Erstellt am 10.09.2014
Eigentlich wollte ich nur mal nachlesen, was sich genau hinter dem §13a Abs.2 EnWG verbirgt. Das ist der Paragraph im Energiewirtschaftsgesetz EnWG, mit dem die Regierung allen Kraftwerksbesitzern, denen das EEG die Wirtschaftlichkeit ruiniert hat und die deshalb ihre Anlagen so schnell wie möglich stilllegen wollen, die Pläne durchkreuzt hat.
Sie haben davon gelesen: Die Kraftwerksbesitzer müssen einen Antrag auf Stilllegung stellen, den ihr Netzbetreiber (ÜNB) – also Amprion, Transnet, Tennet und 50Hertz – prüft. Dieser soll bewerten, ob das Kraftwerk „systemrelevant“ ist oder nicht – und dann der Bundesnetzagentur BNetzA einen entsprechenden Antrag zur Entscheidung vorlegen.
Diese Anträge werden immer mehr: Mitte August waren insgesamt 7.900 Megawatt zur endgültigen Stilllegung angezeigt. Allein mehr als 4.500 MW entfielen dabei auf den süddeutschen Raum. Dort sollen jedoch nach dem Ausstiegsbeschluss der Bundesregierung bis 2022 fünf Kernkraftwerke vom Netz gehen.
Wie ernst die Situation schon heute ist, in der bereits jetzt alle Stilllegungsanträge aus dem süddeutschen Raum abgelehnt werden (müssen), ergibt sich aus den unten zitierten Feststellungen der Bundesnetzagentur.
Die Entscheidung der Bundesnetzagentur hat in jedem Fall unangenehme Konsequenzen für den Besitzer der verlustbringenden Anlage, denn selbst wenn das Kraftwerk als doch nicht systemrelevant eingeordnet ist, wird ihm der Weiterbetrieb um ein ganzes Jahr angeordnet und die weiter auflaufenden Verluste muss er selber tragen, nicht der anordnende Staat, den die BNetzA vertritt. Noch härter trifft es die systemrelevanten Kraftwerke: Sie müssen 24 Monate weiter am Netz bleiben und auch in diesen Fällen erhalten die Besitzer für die ersten 12 Monate gar nichts. Für die folgenden 12 Monate ist dann eine Entschädigung fällig, über die verhandelt werden muss. Wie berichtet wurde, deckt diese Entschädigung manchmal auch nur 70% der Verluste.
Erstaunlich ist die Dreistigkeit, mit der der Staat das im Grundgesetz-Artikel 14 garantierte Recht zum Schutz des Eigentums mit einem Absatz eines Branchengesetzes bricht. Diese Großtat stammt von der die Marktwirtschaft verbal stets hochhaltenden letzten CDU/CSU-FDP-Regierung. Die Gerichte haben es bereits mit Klagen gegen die darauf beruhenden Entscheidungen zu tun bekommen.
Im Grunde wollte ich nur die für einen Ingenieur immer schwer verdaulichen gewundenen Sprachkreationen der Juristen auf mir bislang verborgene Details absuchen. Die Webseite der BNetzA (101) brachte zumindest einige erklärende Sätze, aber darunter standen zum Herunterladen drei Entscheidungen der Agentur zu konkreten Anträgen von Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB). Die neueste davon stammt vom 23.6.2014 und ist an die Transnet GmbH / Baden-Württemberg gerichtet. Darin wird deren Antrag auf die „Systemrelevanz-Ausweisung“ von zwei EnBW-Kraftwerksblöcken in Heilbronn zugestimmt.
Der ungemein lange Text dieser Entscheidung verleitet eigentlich nicht zur Lektüre, insbesondere weil seitenlang und langatmig erklärt wird, was Systemrelevanz bedeutet.
Aber das Lesen lohnt sich doch, denn dieses Papier entpuppt sich als eine schonungslose Kritik des durch die Energiewende verursachten Bedrohungszustands des Versorgungsnetzes – und endet dann mit der erwähnten Entscheidung, der man dann wirklich nur ziemlich entsetzt zustimmen kann.
Ich weiß aus 30-jähriger Erfahrung in der Ministerialbürokratie, dass es in unserem System gottlob immer mal wieder vorkommt, dass aus einer unteren Ebene ein in Klartext geschriebenes ehrliches Dokument ans Licht der Öffentlichkeit gelangt, das alle offiziellen Heucheleien, Schönfärberei- und Weichspülprozesse beiseite wischt.
Ich zitiere aus dem Brief der Bundesnetzagentur an Transnet BW GmbH vom 23.6.2014, (Unterstreichungen vom Autor):
„Genehmigungsbescheid der Bundesnetzagentur gem. §13a Abs.2 EnWG zur Systemrelevanz-Ausweisung von Kraftwerksblöcken in Heilbronn. AZ: 608-14-003.
(1)….Bei Zugrundelegung der beiden betrachteten Szenarien („Starklast/Starkwind-Szenario“ und „Starklast/Dunkelflaute-Szenario“) ergibt sich grundsätzlich die Abhängigkeit des sicheren und zuverlässigen Netzbetriebs von gesicherter Verfügbarkeit konventioneller Kraftwerke, die südlich der potentiell überlasteten Übertragungsleitungen südlich des Ruhrgebiets („Mittelrheintrasse“) und der Leitung „Remptendorf-Redwitz“ liegen.
In Zeiten hoher Windeinspeisung aus nördlich der potentiell überlasteten Übertragungsleitungen gelegenen Windkraftanlagen bei gleichzeitig hohem Verbrauch in den laststarken Ballungszentren und Wirtschaftsstandorten in Süddeutschland können die elektrischen Nord-Süd-Lastflüsse das Übertragungsnetz überfordern, sofern den Übertragungsnetzbetreibern ÜNB keine hinreichenden Erzeugungskapazitäten zur Verfügung stehen um….gegenzusteuern.
Derartige Situationen treten typischerweise an windreichen kalten Winterabenden auf. Darüber hinaus kann es auch an laststarken (Winter-) Tagen, bei denen keine (erhöhte) Windeinspeisung aus Norddeutschland erfolgt, zu erheblichen elektrischen Nord-Süd-Flüssen kommen.
In diesem Fall kann eine nahezu vollständige Auslastung des konventionellen Kraftwerksparks in Deutschland beobachtet werden, was eine erhebliche Belastung, gegebenenfalls sogar eine Überlastung – insbesondere der Mittelrheintrasse – nach sich zieht.
Zwischenbemerkung: Am Ende der Energiewende- Sackgasse lauert also das „Dunkelflaute“-Gespenst.
Es kommt, wenn die Sonne verblasst, der Wind einschläft und ein eisiger Wintertag den Stromverbrauch hochtreibt. Ein Arbeitsbegriff der Netzbetreiber, der eine gute Chance hat, das Wort des Jahres 2014 zu werden. Seine dunkle Klangfarbe lässt das damit verbundene Unheil ahnen. Deutsch ist doch manchmal eine wunderschöne Sprache.
Und weiter im Bescheid:
(2)…Bezogen auf die zeitweise auftretenden Netzbelastungen im deutschen Übertragungsnetz, die in der Flussrichtung von Nord- nach Süddeutschland bestehen, bedarf es nach gegenwärtigem Erkenntnisstand regelmäßig nördlich einer fiktiven Linie in Höhe von Frankfurt am Main der Absenkung der Kraftwerksleistung und südlich dieser fiktiven Linie der Leistungserhöhung.
Konkret sind die Leitungen „Mittelrheintrasse“ und die Leitung „Remptendorf-Redwitz“ gegenwärtig potentiell überlastet.
Um drohende oder bestehende Netzüberlastungen effektiv beseitigen zu können, ist es notwendig, dass südlich der überlasteten Leitung in hinreichendem Umfang freie Erzeugungskapazität von Kraftwerken zur Verfügung gestellt werden kann, die sich im Markt befindlichen oder von Kraftwerken, deren endgültige oder vorläufige Stilllegung geplant ist.
(3) …In einer Netzsituation, in welcher der Leistungsbedarf zur Beherrschung der Nord-Süd-Transporte größer ist, als die südlich der überlasteten Leitungen verfügbare Leistung, kann demnach von einer nicht unerheblichen Gefährdung des (n-1)-sicheren Netzbetriebs ausgegangen werden.
(4)…Verdeutlicht wird die Bedeutung der Verfügbarkeit dieser (Anm.: südlichen) Kraftwerke auch dadurch, dass die ÜNB im Rahmen der Systemanalyse….für die bisher untersuchten Zeiträume Winter 2013/2014, Winter 2014/2015, Winter 2015/2016 und Winter 2017/2018 jeweils zu dem Ergebnis gekommen sind, dass es in den geprüften Szenarien über die süddeutschen Kraftwerke hinaus noch des Einsatzes ausländischer Kraftwerke bedarf, um das Übertragungsnetz im Rahmen der betrieblichen Vorgaben sicher zu betreiben.
(5)…Der Wegfall von in Süddeutschland gelegenen Kraftwerken würde das Defizit (Anm.: das somit längst besteht) und somit den Bedarf an ausländischen Reservekraftwerken erhöhen.
(6)…im Regelfalle ist davon auszugehen, dass alle in Süddeutschland verbleibenden Kraftwerke systemrelevant sind.
(7)…Die Ausweisung der Systemrelevanz für die Dauer von 24 Monaten rechtfertigt sich daraus, dass der gegenwärtige Zustand der bestehenden Transport- und Leitungsengpässe auch noch in den kommenden zwei Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit fortbestehen wird.
(8)…Im Einzelfall mag es absehbar sein, dass die betreffende Anlage möglicherweise länger als 24 Monate zur Aufrechterhaltung der Netzstabilität benötigt wird.
…Eine etwaige Änderung der bisherigen Begrenzung der Systemrelevanzausweisung auf jeweils höchstens für eine Dauer von 24 Monaten bleibt aber dem Gesetzgeber vorbehalten.
(Anm.: Eine Mahnung an die Regierung, diesen Zeitraum zu verlängern).“
Ende des Zitats.
Dieses offiziell von der BNetzA verbreitete Schreiben an Transnet schafft in seiner Begründung eine überzeugende Klarheit über die tatsächliche Situation.
Zur Versorgungssicherheit, zur Situation im Übertragungsnetz und zu den Ursachen der Probleme kann man nun die folgenden Punkte festhalten:
- Das regelmäßig vorgebrachte Argument, in Deutschland gebe es eine Kraftwerks-Überkapazität ist eine absichtliche Falschbehauptung. Im Gegenteil kann man zumindest in Süddeutschland auf kein einziges der Kohle- und Gaskraftwerke verzichten, welche Gründe auch immer seine Stilllegung erforderlich machen (2; 4; 5; 6).
- Die Situation ist dermaßen ernst, dass es in den besonders kritischen Situationen ohne den Einsatz ausländischer Kraftwerke schon seit längerem nicht mehr geht (4; 5).
- Die Überlastungssituation der Transportleitungen zwischen Nord- und Süddeutschland ist bei bestimmten Wetterlagen und „laststarken (Winter-) Tagen“ der Normalfall (1; 2; 3).
- Wenn von einer „nicht unerheblichen Gefährdung des (n-1)-sicheren Netzbetriebs“ auszugehen ist, bedeutet das im Klartext akute Blackout-Gefahr beim Ausfall einer wichtigen Netzkomponente (Leitung, Transformator, Schaltanlage etc.) (3).
- Die Szenarien, die von den Übertragungsnetzbetreibern berechnet worden sind, lassen für die drei kommenden Winter das Schlimmste befürchten (4).
- Die Bundesnetzagentur beklagt recht deutlich, dass sie die „Systemrelevanzausweisung“, also den Zwang zum längeren Weiterbetrieb unrentabler Kraftwerke, nicht über die 24 Monate hinaus verlängern darf, weil dies „im Einzelfall“ notwendig sein könne. Ein Wink mit dem Zaunpfahl an den Gesetzgeber, der an der Grenze dessen liegt, was sich eine nachgeordnete Behörde (hier gegenüber dem BMWi) leisten darf (8).
- Das sich durch den gesamten Begründungstext hindurchziehende Klagelied über die ganz offen eingestandene und längst eingetretene Unterversorgung von Süddeutschland durch konventionelle Kraftwerke vermeidet sehr bemüht die Nennung der einzigen wirksamen Maßnahme, die dieser gefährlichen Situation sofort ein Ende bereiten würde: Die Wiederinbetriebnahme der abgeschalteten süddeutschen Kernkraftwerke.
- Weiterhin stellen diese Aussagen der zuständigen Regierungsbehörde eine vernichtende Kritik an der Energiewendepolitik und dem Kernkraftausstieg dar, denn sämtliche die Versorgungssicherheit bedrohenden Probleme wurden erst durch die politischen Entscheidungen und damit in voller Absicht von der Regierung geschaffen.
Die Hilflosigkeit und die ganz offensichtliche Verzweiflung der BNetzA-Verantwortlichen an den gesetzlichen Zwängen, den künstlich erzeugten Gefährdungen und an ihrer eigenen Rolle als ausgebremste Eingreiftruppe, der alle wirksamen Maßnahmen untersagt sind, kann durchaus Mitleid erzeugen. Insbesondere auch deshalb, weil diese Unterbehörde als Prügelknabe für alle kleinen und größeren Katastrophen vorgesehen ist.
Die Verantwortlichen für alle genannten Probleme sitzen zwei Etagen höher.
Noch einige Erläuterungen zu den Maßnahmen, die die Netzbetreiber in Engpaßsituationen ergreifen: Es nennt sich Redispatch und bezeichnet die kurzfristige Änderung des Kraftwerkseinsatzes auf Anordnung der ÜNB zur Vermeidung von Netzengpässen. Die Durchführung des Redispatch wird über sogenannte Kraftwerkspärchen durchgeführt, sodass beispielsweise ein Kraftwerk, das sich vor dem erwarteten Netzengpass befindet, angewiesen wird, weniger Strom zu produzieren und ein anderes, das sich hinter dem Engpass befindet, mehr Strom zu erzeugen.
Interessant und sehr bezeichnend sind die Häufigkeits-Zahlen dieser Eingriffe:
– Vor einigen Jahren gab es noch 3 bis 5 Redispatch-Eingriffe pro Jahr,
– Im Jahre 2012 waren es knapp 1000.
– Im 1. Halbjahr 2013: 1098.
– Im 2. Halbjahr 2013: 1585.
– Im 1. Halbjahr 2014: 1831.
Das bedeutet, dass Ende 2014 vermutlich über 3.500 Redispatch-Eingriffe erfolgt sein werden. Das Jahr hat 8.544 Stunden – und es erfolgt keineswegs gleichmäßig alle 2,7 Stunden ein solcher Eingriff; vielmehr gibt es Katastrophentage, an denen ununterbrochen Redispatch erfolgen muss.
Ich empfehle, diese Kurve mit Bleistift auf Karopapier zu skizzieren. Sie ist nicht linear. Lassen sie viel Platz nach oben für 2015. Ferner empfehle ich, das Ergebnis der kürzlich erfolgten „EEG-Reform“ in Bezug auf den weiteren, kräftigen Ausbau von Windrädern und Photovoltaik-Paneelen anzusehen. Das Ergebnis wird vermutlich ein weiterer Punkt auf der Kurve sein, der ziemlich weit oben liegt. Es könnte aber sein, dass Sie nicht mehr dazu kommen, diesen Punkt einzutragen: Das Dunkelflaute-Gespenst löscht auch die Beleuchtung.
Interessant sind auch die mit dem Redispatch verbundenen Kosten, die den betroffenen Kraftwerken erstattet werden (Brennstoffkosten, Anfahren der Anlage, Verluste durch das Herunterfahren):
– Sie beliefen sich 2011 auf 41,63 Millionen Euro.
– Im Jahre 2012 waren es bereits 164,8 Millionen Euro.
Ach ja, wer bezahlt übrigens Redispatch-Kosten und die Entschädigungen für die systemrelevanten, scheintoten Kraftwerke ? Natürlich die Stromkunden, und zwar mit den Netzentgelten als Bestandteil ihrer Rechnung.
Quelle: Bundesnetzagentur: „Systemrelevante Kraftwerke“, 14.8.2014,
Darin „Bescheid im Verfahren der Transnet BW GmbH vom 23.6.2014 (pdf, 3MB)“.