Nicht mehr wettbewerbsfähige Bedingungen vertreiben die Industrie

Print Friendly, PDF & Email

Investitionen deutscher Unternehmen im Inland sind eine Messlatte für die Konjunktursituation der deutschen Wirtschaft. Das Verhältnis der Inlands- zu Auslandsinvestitionen gibt darüber hinaus Auskunft über die Einschätzung der Wirtschaft bezüglich Sicherheit und Rentabilität ihrer Investitionen in dem jeweiligen Land, die politische Situation eingeschlossen. Die Energiewende, die steigenden Energiepreise, die Umweltschutzauflagen und die aktuelle Diskussion über die Bepreisung des Kohlendioxids sind Entwicklungen, die die Investitionen der Wirtschaft zunehmend belasten. Die Alarmsignale aus der Wirtschaft mehren sich.

Eine Konjunkturumfrage der Deutschen Industrie und Handelskammer [1] vom Mai 2019 hatte zum Ergebnis, dass „das Hin und Her beim Brexit, die globalen Handelskonflikte und die US-Sanktionen die Konjunktur belasten und die Investitionsfreude der deutschen Unternehmen für das Auslandsgeschäft trüben.“ „Zudem schmälerten inländische Kostenfaktoren wie hohe Strom- und Energiepreise oder Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Fachkräftemangel die Budgets für Investitionen.“ Dass vor diesem Hintergrund Kosteneinsparungen als Motiv für ein Engagement im Ausland aktuell an Bedeutung gewinnen, wurde als beunruhigendes Signal für den Industriestandort Deutschland gewertet. Als der mit Abstand wichtigste Industriestandort der deutschen Industrie bleibe aber die Europäische Union.

Auch Unternehmen der chemisch-pharmazeutischen Industrie sehen sich im Inland mit etlichen Investitionshemmnissen konfrontiert. In ihrer „Botschaft“ über Daten und Fakten [2] schreibt der Verband der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie (VCI): „Auslandsinvestitionen gewinnen für die deutschen Chemie- und Pharmaunternehmen an Bedeutung. Seit 2012 übersteigen die Auslandsinvestitionen die Investitionen am Standort Deutschland. Dabei spielen nicht nur die Markterschließung, sondern auch Kostengründe eine Rolle.“(Abb.)

Und warum das so, hier gleich die Erklärung: „Bremsend auf die Investitionen wirken sich einige Rahmenbedingungen am Standort aus: Hohe Energiekosten, Regulierungen im Baurecht, lange Genehmigungsverfahren, Planungsunsicherheiten und ein sich abzeichnender Fachkräftemangel behindern höhere Investitionen am Standort. Dies belegt eine Umfrage des VCI aus dem Jahr 2016. Insbesondere der Mittelstand fühlt sich in seinen Investitionsentscheidungen behindert.

Abb.: Im Trend höhere Investitionen im Ausland als im Inland [2]

Aber nicht nur diesen Schuh müssen sich die Bundesregierung und mit ihr die Länder anziehen, auch die öffentlichen Investitionen werden kritisiert. „Von den öffentlichen Investitionen gingen in Deutschland in der Vergangenheit kaum positive Impulse aus. Die öffentlichen Investitionen waren zu gering. Es kam zu einem erheblichen Investitionsstau – insbesondere bei der Verkehrsinfrastruktur. Vormals gute Rahmenbedingungen haben sich im internationalen Vergleich bereits verschlechtert. Inzwischen kam es zu einem Umdenken in der Politik. Die Investitionen erhöhen sich wieder – allerdings nur sehr langsam. …Insbesondere die Bereiche Verkehrsinfrastruktur, Schule und Bildung sowie digitale Infrastruktur und die Energiewende benötigen Investitionsimpulse.“

DieWeltberichtet am 14.11.2017 im Wirtschaftsteil unter Standortbedingungen, „Trotz des langen Aufschwungs der deutschen Wirtschaft expandieren viele Unternehmen lieber im Ausland. Vor allem die überbordende Bürokratie hierzulande macht den Firmen zu schaffen…. Für die deutsche Wirtschaft spielen Auslandsinvestitionen eine immer größere Rolle.“

In das gleiche Horn blies der Präsident des Dachverbandes Gesamtmetall, Rainer Dulger, im Interview mit Die Welt [3] fast zwei Jahre später. „Der Staat belastet die Unternehmen nicht nur mit Sozialkosten, sondern auch mit mehr Bürokratie. Die Dokumentationspflichten nehmen ständig zu.“

Scharfe Kritik übte Dulger an der Bundesregierung auf die Frage, ob die große Koalition die richtigen Akzente setze, um die Wirtschaft in Schwung zu halten: „Nein, im Gegenteil. Die Politik trägt erhebliche Mitschuld an der Konjunkturschwäche.“ Der Staat vernachlässige die Infrastruktur. „Ob Energie, Datenübertragung oder Verkehr – überall gibt es riesige Probleme, die die Bundesregierung nicht entschlossen genug angeht. Union und SPD haben im vergangenen Jahr einen Schön-Wetter-Koalitionsvertrag geschlossen….Die Koalition muss endlich mehr Wirtschaft wagen!“

Sind denn die Rahmenbedingungen hier in Deutschland wirklich so mies, wurde gefragt. Jetzt „drehte“ Dulger erst richtig auf: „Nehmen Sie die Energiewende. Energieminister Altmaier hat hier doch überhaupt kein Konzept. Die Stromkosten sind in Deutschland für die meisten Unternehmen mittlerweile fast doppelt so hoch wie in Nachbarländern, etwa in Polen und Tschechien. Wir hatten einmal eine der besten und sichersten Energieversorgungen der Welt. Jetzt herrscht dagegen ein heilloses Chaos. Der Netzausbau kommt nicht zügig in Gang, trotzdem wurde nach dem Atomausstieg nun auch noch ein übereilter Kohleausstieg beschlossen. Hinzu kommen die neuen unrealistischen CO2-Ziele, denen die Bundesumweltministerin in Brüssel entgegen vorherigen Absprachen zugestimmt hat. Das alles ist absurd. Der hohe Strompreis schwächt unsere Wettbewerbsfähigkeit enorm und treibt energieintensive Unternehmen ins Ausland. Und jetzt sind wir auch noch dabei, die Autoindustrie kaputtzureden. Diese grünen Träumereien müssen aufhören. Deutschland war schon mal der kranke Mann Europas.“

Dass der Staat sich aktiv an strategischen Projekten wie etwa einer großen Batteriezellenproduktion beteiligen will, hält Dulger für Planwirtschaft. Das sei der völlig falsche Ansatz. „Es gibt weltweit hier längst Überkapazitäten, und China hat sich zudem den Zugang zu den nötigen Rohstoffen gesichert. Die Produktion in Deutschland kann deshalb dauerhaft gar nicht wettbewerbsfähig sein. Das ist auch der Grund, warum die Wirtschaft auf den Plan so skeptisch reagiert hat. Die Politik drängt die Automobilbranche, sich auf den Elektromotor als Technologie der Zukunft festzulegen. Doch es ist überhaupt nicht ausgemacht, dass die Zukunft nur dahin geht.“

Dass die Regierung die Gründe für das schwächelnde Wirtschaftswachstum nicht zu erkennen scheint, erinnert Dulger an die „Titanic“: „Damals hat der Kapitän noch während es Unterganges in der erste Klasse Tee und Kekse reichen lassen, um für gute Stimmung zu sorgen.“

Deutlich Kritik an der Bundesregierung kam auch vom Linde-Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle im Interview mit Die Welt b[4], worin er der großen Koalition vorwirft, mit falschen Weichenstellungen den Wohlstand des Landes zu riskieren. Es mache ihn sprachlos, „wie lässig und ignorierend die Politik in Deutschland bei Themen der Energiewende Grundsatzentscheidungen trifft. Die gesamtwirtschaftlichen Folgen werden nicht bedacht. Der überstürzte Atomausstieg hat für die Sicherheit nichts gebracht, da man nun Atomstrom aus unsichereren Kernkraftwerken aus dem Ausland importiere.“ Mit Blick auf den Klimaschutz forderte Reitzle, den Beschluss zum Atomausstieg zu korrigieren: „Die Kernenergie sollte weiter Bestandteil unserer Energiepolitik bleiben, weil nur sie grundlastfähig, billig und CO2-frei ist.“ Der nationale Alleingang habe Deutschland „in eine sündhaft teure Sackgasse geführt.“ 1000 Milliarden Euro würden für die Energiewende aufgewendet, dabei sei die CO2-Bilanz des deutschen Stroms verschlechtert und die Versorgungssicherheit ins Risiko gestellt worden.

Aber nicht nur in Deutschland auch auf europäischer Ebene gibt es Investitionshindernisse, die Sir Jim Ratcliffe, INEOS-Chairman, in einem offenen Brief an den Präsidenten der EU-Kommission beklagt [5]. Recht doppelzüngig spricht er von seinem gewaltigen Investitionsvorhaben in Antwerpen, betont aber gleichzeitig, dass sich dieses Vorhaben nur mit billiger Energie und Ausgangsmaterial aus den USA rentiert. „Niemand, aber niemand in meinem Geschäft investiert ernsthaft in Europa und das seit einer Generation. Jeder in meinem Geschäft investiert jedoch in den USA, im Nahen Ostenoder in China oder in der Tat in allen drei Ländern“, heißt es in dem Schreiben. Und weiter. „Europa ist nicht mehr wettbewerbsfähig. Es hat die teuersten Energie- und Arbeitsgesetze der Welt, die für Arbeitgeber nicht einladend sind. Am schlimmsten ist, dass es grüne Steuern gibt, die bestenfalls als dumm bezeichnet werden können, da sie den gegenteiligen Effekt von dem haben, wofür sie beabsichtigt waren. Ein Alleingang Europas mit Ökosteuern verhindert eine Anpassung (renewal) (an wettbewerbsfähigen Standard), da er Investitionen in die offenen Arme der USA und Chinas treibt.“

Eine nicht unberechtigte Kritik mit anderem Adressaten übte der vormalige Präsident des Arbeitgeberverbandes Peter Schmidt [6]. Schmidt wendet sich mit deutlichen Worten an Unternehmen unseres Landes. Hier ein Auszug: „Wider besseres Wissen, wider den Augenschein und gegen alle vorliegenden und Jedermann bekannten Fakten spielen leider auch viele Unternehmer das Spiel der drei Affen. Und das nicht nur in politisch heiklen Themen. So verbiegen sich die Konzerne zum Beispiel der Lebensmittel- und Pharmaindustrie, der Energiebranche und Automobilindustrie auch bis zur Unkenntlichkeit beim devoten Kotau vor einem Zeitgeist, der glaubt, die Gesetze von Chemie, Physik und Biologie moralischen Imperativen unterwerfen zu können.“

Ausgesprochen schlimm wird es, „wenn Unternehmen gegen besseres Wissen dazu beitragen, in der Bevölkerung die krudeste esoterische Weltsicht zu verankern. Ein Bildungsniveau zu fördern, auf dessen Nährboden die benötigten Fachleute der Zukunft ganz sicher nicht mehr wachsen werden.“ „VW entlässt 30.000 Mitarbeiter, allein 23.000 in Deutschland, weil es jetzt unter dem Eindruck des Abgas-Skandals radikal auf Elektroautos umstellen will. Das geschieht, ohne sich auch nur ein einziges Mal offensiv mit der industriefeindlichen CO2-Agitation auseinanderzusetzen.“

„Die Energiekonzerne haben mit offenem Mund zugesehen, wie die eigene Existenzgrundlage zerschlagen wurde – und damit auch eine preiswerte und sichere Energieversorgung als Grundlage unserer Industriegesellschaft. Hat man jemals versucht, der Strahlenangst in der Bevölkerung mit sachlichen Argumenten Orientierung zu geben?“

„Gelebte Unternehmensverantwortung zeigt sich, wenn alles getan wird, den Bildungsstand der Bevölkerung voran zu treiben. Unternehmerische Verantwortung übernimmt, wer das Rückgrat hat, gegen den religiösesten, esoterischsten und zukunftsfeindlichsten Zeitgeist sich zu stellen und die naturwissenschaftlichen Wahrheiten auszusprechen. Schlimm genug, dass man heute Zivilcourage benötigt und echten Mut, all das auszusprechen, wofür große Denker vergangener Jahrhunderte ihr Leben eingesetzt haben. Damit es uns heute so gut geht, wie keiner Generation vorher. Und wenn wir so weitermachen, wird es auch keiner Generation danach mehr so gut gehen.“

Wahre Worte, denen nichts hinzuzufügen ist.

 

[1] <https://www.dihk.de/presse/meldungen/2019-05-06-auslandsinvestitionen>

[2] <VCI daten-fakten-investitionen-2018.pdf>

[3] Die Welt, „Wir sind auf dem Weg, Europas kranker Mann zu werden“, 1. April 2019, Interview mit Rainer Dulger, Präsident Gesamtmetall-Verband

[4] Die Welt, „Wolfgang Reitzle fordert Rückkehr zur Atomkraft“, 07.05.2019

[5] The Global Warming Policy Forum, Sir Jim Ratcliffe: Open letter to the European Commission President Jean-Claude Juncker vom 11.02.2019

[6] Deutscher Arbeitgeberverband, „Wir graben uns feige das eigene Grab“, 05.12.2016