Wie stehen die Aussichten auf die verheißungsvolle Kernfusion?

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„Weltrekord bei der Kernfusion“ verkündete der General-Anzeiger Bonn am 9. Februar 2024. Ist es jetzt bald soweit mit der Kernfusion, von der seit mindestens sechzig Jahren die Rede ist? Ich war noch im Physikstudium, als der Dozent, ein Plasmaphysiker, die Realisierung der Kernfusion in fünfzig Jahren vorhersagte. Der große Durchbruch in dieser verheißungsvollen Energiequelle aber blieb bislang aus. Die Bedingungen in der Sonne, nämlich die Kernfusion, auf der Erde nachzubilden, erwies sich bislang als extrem schwierig und aufwendig. Vielleicht doch Hybris, oder was ist jetzt erreicht worden?

Die europäische Kernfusionsanlage Joint European Torus (JET) in Großbritannien habe aus 0,2 Milligramm „Brennstoff“ 69 Megajoule (ca. 19 kWh) Energie gewonnen, teilte das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching mit. „Für die gleiche Energiemenge hätte es etwa zwei Kilogramm Braunkohle gebraucht – also rund zehn Millionen Mal so viel“. Das Plasma war mehr als 100 Millionen Grad heiß. Die Reaktion hielt fünf Sekunden an. Plasma ist, allgemein ausgedrückt, ein überhitztes Gas, in dem die Gasmoleküle in Ionen und freie Elektroden aufgespalten sind.

Der Reaktor JET nach der Neuauskleidung mit Beryllium und Wolfram, bereit für mehr als 100 Millionen Grad. Foto UKAEK

Ohne die Leistung als solche in Frage zu stellen, bei dem Fusionsprozess musste allerdings dreimal mehr Energie hineingesteckt werden als gewonnen wurde, eine negative Energiebilanz.

Was passiert bei der Kernfusion?

Die physikalisch-technische Herausforderung der Kernfusion besteht darin, zwei Atomkerne, die sich aufgrund ihrer positiven Ladung (ähnlich wie zwei gleichartige Magnetpole) abstoßen, derart nahe zueinander zu bringen, dass sie fusionieren. Kernfusionsreaktionen sind die Ursache dafür, dass die Sonne und alle leuchtenden Sterne Energie abstrahlen.

Fusion eines Deuterium- und Tritiumkerns zu einem Heliumkern unter Freisetzung eines Neutrons, wobei 17,59 MeV als kinetische Energie freigesetzt wird. 3,5 MeV des Heliumkerns und 14,1 MeV des Neutrons. Quelle: Wikipedia

Als „Brennstoffe“ werden die schweren Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium verwendet. Deuterium enthält im Kern ein Proton und ein Neutron, Tritium ein Proton und zwei Neutronen (Abb.). Bei der Fusion werden 17,59 MeV als kinetische Energie freigesetzt.

Zur Fusion sind außerordentlich hohe Temperaturen und Drücke erforderlich. In der Kernfusion wetteifern mehrere Technologieansätze miteinander. Die Wichtigsten sind Magnet- und Laserfusion.  Bei der Magnetfusion wird ein Brennstoff durch ein torusförmiges (also donutförmiges) Magnetfeld eingeschlossen und durch einen induzierten Strom, eine Mikrowelle oder energiereiche Teilchen aufgeheizt. Bei der Laserfusion wird einer kleinen Menge Brennstoff mithilfe eines Lasers in so kurzer Zeit Energie zugeführt, dass ein hoher Druck entsteht und die Kernfusion stattfindet, bevor der Brennstoff explodiert.

In Südfrankreich wird derzeit der International Thermonuclear Experimental Reactor (ITER) gebaut, das weltweit größte Forschungsprojekt zur Magnetfusion. Beteiligt sind neben den Mitgliedsstaaten der EU auch China, Indien, Japan, Südkorea, Russland und die USA. Viele kleinere Anlagen, an denen derzeit geforscht wird, arbeiten ITER zu („satellite devices“). Der Bau des ITER begann 2010, die Installation des Fusionsreaktors im Jahr 2020. Voll funktionsfähig wird er frühestens in den 2030er Jahren sein. Die dort gewonnenen Erkenntnisse sollen anschließend in Demonstrationskraftwerke einfließen, die einen kontinuierlichen Netzbetrieb testen. Im Anschluss werden erste kommerzielle Kraftwerke gebaut. Der größte Forschungsreaktor in Deutschland ist der Wendelstein 7-X in Greifswald, betrieben vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik. Dort wird ein Reaktorkonzept mit komplex geformten Magnetspulen erprobt, das eine Alternative zum am ITER verfolgten Konzept mit einfacher geformten Magnetspulen sein könnte [1].

Ein weltweit breites Medienecho erfuhr im Dezember 2022 ein Experiment der National Ignition Facility (NIF) am Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) im Bereich der Laserfusion: Dem Forschungsteam gelang es erstmals, den Brennstoff so zu zünden, dass durch Kernfusion mehr Energie frei wurde (3,15 Megajoule), als dem Brennstoff mit dem Laser zugeführt wurde (2,05 Megajoule). Um die Laser zu betreiben, war allerdings ein Vielfaches an Energie (300 Megajoule) nötig. Bei dem Experiment bündelte man 192 starke Laserstrahlen auf eine erbsengroße Brennstoffkapsel. Sie wird in Sekundenbruchteilen komprimiert und dabei im Zentrum zehnmal heißer als das Innere der Sonne, sodass Wasserstoffkerne verschmelzen. Die Forschungsgemeinde betrachtet das Experiment angesichts des Energieüberschusses innerhalb des Plasmas als einen wichtigen Schritt auf dem Weg zum Fusionskraftwerk [1].

Also, die Chancen stehen gut, dass es irgendwann gelingen könnte, das Sonnenfeuer auf der Erde zu zähmen und in Fusionskraftwerken sauber und sicher große Mengen Strom zu erzeugen. Für die globale Energieversorgung und den Kampf gegen die Erderwärmung wäre das ein Game Changer. Denn wenn Wasserstoffatomkerne zu Heliumkernen verschmelzen, entstehen keine die Atmosphäre schädigende Gase.

Doch wenn Wissenschaftler einen historischen Durchbruch vermelden, ist immer Skepsis angebracht. Fakt ist, so liest man es andererseits, seien wir noch Jahrzehnte entfernt, die enormen Herausforderungen zu bewerkstelligen. Fachleute machen da auch keinen Hehl daraus: Das erfolgreiche Experiment der Laserfusion war ein lang erwarteter Meilenstein der Grundlagenforschung zur Kernfusion. Nicht mehr und nicht weniger.

Wir täten gut daran, in den nächsten Jahrzehnten weiterhin sämtliche verfügbaren Energieträger auch im Sinne des Diversitätsprinzips für eine sichere Energieversorgung zu nutzen und auf keine Energieform aus ideologischen Gründen zu verzichten.

 

[1] Dr.-Ing Wolfgang Schanderl, Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages Nr. 04/24 (07. Februar 2024)