Nukleare Kettenreaktion: Die Natur machte sie uns vor

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Der Naturreaktor als Teil der Schöpfung ist ein in Fachkreisen, weniger in der Öffentlichkeit bekanntes Phänomen, das beim Uranabbau entdeckt wurde.

Das in der Natur vorkommende Uran besteht hauptsächlich aus drei Isotopen des Urans, die sich durch die Neutronenzahl im Atomkern unterscheiden. Das für den Leichtwasserreaktor interessante Uranisotop ist das Uran-235, das einen Anteil von 0,7204(6) % im natürlich vorkommenden Uran hat. Alle drei Isotope zerfallen mit unterschiedlicher Halbwertszeit. Die größte Halbwertszeit besitzt mit ca. 4,47 Milliarden Jahres das Uran-238. Uran-235 hat ca. 0,704 Milliarden Jahre und das Uran-234 ca.0,246 Millionen Jahre. Infolge dieser enormen Halbwertszeiten finden wir dieses Isotopengemisch noch in der Erdkruste.

Am 7. Juli 1972 wurde bei der routinemäßigen Isotopenanalyse einer Uranerzprobe aus der Oklo-Mine im westafrikanischen Staat Gabun in der französischen Isotopentrennanlage Pierrelatte statt dem erwarteten Urangehalt von 0,7204 % nur ein Gehalt von 0,7171 % gefunden. Das Isotopenverhältnis des Urans wird als konstant angesehen, zumindest legen das Untersuchungen an irdischen, Mond- und Meteoritengesteinen nahe. Ein Messfehler? Sehr unwahrscheinlich. Bei einer Messgenauigkeit der Massenspektrometer von 0,0006 Atomprozenten musste die Abweichung von 0,03 % eine andere Ursache haben. Man kontrollierte daraufhin die Analysebücher von früheren Chargen. Sie enthielten ebenfalls Abweichungen vom natürlichen Gehalt, in einem Fall sogar weniger als 0,3 %. Dabei fiel auf, dass die Isotopenabreicherung umso stärker war, je höher der Gesamturangehalt war. Geochemische Isotopeneffekte bei so schweren Elementen wurde ausgeschlossen. Es gab letztlich nur eine Erklärung: Es musste eine Kernspaltung in der Uranerzlagerstätte stattgefunden haben.

Diese Annahme wurde durch die Analyse von Begleitelementen bestätigt. So wies zum Beispiel das Neodym, das bei der Kernspaltung in hohem Maße gebildet wird, Anomalien in den Isotopenzusammensetzungen gegenüber natürlichem Neodym auf, die nur durch das Wissen um die Kernspaltungsausbeute zu erklären waren.

Für die Kernspaltung ist das Uran-235 besonders geeignet. Es kann langsame (energiearme) Neutronen absorbieren, wodurch es in zwei ungleiche zumeist radioaktive Bruchstücke zerfällt (Spaltung) und dabei 2 bis 3 Neutronen aussendet. Letztere können nach Abgabe ihrer Energie in einem Moderator (z.B. Wasser) erneute Uran-235 Kerne spalten. Eine sich selbst erhaltende Kettenreaktion setzt allerdings sehr spezielle geologische Umstände voraus: Eine vergleichsweise hohe Urankonzentration und die Gegenwart von Wasser als Moderator. Die Sedimente der Formation in Oklo haben sich vor rund 2 Milliarden Jahren gebildet. Zu diesem Zeitpunkt betrug die relative Häufigkeit des Uran-235, wie sich anhand der Halbwertszeit berechnen lässt, ungefähr 3 %. Ferner begünstigten die Uranerzlagen in Oklo mit ihren 10 % Urangehalt und rund einem halben Meter Mächtigkeit weitere Bedingungen, die den spontanen Ablauf einer Kettenreaktion ermöglichten.

Der Kernreaktor war ca. 500.000 Jahre lang aktiv und setzte während dieses Zeitraums, bei einer thermischen Leistung von bis zu 100 kW, Energie im unteren dreistelligen TWh-Bereich frei. Das entspricht in etwa der Energiemenge, die ein durchschnittliches Kernkraftwerk in einem Zeitraum von 4 Jahren erzeugt. Im Zuge dessen wurden insgesamt mehrere Tonnen Uran nuklear gespalten und eine entsprechende Menge Plutonium aus Uran-238 durch Neutroneneinfang erzeugt [1].

In der Oklo Uranmine konnten bis zu 17 verschiedene natürliche Reaktoren in drei Uranerzkörpern nachgewiesen werden [2].

Die auf natürliche Weise ablaufende nukleare Kettenreaktion ist auch aus Sicht der Endlagerung von radioaktiven Abfällen von hohem Interesse. Sie ermöglichen die Erkundung des Verbleibs der Spaltprodukte (Migration). Diese lassen sich zwar nach den langen Zeiträumen heute nicht mehr Nachweisen, da sie sich in stabile Isotope umgewandelt haben. Aus den Verschiebungen von Isotopenverhältnissen kann man aber mit der modernen Massenspektrometrie viel über die Migration erfahren. Hier ist sozusagen der Blick in ein Endlager nach vielen Millionen Jahren möglich, besser als es jede Computersimulation nachzustellen erlaubt. Obwohl keine technischen Barrieren und keine optimierten geologischen Bedingungen ein Ausbreiten von Spaltprodukten und Plutonium verhinderten, zeigte sich, dass Uran, Neptunium, Plutonium, Niob, Yttrium, Technetium, Zirkonium und die Seltenen Erdmetalle an der ursprünglichen Stelle verblieben sind. Gewandert sind die Alkalimetalle, z.B. Rubidium und Cäsium, die Erdalkalimetalle Barium und Strontium, die Edelgase, Molybdän, Cadmium, Blei und Jod. Dabei muss beachtet werden, dass in diesem historischen Endlager die Wärmeleistung durch anhaltende Kettenreaktion von etwa 50 Watt pro m2 um ein Vielfaches höher war, als in den heute geplanten Endlagern für hochradioaktive Abfälle [3].

[1] Chemie.de, Lexikon, Nuklearreaktor Oklo

[2] Spektrum.de, „Der natürliche Reaktor von Oklo, 14.11.2011

[3] biancahoegel.de/material/metall/oklo.html