Müssen wir unsere Einstellung zum Fracking überdenken?

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Deutschland verfügt über ein enormes Schiefergaspotenzial, das bei seiner Nutzung die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen bedeutend verringern würde und in der gegenwärtigen Situation mindest eine Teillösung der Energiekrise bringen würde. Dieses Schiefergas kann nur im Frackingverfahren gefördert werden, ein Verfahren, das in Deutschland per Gesetz verboten ist.

Cicero-Online brachte am 7. Juli 2022 unter dem obigen Titel den folgenden Beitrag von Nils Westerhaus:

Um sich aus der Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu befreien, könnte Deutschland auf eigene Erdgasvorkommen zurückgreifen, die sich vor allem unter Niedersachsen befinden. Diese müssten allerdings durch Fracking gewonnen werden – eine Technologie, die von Umweltschützern scharf abgelehnt wird. Mehrere Experten sind der Meinung, dass die Bedenken unbegründet sind.

„Ich verfolge den Kant’schen Grundsatz“, sagt Werner Ressing. Seinen eigenen Verstand benutzend, kommt der ehemalige Ministerialdirektor im Bundeswirtschaftsministerium zu dem Schluss, dass wir die naheliegendste Option auf der Suche nach Alternativen zu russischem Gas nutzen sollten. Gemeint sind Erdgasvorkommen in Deutschland. „Es ist, als säße man in der Wüste, und unter der Erde befände sich ein Wassertank.“ Um an die optimistisch geschätzten zwei Billionen Kubikmeter Erdgas zu kommen, die sich vor allem unter Niedersachsen befinden, müsste man sich allerding der Technik des Hydraulic Fracturing bedienen. Das sogenannte „Fracking“ erfreut sich in Deutschland keines großenAnsehens. Gegen das Verfahren gibt es Vorbehalte, weil einerseits horizontal und vertikal gebohrt und zudem Wasser unter Zusatz von Chemikalien in die Erde gedrückt wird. Die Erdgasvorkommen, von denen Ressing spricht, befinden sich nämlich nicht wie die konventionell zu fördernden Vorkommen in Sand- sondern in Schieferstein, der tiefer unter der Erde liegt und schwerer aufzubrechen ist.

„In vier Monaten könnten wir das erste Gas aus der Erde geholt haben“, sagt Hans-Joachim Kümpel. Der Geophysiker war neun Jahre lang Leiter der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. Er plädiert aus mehreren Gründen für das „Fracken“ deutscher Erdgasvorkommen. Zunächst hätten Importe von Flüssiggas, das zum Teil auch „gefrackt“ würde, einen Verlust von 25 Prozent zu verzeichnen, was kompensiert werden müsste, also durch mehr Importe. Außerdem werde zur Produktion von Flüssiggas viel Energie verbraucht, denn das Gas muss zum Transport in den flüssigen Zustand gekühlt und angekommen wiederum in den gasförmigen Zustand erwärmt werden. Die gesteigerte Förderung von inländischem Gas wäre laut Kümpel also nicht nur umweltfreundlicher, darüber hinaus wäre sie auch eine einheimische Wertschöpfung.

Keine Technik von gestern

Und was ist mit den Chemikalien, wie gefährlich sind sie für das Grundwasser? „Die Frack- Flüssigkeit trägt die Wassergefährdungsstufe 1. Genauso wie Milch. Außerdem ist das Wasser in der Tiefe von 2000 bis 5000 Meter durch natürlich enthaltene Mineralien belasteter als jenes, das wir hinunterpumpen würden, und das Trinkwasser liegt 100 Meter unter der Erde. Die Flüssigkeit wird viel tiefer freigesetzt“, sagt Kümpel. Dem Wasser, das beim Fracken durch das Rohr geschossen wird, das den Bohrer umgibt, wird Quarzsand hinzugegeben, der verhindert, dass die millimeterkleinen Löcher im Schieferstein sich unmittelbar schließen. Damit die Sandkörner nicht verklumpen, kommt ein Verdickungsmittel hinzu. Damit an der Stahlwand keine Reibungsverluste entstehen, wird der Frack-Flüssigkeit Spülmittel und gegen Rost Korrosionsschutz beigesetzt, genauso wie Tenside, die sonst in Waschmittel verwendet werden und vor Bakterienwachstum schützen sollen. An diesem Cocktail entfacht sich die Kritik, gegen die Kümpel einwendet: „Sie glauben doch nicht, das irgendwo gebohrt würde, wenn dadurch die Landschaft Schaden nehmen würde. Wir haben das ja schon einmal 20 Jahre gemacht.“

Ist das „Fracken“ eine Technik von gestern? „Nein“, sagt Werner Ressing. „Fracking ist heute Hightech, und unsere Standards sind umweltfreundlicher als die in den Ländern, aus denen wir Gas importieren.“ 2010 habe er als Abteilungsleiter im Wirtschaftsministerium in Kooperation mit dem Umweltministerium ein Konzept zum „Fracken“ erstellt. Drei Prämissen hätten sie damals herausgearbeitet, so Ressing. „Erstens: absoluter Schutz des Grundwassers. Zweitens: kein Fracking in Wasserschutzgebieten. Drittens: Minimierung der Chemikalien.“ 2017 gab es dann unter Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) ein strenges Gesetz gegen die Technik. Ressing sieht darin einen Fehler: „Wir haben uns dadurch zu sehr von Nord Stream 1 und 2 abhängig gemacht, und es dauert noch, bis die Erneuerbaren unseren Bedarf decken können.“ Deswegen macht er mit Blick auf das mögliche Ausbleiben russischen Gases klar: „Jeder Tag ist ein verlorener Tag, bei dem Potential, auf dem wir sitzen.“ Zu politischen Entscheidungsträgern dringen Kümpel und Ressing mit ihrem Plädoyer für das „Fracking“ bisher indes nicht durch.