weiterer Vorteil der modularen Bauweise liegt in der höheren Sicherheit. Bei kleinen Reaktoren ist häufig eine verbesserte nukleare Sicherheit gegeben, weil gewisse Reaktorkoeffizienten einfacher zu beherrschen sind. Auch die passive Nachwärmeabfuhr bei Ausfall der Kühlkreise ist zumeist gesichert und bedarf nicht des manuellen Eingriffs. Insgesamt erleichtert dies das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, was wiederum die Planungs- und Bauzeit reduziert.
Aufgrund ihres geringeren Platzbedarfs können SMR an Standorten aufgestellt werden, die für größere Kernkraftwerke nicht geeignet sind, wie z. B. stillgelegte Kohlekraftwerke. Ein weiterer wichtiger Vorteil: SMR haben einen reduzierten Brennstoffbedarf und können alle 3 bis 7 Jahre „betankt“ werden, verglichen mit 1 bis 2 Jahren für konventionelle Kernkraftwerke. Tatsächlich sind einige SMR so konzipiert, dass sie bis zu 30 Jahre ohne Nachladung betrieben werden können.
Zahlreiche Regierungen haben begonnen, Anreize für SMR zu schaffen, indem sie sie für Kreditgeber und Versorgungsunternehmen attraktiver machen.
Erste Genehmigungen der nuklearen Regulierungsbehörden in den USA und Kanada liegen vor. Praxistests sind im Bundesstaat Idaho geplant. In der EU interessieren sich Frankreich, Finnland, Schweden, Bulgarien, Rumänien und Estland, ferner Großbritannien für Lösungen dieser Art. Mitte Februar unterzeichneten Nuscale aus USA und der Betreiber des bulgarischen Atomkraftwerks Kosloduj ein Memorandum, wonach der Einsatz von SMR in Bulgarien näher geprüft werden soll.
Der Startschuss zum Bau eines ersten SMR fällt voraussichtlich in Kanada. Der kanadische Energieversorger Ontario Power Generation (OPG) hat am 31. Oktober 2022 bei der Canadian Nuclear Safety Commission (CNSC) einen Antrag auf Baugenehmigung eingereicht. Damit ist das Vorhaben eines kleinen, modularen Reaktors (SMR) am Standort des Kernkraftwerks Darlington einen wichtigen Schritt weitergekommen.
Am 31.01.2023 hat sich die Energieversorgerin Ontario Power Generation (OPG) mit dem Reaktorentwickler GE Hitachi Nuclear Energy (GEH), dem Bau- und Ingenieurunternehmen SNC-Lavalin und dem Bauunternehmen Aecon zusammengeschlossen. Sie werden den ersten kleinen, modularen Reaktor (SMR) Nordamerikas bauen. Der Bau des BWRX-300 (Siedewasserreaktor) von GEH soll bis Ende 2028 abgeschlossen sein.
Die kanadischen Regierungen (auf Bundes- und Landesebene) stehen voll hinter dem Projekt. Es wurde nicht nur der unmittelbare Sinn der Energiegewinnung, sondern auch der industriepolitische und volkswirtschaftliche Vorteil erkannt. Kanada will ein unabhängiges Industrieland bleiben. Kerntechnik ist eine Schlüsseltechnologie, die alle anderen „High Tech Bereiche“ (Werkstofftechnik, Automatisierung, Software, und so weiter) nutzt und vor sich her treibt. Sie schafft jede Menge hochqualifizierter und gut bezahlter Arbeitsplätze. Kanada hat schon immer – anders als in Deutschland – auf eine große Zustimmung in der Bevölkerung geachtet.