Max-Planck-Direktor relativiert die Bedrohung durch den CO2-Anstieg

Nur selten kommen in Medien Wissenschaftler zu Wort, die eine von der üblichen Begründung des Treibhauseffektes abweichende Ansicht vertreten. Einer von ihnen ist Jochem Marotzke, Direktor im Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg.

Der „Südwest-Presse“ gab Marotzke ein Interview [1], das sich inhaltlich wesentlich von vielen Ansichten seiner medienbekannten Forscherkollegen unterscheidet. Axel Bojanowski, der auch für die Zeitung Die Welt schreibt, stellte ein paar Auszüge aus dem Interview zusammen [2], unter anderem:

 

Mit dem Katastrophismus der vergangenen Jahre ist der Klimaforscher nicht einverstanden: “Mich erschüttert, dass viele junge Menschen denken, sie hätten wegen des Klimawandels über die nächsten 30 Jahre hinaus keine Überlebenschancen. Diese Angst ist komplett unbegründet”.

Auch die häufig angedrohten Kipppunkte des Klimas, an denen sich negative Klimaentwicklungen unwiderruflich beschleunigen, hält Marotzke für wenig stichhaltig. “Dass sich diese Kipppunkte so prominent im Bewusstsein festgesetzt haben, führt zu übertriebener Sorge und letztlich dazu, dass man falsche Prioritäten setzt”, meint der Klimaforscher. “Meine Empfehlung wäre, sich lieber über den nächsten Starkniederschlag Gedanken zu machen, als darüber, dass jetzt das Methan aus dem Permafrostboden entweicht und uns alle umbringt.”

Entwarnung also? Nein: Die Erwärmung taue den Permafrost auf, entweichendes Treibhausgas verstärke den Klimawandel. “Aber dieser Effekt wird maßlos überschätzt”.

Marotzke wünscht sich gemäßigtere Kommunikation seiner Kollegen: Manche Kollegen beschwörten Worst-Case-­Szenarien und verstünden sich als Aktivisten. Er habe dazu ein “ambivalentes Verhältnis”. Man brauche “eine gesunde Distanz zu seinem Forschungsgegenstand”.

“Die Leute hören irgendwann nicht mehr zu, wenn immer nur die nächste Katastrophensau durchs Dorf gejagt wird”. Das habe Folgen für die psychische Gesundheit der Menschen. Zudem drohe Unglaubwürdigkeit.

Die Welt werde nicht untergehen hinter der 1,5-Grad-Schwelle. “Viele werden dann sagen: Ihr Klimaforscher habt uns jahrzehntelang gesagt, wenn wir diese Marke überschreiten, sind wir verloren”. Es wäre fatal, wenn die Menschen dann den Glauben an die Notwendigkeit von Klimaschutz verlieren, mahnt Marotzke.

Dass es gelingen könnte, die Erwärmung auf 1,5 Grad über dem Niveau des 19. Jahrhunderts zu begrenzen, hält Marotzke für unwahrscheinlich. Zwei Grad hingegen lägen in Reichweite.

Der Klimawandel sei “ein ernstes Problem, auf das wir uns einstellen und alles versuchen müssen, ihn zu dämpfen”. Dass junge Menschen aber glaubten, ihr Überleben sei bedroht, sei “entsetzlich” und “komplett unbegründet”.

Ähnlich differenziert äußert sich der Klimaforscher zum schwindenden Meereis in der Arktis. Es taue zwar, ein Kipppunkt sei jedoch nicht zu erwarten: “Hier bin ich mir am sichersten, dass das kein Kipppunkt ist. Das Eis kommt immer wieder”, sagt der Max-Planck-Direktor. Das hätten Modellierungen demonstriert.

Das grönländische Eisschild hingegen sei bedroht. Würde keine neue Eiszeit kommen und das Eis verschwinden, würde das Schmelzwasser den Meeresspiegel um sieben Meter steigen lassen. “Das ist zwar viel, es dauert aber 2000 bis 3000 Jahre”, erläutert Marotzke.

Marotzke war in den 1980er-Jahren Pionier der Golfstrom-Forschung in Deutschland. Den gerne beschworenen Kollaps der Warmwasserströmung nach Europa hält er für “sehr unwahrscheinlich”. Das Bild, dass die Meeresheizung wegfallen würde, sei absurd. “Man muss sich schon entscheiden, welche Paranoia einen umbringen soll, Abkühlung oder Erwärmung”.

Die Menschheit müsse ihren Fokus stärker auf Schutzmaßnahmen richten. “Auf diesem Gebiet muss mehr geschehen, auch im politischen Diskurs”, sagt Marotzke. “Es ist bisher viel attraktiver zu fordern, den Klimawandel aufzuhalten, als sich an ihn anzupassen”, bemängelt er in dem Interview.

Bereits vier Jahre zuvor erklärte Marotzke im Interview mit Der Spiegel (41/2018) auf die Frage, wie viel CO2 wir noch in die Luft pusten dürfen:

„Das ist eine wirk­lich span­nen­de Fra­ge, die in der Fach­welt seit etwa ei­nem Jahr für hel­le Auf­re­gung und hef­ti­ge Dis­kus­sio­nen sorgt. Denn nach den neu­es­ten Kli­masze­na­ri­en ist die CO2-Men­ge, die wir noch frei­set­zen kön­nen, weit­aus grö­ßer als bis­her an­ge­nom­men – eine fun­da­men­ta­le Er­kennt­nis. Wei­te­re Emis­sio­nen füh­ren zu ei­ner ge­rin­ge­ren CO2-Kon­zen­tra­ti­on in der Luft als ver­mu­tet. Un­ser ver­blei­ben­des CO2-Bud­get für das 1,5-Grad-Ziel ist wohl min­des­tens dop­pelt so groß wie ge­dacht, fast tau­send Gi­ga­ton­nen. Da­durch ver­län­gert sich un­se­re Gal­gen­frist um rund zehn Jah­re. Es macht na­tür­lich ei­nen Rie­sen­un­ter­schied, ob wir den Aus­stoß von Treib­haus­ga­sen schon in 15 oder erst in 25 Jah­ren auf null brin­gen müs­sen.“

Aufschlussreich ist auch seine Antwort auf die Frage, warum die Grenze von 2 Grad auf 1,5 Grad abgesenkt wurde:

„Das kam auch für uns Kli­ma­for­scher über­ra­schend. Vor al­lem die west­pa­zi­fi­schen In­sel­staa­ten be­stan­den bei den Pa­ri­ser Ver­hand­lun­gen auf 1,5 Grad, weil sie schon bei 2 Grad vom An­stieg des Mee­res­spie­gels be­droht wä­ren. In den meis­ten Welt­re­gio­nen je­doch, ins­be­son­de­re in Eu­ro­pa, er­war­ten wir kei­ne gro­ßen Un­ter­schie­de zwi­schen ei­ner 1,5-Grad-Welt und ei­ner 2-Grad-Welt.“

 

Marotzke hat führend an Sachstandsberichten des Weltklimarats (IPCC) mitgearbeitet und ist Mitglied der Wissenschaftlervereinigung Leopoldina und der Akademie der Technikwissenschaften, was seinen Ausführungen besonderes Gewicht gibt.

 

[1] https://www.swp.de/politik/klimaforscher-jochem-marotzke-warum-uebertriebene-angst-vorm-klimawandel-unbegruendet-ist-63212643.html

[2] https://axelbojanowski.substack.com/p/kipppunkte-und-paranoia?s=r