
Im Namen deutscher Klimaschutzpolitik wurden in jüngerer Vergangenheit Entscheidungen zu Lasten von Namibia getroffen. Diese Politik hat Menschenrechtsorganisationen auf den Plan gerufen.[1] Der Energieriese RWE hat daraufhin seine Wasserstoffpläne für Namibia zurückgezogen.[1, 2] Da lohnt es sich, doch mal genauer hinzugucken.
Die Nationale Wasserstoffstrategie (NWS) [3]
Deutschland strebt an, bis zum Jahr 2030 die Kapazität von 10 GW zur Produktion von grünem Wasserstoff aufzubauen. Es sollte mindestens genauso viel aus dem Ausland importiert werden. Alleine Namibia soll die Kapazität von 6-7 GW aufbauen, und damit spielt es eine Schlüsselrolle.
Grüner Wasserstoff bedeutet, dass Wasserstoff ausschließlich aus ‚Erneuerbaren‘ Energiequellen erzeugt wird, also Wind und Sonne. Das impliziert, dass die Elektrolyse von Wasser als technisches Verfahren herangezogen werden muss.
Grüner Wasserstoff soll in erster Linie als Speichermedium dienen. Außerdem soll es auch dort eingesetzt werden, wo Wind- und Solarstrom nicht direkt verwendet werden können, z. B. bei der Produktion von grünem Stahl.
Wind- und Solarenergie ist wetterabhängig: Um die damit verbundene Flatterhaftigkeit auszugleichen, soll bei günstigen Wetterbedingungen überschüssiger Strom zur Elektrolyse von Wasser genutzt werden. Der so produzierte Wasserstoff soll dann bei ungünstigen Wetterbedingungen, also Flauten, wieder verstromt werden.
Es gilt zu bedenken, dass man während Stromüberschusszeiten (z. B. im Sommer), die Speicher gut füllen kann. Flauten (z. B. im Winter) können jedoch mehrere Tage anhalten, und wenn die Speicher einmal leer sind, muss man auf günstiges Wetter warten, um sie wieder füllen zu können. Aus diesem Grund sollen weitere Gaskraftwerke als Backup gebaut werden. Diese Kraftwerke sollen kompatibel mit Wasserstoff sein.
Status Quo – Produktion im Inland
Die Strategie sieht vor, dass bis 2030 mindestens 50% des Bedarfs an grünem Wasserstoff aus dem Inland gedeckt werden soll.[3, 4] Der Bundesrechnungshof konstatiert dem Status Quo ein mangelhaftes Zeugnis und bezeichnet die selbst gesteckten Ziele als „nicht realisierbar“, und sie gehören daher auf den Prüfstand.[4] In der Tat sind die Daten ernüchternd, sie sprechen für sich:
2021: 0,049 GW
2022: 0,059 GW
2023: 0,064 GW
2024: 0,116 GW
2025 (1. Quartal): 0,17 GW.
2030 (Ziel): 10 GW
Seit dem Ende der Ampelregierung geht es jedoch etwas schneller voran.[5] Trotzdem, auch die Deutsche Energieagentur (dena) schreibt über die 2030-Ziele: ‚Die Realisierungswahrscheinlichkeit ist niedrig‘.[5] Neben den technischen Schwierigkeiten die geforderten Kapazitäten aufzubauen, hapert es besonders an der Finanzierung für Anlagen.[5] Wenn Ed Conway (Material World, S. 488) Recht hat, dann ist das kein Wunder: „Die Elektrolyse zur Herstellung von Wasserstoff ist ein so ineffizientes Verfahren, dass es einem die Tränen in die Augen treibt.“
Status Quo – Produktion im Ausland – Fokus Namibia
Deutschland wird sein eigenes Inlandziel also voraussichtlich um eine Größenordnung verfehlen. Erfolgreiche internationale Zusammenarbeit mit anderen Ländern ist daher Bedingung für das Gelingen der Wasserstoffstrategie, und damit auch der Energiewende. Ägypten, Angola, China, Saudi Arabien und die VAE (Vereinigte Arabische Emirate) haben Lieferungen von Wasserstoff angekündigt. Mit zahlreichen anderen Ländern bestehen lediglich Absichtserklärungen.[6] Hierbei sticht Namibia heraus.
Das frühere deutsche Südwestafrika scheint durch seine topographischen Voraussetzungen, und natürlich seinen historischen Beziehungen zu Deutschland, ideal geeignet zu sein. In Namibia war die Installation von 6-7 GW Wind- und Solarparks bzw. Elektrolyseure geplant. Um die Größenordnung zu betonen: 6-7 GW entsprechen 60-70% der in Deutschland bis 2030 geplanten Elektrolyseure. Namibia spielt damit eine Schlüsselrolle in Deutschlands Plänen.
Das Hyphen Hydrogen Energy Project sollte durch Elektrolyse von Wasser in einem der trockensten Länder der Erde grünen Wasserstoff produzieren. Dieser grüne Wasserstoff soll mittels des Haber-Bosch-Verfahrens in grünes Ammoniak umgewandelt werden: geplant sind Lieferungen von 300 Millionen Tonnen Ammoniak pro Jahr ab 2027. (Anm. 178 kg Wasserstoff liefern 1 Tonne Ammoniak); Ammoniak ist eine chemische Speicherform von Wasserstoff und lässt sich leichter um die halbe Welt transportieren als Wasserstoff selbst.
In Deutschland angekommen müsste Ammoniak dann wieder ‚gecrackt’ werden (Umkehrung des Haber-Bosch-Verfahrens), um den gewünschten Wasserstoff rück zu gewinnen und zu verbrennen oder zur Produktion von grünem Stahl zu verwenden. Die Verbrennung liefert dann mit Hilfe von wasserstoffkompatiblen Gasturbinen CO2-freien, und damit grünen, Strom; dabei entsteht auch Wasser als Endprodukt. Damit wäre die ‚Kreislaufwirtschaft‘ komplett.
Der gesamte Prozess stellt sich selbst dem Laien als aufwendig, wenig effizient und damit teuer dar; dabei ist er hier nur in den gröbsten Zügen wiedergegeben. Überspitzt könnte man sogar sagen, dass hier sehr aufwendig Wasser aus Namibia nach Deutschland exportiert werden soll, mit Wasserstoff bzw. Ammoniak als Trägermaterial. RWE hat sich nun jedoch aus der Kaufvereinbarung zurückgezogen.[1, 2] Aus diesen Plänen wird also nichts.
Namibia – Umwelt, Natur, Menschenrechte
Als perfekter Ort für Wind- und Solarparks wurde eine 4000 km2 Fläche um die Stadt Luderitz auserkoren, dem ‚Tsau ǁKhaeb (Sperrgebiet) National Park‘ in der Namib Wüste. Dort wurden vor über 100 Jahren auch Diamanten gefunden, weshalb es zum Sperrgebiet erklärt wurde. Es gehört zum angestammten Land des indigenen Volkes der Nama. Für Touristen ist dieses Gebiet nur eingeschränkt zugänglich: die alte Diamantenstadt Kolmannskuppe ist heute eine durch Wind und Sand bizarr gestaltete Geisterstadt und eine beliebte Touristenattraktion.
Das Engagement von RWE geriet durch Vertreter verschiedener Menschenrechtsorganisationen, z. B. dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), immer mehr unter Druck.[1] RWE und dem Wasserstoffprojekt wird die Fortführung alter kolonialer Muster vorgeworfen, sowie die Zerstörung eines Biodiversitäts-Hotspots. Die Auswirkungen auf die Umwelt sind enorm.
Namibia ist ein wasserarmes Land: Es besitzt keinen Fluss, der ganzjährig Wasser führt. Das zur Elektrolyse benötigte Wasser müsste durch Entsalzungsanlagen aus Meerwasser gewonnen werden.
Namibia ist dünn besiedelt: 3,5 Millionen Einwohner verteilen sich auf ein Land, das flächenmäßig 1,5-mal größer ist als Deutschland.
Ergibt es Sinn, einem trockenen Land die kostbarste Ressource überhaupt, Wasser, zu entziehen, verschwenderisch umzuwandeln und um die halbe Welt zu transportieren, nur um die Wünsche eines einzigen Landes in Mitteleuropa künstlich weiter am Leben zu halten?
Das Beispiel ‚Wasserstoff aus Namibia‘ ist ein Paradebeispiel für die Hybris deutscher und europäischer Energiepolitik: die sich selbst auferlegten, und zweifellos richtigen, Prinzipien zum Schutz der Natur, Umwelt und Menschen werden gerne mit Füßen getreten, wenn es um das zwanghafte Aufrechterhalten ideologisch getriebener Träumereien einer gescheiterten Energiepolitik geht.
Produktion weltweit
Die nationalen Ziele werden also weit verfehlt werden. Der Fokus und die Hoffnung auf Namibia als Retter (in der Not) hat sich als Sackgasse erwiesen. Auswege basieren auf ebenfalls unrealistischen Wünschen. Die gegenwärtig prognostizierten Zahlen für die Produktion von Wasserstoff (umgerechnet in TWh) für das Jahr 2030 sind mit einem Sargnagel für die derzeitigen Pläne gleichzusetzen:[4]
- 63 TWh: die globale Produktionskapazität mit finaler Investitionsentscheidung
- 47,5 TWh: Minimumimportbedarf Deutschlands – 3/4 der globalen Produktion
- 91 TWh: Maximumimportbedarf Deutschlands – übersteigt, was die gesamte Welt produzieren kann
- (Anm.: 1,5 Million Tonnen Wasserstoff liefern 1 TWh nutzbare Energie)
Ordnet man also die relevanten Größenordnungen global ein, so wird die Utopie deutscher Wasserstoffpläne erst so richtig deutlich. Der Bedarf Deutschlands übertrifft den Kapazitäten, die die Welt liefern kann (Stand 2025, Prognosen für 2030). Außerdem haben ja andere Länder ebenfalls Bedarf nach grünem Wasserstoff.
Wirtschaftlichkeit – Angebot und Nachfrage
Technisch gesehen ist jeder einzelne Schritt dieser Prozesse bereits gelöst, denn Wasserstoff ist ein unverzichtbarer Baustoff für die chemische Industrie. Vom Gebrauch in chemischen Forschungslaboren bis hin zur Düngemittelherstellung und großtechnischen Stahlerzeugung ist Wasserstoff nicht wegzudenken. Seit der Entdeckung des Haber-Bosch-Verfahrens wurden die Prozesse immer ausgereifter. Der verwendete Wasserstoff wird jedoch billig hergestellt aus fossilen Energieträgern, wie z. B. Erdgas. Wasserstoff lässt sich durch thermochemische Verfahren auch kostengünstig mit modernen, modularer Hochtemperatur-Kernkraftwerken (Small Modular Reactors, SMRs) erzeugen.[7] Dieser Wasserstoff ist allerdings den grünen Vorgaben nicht grün genug, trotz seiner CO2-freien Erzeugung. Deutschland wird zum Opfer seiner sich selbst auferlegten Pfadabhängigkeit (Energiewende ohne Kernenergie).[8]
Die eigentliche Problematik des grünen Wasserstoffs scheint aber zur Zeit eher einer Henne-Ei-Situation zu ähneln:
- Das Angebot von grünem Wasserstoff liegt weit hinter den Erwartungen (der Unternehmen, Politik) zurück, weil die Nachfrage zu gering ist.[4]
- Die Nachfrage bleibt weit hinter den Erwartungen (der Unternehmen, Politik) zurück, weil das Angebot zu gering ist; letzteres ist der offizielle Grund von RWE, sich aus Namibia zurückzuziehen.[4]
Der Grund für die geringe Nachfrage liegt natürlich vor allem darin, dass grüner Wasserstoff so teuer ist, dass ihn sich niemand leisten will bzw. kann. Die Verwendung eines solch teuren Rohstoffs zur Verbrennung ist Verschwendung. Der Zweck, CO2-arme Verbrennung, heiligt niemals alle Mittel. Machiavelli selbst hätte hier wohl ernste Einwände gegen die von Deutschland eingesetzten Mittel.
Als ob all diese Einschränkungen nicht schon genug wären, so fährt Deutschland und die EU weitere potente Geschütze auf: neu gebaute Gaskraftwerke sollen wasserstofftauglich sein. Wasserstoff stellt aber ganz andere Anforderungen an Materialien, als Erdgas es tut. Wasserstoff ist das kleinste Element des Periodensystems: ‚Wasserstoff Leakage‘ das Entweichen durch Poren im Material sowie Reaktionen mit den Materialien selbst sind essentiell zu lösende Probleme. Die Ingenieure von Siemens Energy sind aber auf einem guten Weg und entwickelten 2022 die erste wasserstoffkompatible Gasturbine. Diese Turbinen laufen jedoch nicht mit reinem Wasserstoff, sondern Erdgas, dem maximal 15Vol% Wasserstoff beigemischt sind.[9] Sie liefern also streng genommen auch keinen wirklich grünen Strom. Auch hier steckt die gesamte Entwicklung jedoch noch in den Kinderschuhen.
Fazit
Die Gelingensbedingungen für grünen Wasserstoff als chemischer Speicher für die deutsche Energiewende stehen bestenfalls auf orange, eigentlich aber auf rot. Die gesamte Welt kann nach derzeitigem Stand der Dinge noch nicht einmal den Bedarf eines einzigen Landes, Deutschland, zufrieden stellen. Selbst wenn die technischen Möglichkeiten gegen alle Widerstände trotzdem überwunden werden sollten, dann wäre das Produkt nicht wettbewerbsfähig, weil es viel zu teuer wäre.[4, 10] Es stellt sich die ernsthafte Frage, ob die Verschwendung von Kapital und Rohstoffen nicht sinnvoller eingesetzt werden könnte.
Moderne Kernkraftwerke (SMRs) könnten vor Ort des Gebrauchs im Inland, anstelle von Wind- und Solarparks in Übersee, den so begehrten ‚Champagner der Energiewende‘ kostengünstiger, und nachhaltiger für die Umwelt, bereitstellen.[11]
Am Beispiel Namibias zeigt die Verschwendung all seine Gesichter. Die Landesfläche sollte nach alten kolonialen Mustern ausgebeutet werden, ein ansässiges indigenes Volk hätte weichen müssen. Der für Namibia knappste und damit kostbarste Rohstoff von allen, Wasser, würde aufwendig durch Meerwasserentsalzungsanlagen gewonnen werden müssen, um nach zahlreichen chemischen und physikalischen Umwandlungsprozessen in Deutschland CO2-freien Strom und Wasser zu produzieren. Würde man diesen Aufwand auch betreiben, um den Menschen und einzigartigen Tieren und Pflanzen in Namibia wirklich zu helfen, anstatt den speziellen Wünschen eines einzigen Landes in Mitteleuropa nachzukommen, das sich entschieden hat, einen Alleingang in Punkto Energiepolitik zu gehen?
Mit Namibia ist ein Eckpfeiler der deutschen Wasserstoffstrategie im Sande verlaufen, sie war allerdings von vornherein sprichwörtlich auf Sand gebaut. Die deutsche Wasserstoffstrategie läuft finanziell aus dem Ruder,[10] weil physikalische und ökonomische Realitäten weiterhin ignoriert werden.[12] Hier ist eine Verschwendungswende dringend erforderlich.[13]
Zeichenerklärung:
TWh = ´Terawattstunde = 1000 Gigawattstunden
GW = Gigawatt = 1000 Kilowattstunden
Quellen:
[1] https://www.ecchr.eu/pressemitteilung/grosser-sieg-fuer-das-indigene-volk-der-nama/
[2] https://taz.de/RWE-zieht-sich-aus-Wasserstoffprojekt-in-Namibia-zurueck/!6117923/
[3] https://www.bundeswirtschaftsministerium.de/Redaktion/DE/Wasserstoff/Dossiers/wasserstoffstrategie.html
[4] https://www.bundesrechnungshof.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2025/wasserstoff/kurzmeldung_wasserstoffstrategie.html
[5] https://www.dena.de/infocenter/elektrolysekapazitaeten-in-deutschland/
[6] https://www.klimaschutz-niedersachsen.de/themen/erneuerbare-Energien/H2-Importkarte.php
[7] https://www.nuklearforum.ch/de/news/studie-wasserstoff-laesst-sich-kostenguenstig-mit-kernenergie-herstellen
[8] J. Schulz: Über die Pfadabhängigkeit von ‘Die Energiewende‘. https://www.ageu-die-realisten.com/archives/7697/
[9] https://www.siemens-energy.com/de/de/home/stories/was-die-welt-von-oesterreichs-ersten-wasserstoff-feldversuchen-lernen-kann.html
[10] K. Tägder: Wasserstoff-Strategie läuft finanziell aus dem Ruder. http://www.ageu-die-realisten.com/archives/8497/
[11] J. Schulz: Wasserstoff – Sekt oder Selters der Energiewende. http://www.ageu-die-realisten.com/archives/7273/
[12] https://www.welt.de/wirtschaft/plus690089ee59e2e0975070de22/dieser-sonderbericht-offenbart-das-scheitern-der-deutschen-wasserstoffstrategie.html?icid=search.product.onsitesearch
[13] J. Schulz: Brauchen wir eine ‘Verschwendungswende’? http://www.ageu-die-realisten.com/archives/7650/