Gesetz verhindert Castor-Zwischenlagerung in Gorleben: Staatliche Willkür?

Print Friendly, PDF & Email

Soweit erkennbar ist der Öffentlichkeit nicht bewusst, dass mit dem am 1. Januar 2014 vollständig in Kraft getretenen „Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze (Standortauswahlgesetz – StandAG)“ eine politische Entscheidung getroffen wurde, die gegen Grundgesetze verstößt. Die Verstöße gehen überwiegend zu Lasten der Kernkraftwerksbetreiber und letztendlich zu Lasten aller Stromkunden, die die finanziellen Auswirkungen der Verstöße über die Stromkosten zu tragen haben.

Zur Sachlage: Die Kernkraftwerksbetreiber haben die atomgesetzliche Pflicht, der Genehmigungsbehörde gegenüber jährlich den Verbleib der anfallenden abgebrannten Brennelemente nachzuweisen. Die Betriebsgenehmigung für ihre Anlage ist an diesen so genannten „Entsorgungsvorsorgenachweis“ gebunden. Als Nachweis hatten sie die Wahl zwischen der Wiederaufarbeitung des Kernmaterials in den Wiederaufarbeitungsanlagen in Frankreich (La Hague) und Großbritannien (Sellafield) oder der Lagerung in Castor-Behältern in den zentralen Zwischenlagern in Ahaus und Gorleben, die eigens für diesen Zweck errichtet worden sind. Von beiden Möglichkeiten wurde Gebrauch gemacht.

Für das Verständnis des Folgenden ist wichtig zu wissen, dass das Zwischenlager Gorleben zusätzlich für die nach Wiederaufarbeitung zurückzunehmenden verfestigten radioaktiven Abfälle, ebenfalls in Castor-Behältern aufbewahrt, im Sinne des oben genannten Nachweises vorgesehen und genehmigt ist. Mit anderen Worten: Nur über das Zwischenlager Gorleben können sowohl die Rücknahmeverpflichtung wie auch die atomrechtliche Nachweisverpflichtung erfüllt werden.

Mit der Atomgesetznovelle vom 22. April 2002 wurde die Wiederaufarbeitung ab 1. Juli 2005 und – nach einer Übergangszeit – auch die Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente in Ahaus und Gorleben rechtlich untersagt. Zugleich wurde den Betreibern mit der Novelle auferlegt, an den Standorten ihrer Kernkraftwerke („standortnah“) Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente zu errichten und zu nutzen. Von der „kalten Enteignung“ ihrer Zwischenlager in Ahaus und Gorleben war seiner Zeit die Rede, da die Betreiber ihre Investitionen für den vorgesehenen Zweck nicht mehr nutzen durften. Dahinter steckte der politische Wille, Transporte von abgebrannten Brennelementen zu den zentralen Zwischenlagern zu vermeiden. An allen Kernkraftwerksstandorten mussten also Lagerhallen errichtet werden, die denen von Ahaus und Gorleben vergleichbar sind. Sollte auch zukünftig die direkte Endlagerung abgebrannter Brennelemente politisches Ziel sein, ist für jedermann einsichtig, dass Transporte auf Dauer unvermeidbar sein werden und zwar Transporte zunächst zu einer „Konditionierungsanlage“, in der die Brennelemente in Endlager geeignete Behälter umgeladen werden und von dort zum Endlagerbergwerk. Nur wenige werden wissen, dass seit Jahren eine betriebsbereite, aber noch nie in Betrieb genommene Konditionierungsanlage ebenfalls am Zwischenlagerstandort Gorleben existiert. Sie wurde in unmittelbarer Nähe des geplanten Endlagers errichtet, um die Transportwege kurz zu halten. Auch diese Tatsache muss man sich vor Augen halten, wenn die politische Entscheidung in Jahrzehnten auf einen anderen Endlagerstandort als Gorleben fällt.

Erneute politische Richtungsänderung: Mit dem eingangs genannten Standortauswahlgesetz wird nicht nur eine über 30 Jahre betriebene Endlagersuche und Endlagererkundung zunichte gemacht, auch dürfen mit in Kraft treten dieses Gesetzes im zentralen Zwischenlager Gorleben keine der aus dem Ausland zurückzunehmenden, mit Wiederaufarbeitungsabfällen gefüllten Castor-Behälter mehr eingelagert werden. Damit vollzieht der Gesetzgeber erneut eine grundlegende Änderung des Entsorgungskonzeptes. Das Nutzungsverbot für das Zwischenlager Gorleben und auch die erneute Standortsuche waren Forderungen der niedersächsischen Landesregierung, namentlich vom niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Heil und ist der politische Preis dafür, dass Niedersachsen dem Standortauswahlgesetz zugestimmt hat. Zeitgleich mit der Zustimmung zum Gesetz haben Bund und Länder vereinbart, bis Januar 2014 (!) drei Standorte in drei Bundesländern als Zwischenlagerersatz für den „Ausfall“ von Gorleben zu finden. Bis auf zwei Bundesländer haben alle anderen signalisiert, keine aus dem Ausland zurückkommenden Castor-Behälter aufzunehmen. Wir schreiben jetzt Juli 2014, ohne dass sich eine Lösung zeigt.

Ziemlich perfide wirkt vor diesem Hintergrund deshalb eine Regelung im Standortauswahlgesetz, wonach den Betreibern aufgegeben wird, dafür zu sorgen, dass die Castor-Behälter mit verfestigten hochradioaktiven Abfällen in Lager an den Kernkraftwerken aufbewahrt werden. In Artikel 2 § 9b Absatz 2a des Standortauswahlgesetzes heißt es: Der Kernkraftwerksbetreiber „ hat auch dafür zu sorgen, dass die aus der Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe im Ausland stammenden verfestigten Spaltproduktlösungen zurückgenommen und in standortnahen Zwischenlagern (…) bis zu deren Ablieferung an eine Anlage zur Endlagerung radioaktiver Abfälle aufbewahrt werden.“

Nochmals: Ausschließlich für das Zwischenlager Gorleben liegt eine atomrechtliche Genehmigung für die Lagerung von Castor-Behältern mit Abfällen aus der Wiederaufarbeitung vor, nirgends sonst in Deutschland. Doch mit dieser gesetzlichen Neuregelung streicht der Gesetzgeber das Zwischenlager Gorleben als zulässiges Zwischenlager für Wiederaufarbeitungsabfälle und gefährdet damit die Rücknahme- und Nachweisverpflichtung der Betreiber. Bislang wurden 108 Castor-Behälter mit verfestigten Spaltproduktlösungen im Zwischenlager Gorleben eingebracht /1/. Weitere 21 Behälter müssen noch aus dem Ausland zurückgenommen werden.

Rechtliche Wertung: In einem überzeugenden Aufsatz nimmt sich Posser /2/ der rechtlichen Wertung des Nutzungsverbotes vom Zwischenlager Gorleben an. Er gelangt zu der Auffassung, dass die obige Neuregelung gegen Art. 12 und 14 des Grundgesetzes verstößt. Sie verrechtliche eine verfassungswidrige Verpflichtung der Betreiber zur Erfüllung eines rein politisch gesetzten, durch Sachgründe nicht legitimierten Zwecks.

Im Einzelnen: Die Neuregelung stelle einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz dar, der mangels Verhältnismäßigkeit nicht gerechtfertigt sei, zumal die Neuregelung keinen legitimen Zweck verfolge, sondern die Zielsetzung allein politischen Drucks – namentlich seitens Niedersachsen – geschuldet sei. Das Motiv, politischem Druck zum Zweck einer Einigung nachzugeben, stelle keinen hinreichenden Sachgrund dar. Mit dieser Zielsetzung werde offensichtlich keine Regelung zum Zwecke des Gemeinwohls verfolgt. Eingriffe bedürften vielmehr der Rechtfertigung durch gleichrangige, rechtlich geschützte Belange.

Fernerhin sieht Posser /2/ einen Eingriff in den Schutzbereich des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz. Zum einen sei eine Entwertung von Investitionen der Betreiber erfolgt, zum anderen wären mit Blick auf die Änderung des Entsorgungskonzeptes Konsequenzen für die eigenen standortnahen Zwischenlager unter Umständen verbunden. Das Grundgesetz schütze nicht nur das Eigentum in seinem Bestand, sondern auch in seiner Nutzung, was bei Posser /2/ noch näher erläutert wird. Im Vertrauen auf den Bestand des durch § 9a ff. Atomgesetz normierten Entsorgungswegs haben die Betreiber das Zwischenlager Gorleben errichtet, um ihrer Verpflichtung zur Nachweisführung einer geeigneten und ausreichenden Lagerkapazität der Wiederaufarbeitungsabfälle zu genügen. Dabei sei es, so Posser, das gemeinsame Verständnis aller Beteiligten, dass die Wiederaufarbeitungsabfälle auf der Basis der vorgelegten realistischen Planung bei der vorhandenen Lagerkapazität in Gorleben bis zur Endlagerung zwischengelagert werden können.

Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Eigentumsregelung des Art. 14 Abs. 1 GG auch die atomrechtliche Betriebsgenehmigung als eigenständig geschützte Rechtsposition erfasst. Das bedeutet, dass auch der Genehmigungsumfang für die bisherigen standortnahen Zwischenlager unangetastet bleibt, sprich, Bestand haben muss. Dieser Bestandschutz ist für den Betreiber zwingend erforderlich, um seiner Verpflichtung zum Entsorgungsvorsorgenachweis bezüglich der abgebrannten Brennelemente aus dem Reaktorbetrieb nachzukommen. Mit der Neuregelung des Entsorgungsweges aber werden die Betreiber verpflichtet, dafür zu sorgen, dass auch die mit Wiederaufarbeitungsabfällen gefüllten Castor-Behälter in den standortnahen Zwischenlagern gelagert werden können. Sollten dazu die bereits vorhandenen Zwischenlager genutzt werden, dann müssten deren atomrechtliche Genehmigungen geändert werden. Dabei sei es keineswegs so, dass nur die zu genehmigende Änderung, also die Lagerung dieser Castor-Behälter betrachtet wird, sondern die Genehmigung insgesamt erneut aufgerollt wird. Soweit sich die Änderung auf den Bestandsschutz auswirkt, ist auch dieser erneut genehmigungsbedürftig. Auf den Bestandsschutz kann sich der Betreiber (Genehmigungsinhaber) dann nicht berufen, eben weil die Genehmigungsfrage erneut aufgeworfen wird. Auch dafür bedarf es eines rechtfertigenden Grundes, an dem es hier aber fehle. Sollte dieser Zustand tatsächlich eintreten, dann wäre der atomrechtliche Entsorgungsvorsorgenachweis gefährdet. Die rein politische Zweckmäßigkeit kann einen Eingriff in Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz nicht rechtfertigen. Bei alle dem kommen ein nicht unerheblicher Kosten- und Organisationsaufwand und nicht auszuschließende, unter Umständen langwierige gerichtliche Auseinandersetzungen auf die Betreiber zu.

Posser /2/ zieht folgendes Fazit: „Es sieht ganz danach aus, als sei die Politik in Deutschland nach dem überstürzten Moratorium /3/, dem kopflosen Ausstieg 2011, der (…) verfassungswidrigen Kernbrennstoffsteuer und dem schon handwerklich unzugänglichen Standortauswahlgesetz ein weiteres Mal bereit, zur Durchsetzung politischer Opportunitätserwägungen rechtswidrige Zustände zu schaffen. Geht es in Deutschland um die Kernenergie, scheint der Politik jedes Mittel recht zu sein. Selbst Gesetze – als vornehmste Gewährleistung rechtsstaatlicher Freiheit, als Verwirklichung des Primats des Rechts – erweisen sich in jener Handhabung nur noch als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Das ist eines freiheitlich verfassten Gemeinwesens unwürdig.“

Zurück zu der im Titel gestellten Frage: Wie festgestellt, entbehrt die gesetzliche Neuregelung des Entsorgungskonzeptes einer sachlichen Begründung, zu der der Staat verpflichtet gewesen wäre. Vielmehr drängt sich der Schluss auf, dass seine Entscheidung zur Neuregelung auf sachfremden Erwägungen beruhte, nämlich das Ziel einer politischen Einigung über Parteigrenzen hinweg verfolgte. Folglich muss seine Entscheidung als Willkür gewertet werden.

/1/ http://www.gns.de/language=de/2468/transportbehaelterlager-gorleben-tbl-g

/2/ Posser, Herbert, „Zur neuen Sorgepflicht der Kraftwerksbetreiber gem. § 9a Abs. 2a AtG“, atw Vol. 59/7 (Juli 2014), S. 438ff

/3/ Leidinger, „Bundesverwaltungsgericht bestätigt Rechtswidrigkeit des Kernkraftmoratoriums: Primat der Politik gilt nur in den Schranken des Rechts“, atw Vol. 59/3 (2014), S. 142, Anlass war die atomrechtliche Verfügung des hess. Umweltministeriums, den Leistungsbetrieb von Biblis A und B für 3 Monate einzustellen.