Wenn es um die Energieversorgung geht,
ist uns das Hemd näher als der Rock.
Diese Redensart passt zur internationalen Entwicklung auf dem Energiemarkt in der Nach-COP 26-Ära. Seit Jahren wird wegen des atmosphärischen CO2-Anstiegs gegen Kohle und Öl gewettert, auf der COP 26 für deren Verminderung (erfolglos) verhandelt, doch seither wurde mehr Öl und Kohle für die Erzeugung von Strom und Wärme verwendet als je zuvor. Die steigenden Energiepreise sind ein Argument, vor dem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien als Preistreiber zu warnen.
In China, Indien und Japan, in den USA und in Europa erleben fossile Brennstoffe ein Comeback und die Aussichten, den Übergang zu erneuerbaren Energiequellen zu beschleunigen, sehen zumindest für die nächsten Jahre düster aus.
Nur drei Monate nach der Weltklimakonferenz hat eine toxische Kombination aus politischer Unnachgiebigkeit, einer Energiekrise und pandemiebedingten wirtschaftlichen Realitäten Zweifel an den bei COP 26 erzielten „Fortschritten“ aufkommen lassen. Wenn 2021 von Optimismus geprägt war, dass die größten Umweltverschmutzer endlich bereit waren, sich ehrgeizige Netto-Null-Ziele zu setzen, droht 2022 bereits das Jahr des globalen Rückschritts zu werden.
„Den Regierungen werde vorgeworfen, „Potemkinsche Unterstützung“ für die notwendigen politischen Schritte zu bieten, eine Scheindarstellung von Maßnahmen, die durch die Energiekrise aufgedeckt werden“, heißt es bei Bloomberg [1].
Die grüne Blase ist geplatzt und die Rückwärtsrolle der grünen Politik hat begonnen. Die Umstellung auf erneuerbare Energie war unprofessionell; die technischen wie wirtschaftlichen Folgen waren nicht durchdacht. Die Explosion der Energiepreise ein Ergebnis ideologischer grüner Energiepolitik. Die ökosozialistische Net Zero-Agenda ist zwar noch nicht vorbei, aber der wirtschaftliche, politische und energiepolitische Druck und die globale Nachfrage nach Energie, die sowohl erschwinglich als auch zuverlässig ist, wird zu einer allmählichen Ernüchterung und einer langsamen Rückkehr zu realistischeren klima- und energiepolitischen Ansätzen führen.
Die weltweit hoch katapultierten Energiepreise führten zu besorgniserregenden Einbrüchen bei der Industrie der Windenergieanlagen (WEA), die ja gerade eine entscheidende Rolle bei der Dekarbonisierung übernehmen soll. Wie Bloomberg [2] berichtete, wurden Hersteller wie Vestas Wind Systems A/S von einem Sturm aus Transportproblemen und steigenden Fracht- und Rohstoffkosten aus der Bahn geworfen. Anstatt Gewinne aus der steigenden Nachfrage nach sauberer Energie zu erzielen, kämpft das dänische Unternehmen nur darum, die Gewinnschwelle zu erreichen. Letzte Woche hat der defizitäre europäische Rivale Siemens Gamesa Renewable Energy S.A seinen Chief Executive Officer verdrängt – der zweite Wechsel an der Spitze in weniger als zwei Jahren. Der Zweig für erneuerbare Energien von General Electric Co. verliert ebenfalls Geld.
Den Investoren zeigt diese Entwicklung, dass wetten auf scheinbar klare „Megatrends“ wie den Aufstieg erneuerbarer Energien kurzfristig nach hinten losgehen können. Da die Ölpreise über 90 US-Dollar gestiegen sind, haben sich die Ölaktien im vergangenen Jahr massiv besser entwickelt als Clean Tech-Aktien. Es zeige sich überraschend deutlich, dass selbst stark konsolidierte Branchen wie Windenergieanlagen Schwierigkeiten haben können, steigende Inputkosten an die Kunden weiterzugeben.
Ölaktien haben sich seit Anfang 2021 besser entwickelt als Clean Tech
Bloomberg [2] schrieb dazu: „Vor einem Jahr schossen die Bewertungen der Clean-Tech-Aktien der Turbinenhersteller in die Höhe. Bedingt auch dadurch, weil die Anleger nicht viele WEA-Firmen zur Auswahl hatten. Außerhalb Chinas kontrollieren die drei genannten Top-Player rund drei Viertel des Onshore-Marktes. Aber als sich die Gewinnwarnungen häuften, verblassten die Geldflüsse und die europäischen Windaktien stürzten ab. Vestas hat sich seit dem Höchststand im letzten Jahr fast halbiert, während der von Siemens Gamesa noch weiter gefallen ist.“(Abb.)
Steigende Materialkosten und mehr noch die Logistik bereiten den WEA-Herstellern Kopfzerbrechen. Der Prozess der weltweiten Montagen von Windenergieanlagen ist infolge der Anlagengröße, der Materialbeschaffung und der lokalen Vorschriften für den reibungslosen Ablauf der Lieferketten eine gewaltige Herausforderung. Die Lieferzeiten für einige Komponenten haben sich von fünf auf fast 50 Wochen erhöht, sagte Siemens Gamesa Anfang dieses Monats. Verzögerungen verursachen weitere Kosten und können Kundenstrafklauseln auslösen, was den Transport und die Installation von Turbinen, Schaufeln und Türmen sehr kostspielig mache [2].
Diese unvorhergesehene Entwicklung sind schlechte Voraussetzungen für den „massiven Ausbau der erneuerbaren Energien“, auf den sich die Ampelkoalition im Koalitionsvertrag verständigt hat. Vielleicht ein Glücksfall, wenn auch die Koalition erkennt, was die Fachwelt seit langem prophezeit, dass mit jedem weiteren Ausbau des unzuverlässigen Ökostroms die Netzregulierung für den totalen Stromausfall (Blackout) anfälliger wird.
Höchst fraglich auch, ob die Bürger bereit sind, für die enormen Kosten der Netto-Null-Politik aufzukommen, zumal die Menschen die Auswirkungen einer Politik sehen können, die nichts zur Bekämpfung des globalen Klimawandels beitragen wird, solange die größten CO2-Produzenten der Welt sich weigern, ihre eigenen Praktiken zu ändern.
Zwar will der Staat die EEG-Umlage für die Verbraucher abschaffen und sie durch Steuergelder ersetzen. Aber das wird die Stromkosten nicht erheblich mildern.
Im Sinne der Rückwärtsrolle ist auch die jüngste Entwicklung der EU-Energiepolitik zu sehen. Im Rahmen der angestrebten Taxonomieregelung gelten Kern- und Gaskraftwerke künftig als nachhaltig, also „grün“. Es ist daher erlaubt, bestehende Anlagen dieser Art weiter zu betreiben und sogar neue zu bauen. Was absolut richtig und vernünftig ist, denn nur so kann neben dem unsicheren Ökostrom eine sichere Stromversorgung insbesondere in der Grundlast bereitgestellt werden.
Hoffentlich reift in der Energiepolitik die Erkenntnis, dass die Nachhaltigkeitspolitik mit der Forcierung des Stromverbrauchs einhergeht: Man will die Verbrennungsmotoren „ausbluten“ und auf Elektro-Autos umstellen. Man möchte die Digitalisierung ausbauen (dabei benötigt eine Cloud-Zentrale so viel Strom wie eine Kleinstadt). Man will, dass die Haushalte für Warmwasser und Heizung Elektrothermen nutzen. Die Elektrifizierung der Industrie wird gefordert. Das Erdgas soll auf Wasserstoff umgestellt werden, der mittels „grünem“ Strom erzeugt wird. Dazu die Kryptowährungen, deren Computerzentralen gigantische Strommengen verbrauchen.
„Die Politik sollte also auf eine entsprechende Ausweitung des Strombedarfs abgestellt sein. Derzeit ist jedoch, vor allem in Europa, das genaue Gegenteil der Fall. Nun kann man aber die Realität nicht umschreiben: Die Privathaushalte und die Unternehmungen werden in den nächsten Jahren, ob das der Politik gefällt oder nicht, immer mehr Strom verbrauchen. Und wenn die entsprechenden Kraftwerke nicht zur Verfügung stehen, wird es unweigerlich zu immer mehr Black-Out kommen, zum totalen Stillstand so gut wie aller Lebensbereiche.“
Diesen Absatz schrieb einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in der Kolummne der Weltwoche vom 05.02.2022, Ronald Barazon, in der er folgende Empfehlung gab:
„Man sollte aufhören, unzählige Tagungen abzuhalten, um über CO2 zu diskutieren. Stattdessen sollte man eine weltweite Aufforstung betreiben und auf diese Weise CO2 binden.
Man sollte aufhören, abwechselnd eine Energie nach der anderen zu verteufeln, bloß, um sie eine Zeitlang später wieder als Notwendigkeit oder gar Lösung aller Probleme zu feiern – statt eines solchen widersinnigen Hin und Her sollte man die Nutzung aller Energien optimieren.
Man sollte aufhören, Wind und Sonne als Wundermittel anzupreisen. Stattdessen sollte man die Entwicklung der Kernfusion, der Wasserstoff-Energie und sonstiger noch nicht ausgereifter beziehungsweise noch unbekannter Technologien forcieren.“