Kritik am Prüfungsergebnis des KKW-Weiterbetriebes

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Aktuell sind in Deutschland noch die Kernkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 in Betrieb mit insgesamt 4300 MW Leistung (brutto). Im Zuge der Frage einer möglichen Kompensation der Importe von Erdgas aus Russland infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine stellt sich die Frage, ob diese Kernkraftwerke weiter genutzt werden sollen bzw. können. Die Bundesministerien BMWK und BMUV haben dazu am 7. März 2022 das Ergebnis ihrer Prüfung des Weiterbetriebes vorgelegt.

Im Fazit der Prüfung werden sieben Gründe genannt, weshalb im Ergebnis einer Abwägung von Nutzen und Risiken eine Laufzeitverlängerung der drei noch bestehenden Kernkraftwerke auch angesichts der aktuellen Gaskrise nicht zu empfehlen ist.

Unter Bezug auf dieses Prüfungsergebnis richtete Dr. Jürgen Haag, ehemaliger Kraftwerksleiter des Kernkraftwerkes Emsland, folgendes Schreiben an den Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen):

Zur Kernkraftwerksdebatte März 2022

Sehr geehrter Herr Minister Dr. Habeck,

sehr geehrte Damen und Herren,

mit Erstaunen und Entsetzen habe ich in den letzten Tagen die Nachricht zur Kenntnis genommen, dass die Debatte über eine längere Laufzeit der deutschen Kernkraftwerke nicht weitergeführt wird, da Sicherheitsgründe einer längeren Laufzeit entgegenständen. So jedenfalls der Tenor in den Nachrichtensendungen. Dies erscheint mir angesichts einer drohenden Energiekrise und der daraus resultierenden Folgen als zu kurz gesprungen (vergl. Ölkrise in den 1970er Jahren, mit daraus resultierender Inflation, Rezession und Arbeitslosigkeit – s. auch Hans-Werner Sinn, „Die wundersame Geldvermehrung“ -).

Doch zunächst, damit sie meine Äußerungen einordnen können, kurz zu meiner Person.  Mein Name ist Dr. Jürgen Haag, ich war bis zu meinem Eintritt in die Rente Ende 2017 Geschäftsführer der Kraftwerke Lippe Ems GmbH und atomrechtlich verantwortlicher Leiter des Kernkraftwerkes Emsland sowie der stillgelegten Anlage Kernkraftwerk Lingen.

In ihrer Pressemitteilung (08.03.2022 -GEMEINSAME PRESSEMITTEILUNG -Energiewende)  legen sie dar (Zitat):

„Beide Ministerien kommen zu dem Ergebnis, dass eine Verlängerung der Laufzeiten nur einen sehr begrenzten Beitrag zur Lösung des Problems leisten könnte, und dies zu sehr hohen wirtschaftlichen Kosten, verfassungsrechtlichen und sicherheitstechnischen Risiken. Im Ergebnis einer Abwägung von Nutzen und Risiken ist eine Laufzeitverlängerung der drei noch bestehenden Atomkraftwerke auch angesichts der aktuellen Gaskrise nicht zu empfehlen.“

Es wird damit der Eindruck erweckt, dass der Betrieb der Kernkraftwerke sicherheitstechnisch riskant wäre; wenn dem so wäre, hätten die atomrechtlichen Aufsichtsbehörden längst reagieren müssen und den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke untersagen müssen, was mit Sicherheit auch geschehen wäre.

Zieht man die Begründung ihrer Ablehnung des Weiterbetriebes zu Rate (Prüfung des Weiterbetriebs von Atomkraftwerken aufgrund des Ukraine-Kriegs; BMWK/BMUV vom 07. März 2022), so stellt man fest, dass die „sicherheitstechnischen Risiken“ nicht auf neuen Erkenntnissen basieren, sondern lediglich mit den nicht mehr durchgeführten „Periodischen Sicherheitsüberprüfungen“ (PSÜ) begründet werden. (Die PSÜen wurden in Übereinstimmung mit den atomgesetzlichen Regelungen angesichts des bevorstehenden Betriebsendes der Kernkraftwerke ausgesetzt.) Diese Argumentation ist offensichtlich vorgeschoben und dient lediglich dazu, in der Bevölkerung vorhandene Ängste zu verstärken und neue Ängste zu schüren, zum Zwecke der Rechtfertigung einer ablehnenden Position gegenüber der Nutzung der Kernenergie.

Selbstverständlich unterliegt die Sicherheit von Kernkraftwerken einer permanenten Überprüfung durch die atomrechtlich verantwortlichen Betreiber sowie durch die atomrechtlichen Aufsichtsbehörden sowie der durch diese hinzugezogenen Sachverständigen wie TÜV, GRS und RSK.

Hierzu werden beispielsweise ständig Ereignisse aus kerntechnischen Anlagen ausgewertet, auf Übertragbarkeit auf die deutschen Anlagen geprüft und falls erforderlich Gegenmaßnahmen durchgeführt. Basis hierfür sind weltweite Ereignisberichte, die Bewertung erfolgt selbstverständlich nach dem Stand von Wissenschaft und Technik.

Weiterhin unterliegen die Kernkraftwerke einer periodischen Überprüfung im Betreiberauftrag durch die WANO (WORLD ASSOCIATION OF NUCLEAR OPERATORS, einer weltweiten Betreiberorganisation) sowie durch OSART Missionen der IAEA im Auftrag der Aufsichtsbehörden. Deutsche Kernkraftwerke erzielen hierbei regelmäßig beste Bewertungen.

Hinzu kommt die permanente Aufsicht (nach Stand von Wissenschaft und Technik) über die Kernkraftwerke durch die atomrechtlichen Aufsichtsbehörden unter Hinzuziehung deren Sachverständigen sowie durch die Bundesaufsicht mit den Sachverständigenorganisationen GRS und RSK.

Aus all diesen Vorgängen haben sich meines Wissens keine Hinweise auf Sicherheitsrisiken in deutschen Kernkraftwerken ergeben, oder wurden hier gar relevante Informationen vor der Öffentlichkeit verschwiegen?

Die Postulierung eines sicherheitstechnischen Risikos aus den ausgesetzten PSÜen ist daher nicht angebracht. Wird mit der Existenz eines solchen Risikos argumentiert, so zeugt dies entweder von fehlender Fachkunde oder, was ebenfalls nicht schmeichelhaft erscheint, von einer beabsichtigten Verunsicherung der Bevölkerung durch bewusste Verbreitung von Fehlinformationen.

Natürlich kann der Weiterbetrieb der drei noch stromproduzierenden Kernkraftwerke eine Energiekrise nicht verhindern, auch nicht die Einbeziehung der drei Ende 2022 stillgelegten Anlagen, und natürlich würde der Weiterbetrieb Geld kosten. Aber der Weiterbetrieb würde die Auswirkungen einer Öl- und Gasverknappung deutlich reduzieren, das ist eindeutig durch Produktions- und Verbrauchskennzahlen zu belegen! Zudem sind realistische Alternativen die kurzfristig greifen könnten gar nicht vorhanden.

Ich würde mich sehr über einen Kommentar ihrerseits zu meinen Ausführungen freuen,

Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Jürgen Haag