Nuclear goes on. Deutschland steht im Abseits

Verrückte Welt. Japan, durch eigenes Verschulden (Schlamperei) Opfer eines der größten Reaktorkatastrophen, bringt nach und nach seine abgeschalteten Kernkraftwerke wieder ans Netz, inzwischen sind sieben in Betrieb und Deutschland beschließt anlässlich dieser Katastrophe den Ausstieg aus der Kernenergie. Nicht nur der Nuklearstrom wird fehlen, auch die Förderung und Forschung nuklearer Innovationen bleiben in Deutschland auf der Strecke.

Am Rande der 9. Clean Energy Ministerial (CEM) in Kopenhagen starteten USA, Kanada und Japan die Partnerschaftsinitiative „Nuclear Innovation: Clean Energy Future“(NICE Future). Ziel ist es, eine Diskussion über Innovation und fortgeschrittene Kernenergiesysteme auf das internationale Treffen zu bringen.

Der Initiative schlossen sich bereits Argentinien, Polen, Rumänien, Russland, die Vereinigten Arabischen Emirate und das Vereinigte Königreich an. Mehr als ein Dutzend Länder haben bereits Interesse bekundet, sich ihr anzuschließen, ebenso wie internationale Organisationen wie die Internationale Energieagentur und die Kernenergieagentur der OECD.

Wie es in einer gemeinsamen Erklärung der drei Staaten heißt, soll die Initiative CEM zum ersten Mal auf die Kernenergie in sauberen Energiesystemen aufmerksam machen. Die NICE-Future-Initiative wird sich mit verbesserter Stromsystemintegration durch innovative, integrierte und fortschrittliche Energiesysteme und -anwendungen befassen, wie z. B. nukleare erneuerbare Systeme, kombinierte Nutzung von Wärme und Strom, Wasserstoffproduktion und industrielle Dekarbonisierungs-Technologien zur Verringerung von Emissionen und Luftverschmutzung durch Energieerzeugung, Industrie und Endverbraucher.

Die Initiative NICE Future zielt darauf ab, die Diskussion zwischen den CEM-Mitgliedsländern über die Rolle der Kernenergie bei der Förderung von Wirtschaftswachstum, Energiesicherheit und -zugang sowie Umweltverantwortung zu initiieren. Es wird sich auf innovative Anwendungen für fortgeschrittene nukleare Systeme konzentrieren, um koordinierte und / oder integrierte saubere Energiesysteme der Zukunft zu ermöglichen.

Wörtlich heißt es in der Erklärung: „In der Erkenntnis, dass nicht alle Länder die Kernenergie als Teil ihres nationalen (Energie-)Ansatzes sehen, bleibt ein Bedarf für die Erforschung der Rollen, die sauber, innovative und fortschrittliche Kerntechnologien bei der Förderung des Wirtschaftswachstums und wirksamen Umweltschutz spielen könnte. Für diesen Dialog erfolgreich zu sein, muss die Initiative über Sektorengrenzen hinweg arbeiten, integrierte Perspektiven auf den sich ergänzenden Rollen zu entwickeln, die die Kernenergie neben allen anderen Formen der sauberen Energie spielen könnte.“

Die Initiative wird sich auf Kernkraftwerke für Grundlaststrom sowie innovative Technologien der nächsten Generation und integrierte erneuerbare Energiesysteme in vier Schwerpunktbereichen konzentrieren. Dies sind: Technologiebewertungen innovativer Energiesysteme und -verwendungen; Engagement von politischen Entscheidungsträgern und Interessengruppen bei zukünftigen Energieentscheidungen; Bewertung, Marktstruktur und Finanzierungsfähigkeit; und die Rolle der Kernenergie in sauberen, integrierten Energiesystemen zu kommunizieren.

Dieser Artikel erschien – bis auf den ersten Absatz – in englischer Sprache in  World Nuclear News am 24. Mai 2018 mit dem Titel: Alliance launched to highlight nuclear on world stage.

 

EU: Laufzeitverlängerung für europäische Kernkraftwerke

In 14 EU-Mitgliedstaaten gibt es 126 operative Leistungsreaktoren, die mehr als ein Viertel der gesamten Stromproduktion ausmachen. In ihrer im letzten Jahr veröffentlichten Mitteilung über das Nuklearprogramm (PINC) erwartet die Europäische Kommission, dass die Kernkraft ihre bedeutende Rolle im europäischen Energiemix bis 2050 beibehalten wird. Dies würde Investitionen in Höhe von 40-50 Mrd. EUR erfordern. Die Kommission hat jedoch gewarnt, dass in der EU bis zu 50 Reaktoren in den nächsten zehn Jahren von einer vorzeitigen Schließung bedroht sind, vorausgesetzt, ihre Betreiber beantragen keine Genehmigung auf Laufzeitverlängerung.

Ein am 19. Juni 2018 in Brüssel abgehaltener Workshop*) mit dem Titel „Den Energiemix der Zukunft gestalten: Eine Rolle für die nukleare LTO“ (Longtime Operation) brachte Vertreter verschiedener EU-Institutionen, nationaler Regulierungsbehörden und Vertreter der Nuklearindustrie zusammen. Eingeladene Referenten diskutierten den aktuellen Status von LTO und seine Rolle im zukünftigen Energiemix Europas, die Bedürfnisse und Herausforderungen der Branche, den Beitrag von LTO zur Sicherung der Energieversorgung in der EU und zur Bekämpfung des Klimawandels, seine Rolle bei der Erhaltung von Nuklearkompetenz und die Erhaltung von hochqualifizierten Fachkräften, Arbeitsplätze und die Auswirkungen von LTO auf die Volkswirtschaften.Es wurde unter anderem davor gewarnt, dass die frühzeitige Schließung von 50 Reaktoren dazu führen würde, die CO2-Emissionen auf dem derzeitigen Niveau zu halten.

Es wurde gesagt, dass Deutschland seine Emissionsziele für 2020 mit deutlichem Abstand verpasst, da es sich entschieden habe, die Nutzung der Kernenergie auslaufen zu lassen. „Wenn das Land im Jahr 2011 beschlossen hätte, 20 GW Kohlekraftwerk anstelle von Kernkraftwerken auslaufen zu lassen, hätte es seine Emissionsziele erreicht und könnte jetzt zu Recht als europäischer Klimameister anerkannt werden.“

Die in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke seien ein wichtiges Gut für Europa und trügen erheblich zur Senkung der Energiepreise, der Versorgungssicherheit, der Verringerung der CO2-Emissionen und der Beschäftigung bei.

*) World Nuclear News, 20 June 2018, „EU must support extended use of reactors, says Foratom”

Kernkraftwerke der Welt

Veröffentlicht vom Nuklearforum Schweiz

Die Kernkraftwerke der Welt 2017

Im Jahr 2017 haben vier neue Kernkraftwerkseinheiten den Betrieb aufgenommen: drei in China und eines in Pakistan. In China stehen somit neu 38 Kernkraftwerke in Betrieb. Das Land hat damit Russland mit 35 in Betrieb stehendenden Blöcken überholt. Über eine höhere Anzahl verfügen Frankreich (58) und die USA (99). In Japan stehen zwar auch 42 betriebsfähige Kernkraftwerke. Bis auf fünf*) befinden sie sich jedoch in längerem Betriebsstillstand und es ist ungewiss, wie viele davon dereinst wieder ans Netz genommen werden. Sechs Kernkraftwerke wurden bereits endgültig stillgelegt. Der zivile Kernkraftwerkspark der Welt umfasste somit beim Jahreswechsel 447 Reaktoren in 31 Ländern. Die installierte Leistung sank leicht auf rund 391.400 Megawatt. Je ein Neubauprojekt wurde im vergangenen Jahr in China, Indien, Südkorea sowie im Neueinsteigerland Bangladesch lanciert. Weltweit sind damit knapp 60 Neubauprojekte am Laufen.

*) Seit Juni 2018 wieder sieben Kernkraftwerke in Betrieb

Nukleare Sicht eines Umweltschützers

Das Bemerkenswerte an dem folgenden Artikel ist das Bekenntnis eines Wissenschaftlers, dass er als junger Mensch emotional dem Mainstream junger Leute folgend die Kernenergie bekämpfte, ohne sich in der Sache auszukennen oder sich mit dieser Technologie, ihren Chancen und Risiken auseinandergesetzt zu haben und nach Jahren sich zur Nutzung der Kernenergie bekennt und nunmehr sich dafür einsetzt. Auf die Wirkung seines Buches (siehe unten) darf man gespannt sein. Auch andere Wissenschaftler haben diesen Wandel vollzogen. Einer von ihnen ist Patrick Moore, ein ehemaliger Greenpeace-Aktivist, ein anderer James Lovelock, bekannt für seine Gaia-Hypothese, der sich selbst als „altmodischer Grüner“ bezeichnet, sich aber dazu bekennt, dass Großbritannien Kernenergie und Fracking als Energiequelle nutzen sollte und nicht die erneuerbaren Quellen wie Windparks.

 Der nachfolgende leicht gekürzte, sinngemäß ins Deutsche übersetzte Text erschien in World Nuclear News in englischer Sprache.

 

In den 1970er Jahren fürchtete sich ein Antinuklear-Aktivist vor der Willkürherrschaft (tyranny). Er fürchtete sich vor radioaktiver Strahlung. Doch die Willkürherrschaft trat nicht ein und die Wirkung radioaktiver Strahlung war missverstanden worden. Die Bedrohung durch Klimawandel ist real, um ihn zu bekämpfen, bedarf es der Kernkraft, schreibt Scott L. Montgomery, dessen Überzeugung am 22. Dezember 2017 im Internet erschien *).

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Streitschrift wider die Unfehlbarkeit der Energiepäpste

Gastautorin  Anna Veronika Wendland

Anstöße für Reformen kommen häufig von Peripherien – und sie werden oft von Grenzgängern formuliert. Als solche versteht sich auch die Autorin. Sie hat als Historikerin über längere Zeiträume in Kernkraftwerken in Osteuropa und in Deutschland gearbeitet. Grenzgänger machen Beobachtungen, die andere nicht machen. Dieser Essay ist aus einer vieldiskutierten Rede entstanden, die Wendland kürzlich auf dem 49. Kraftwerkstechnischen Kolloquium in Dresden vor Fachleuten aus Energiewirtschaft und Energietechnik gehalten hat. Dr. Anna Veronika Wendland ist Osteuropa-Historikerin am Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung in Marburg.

 

Die Macht der Peripherie

Der Osteuropa-Historiker Gottfried Schramm hat in seinem Buch über die Wegscheiden der Weltgeschichte die These aufgestellt, dass revolutionäre und reformatorische Bewegungen in der Regel nicht von den Zentren der politischen und geopolitischen Macht, sondern von den Peripherien ausgehen: nur hier sei das intellektuelle Ferment, der politische Freiraum vorhanden gewesen, damit Persönlichkeiten, die anderswo als Abenteurer und Spinner abgetan worden wären, ihre Ideen entwickeln und Anhänger um sich scharen konnten.

Schramm erläutert diese These unter anderem anhand der Ausbreitung des Christentums und an der Russischen Revolution, die sich in diesem Jahr zum hundertsten Male jährt. Aber auch die Reformation, deren fünfhundertsten Jahrestag wir kürzlich feierten, ging ursprünglich von einer Peripherie aus, wenn sie auch, von der Medienrevolution ihrer Zeit getragen, bald in die ökonomischen Zentren des Reichs vorstieß: Luthers Wittenberg war zu Beginn des 16. Jahrhunderts ein Universitäts-Vorposten in der Germania slavica, in jenen historisch jungen Reichsländern, wo die Unterschichten weiter Landstriche noch „wendisch“, das heißt sorbisch sprachen und das Christentum weit ältere, gleichwohl noch lebendige naturreligiöse Vorstellungen überformt hatte.

In den letzten Wochen ist viel darüber diskutiert worden, ob diese Strukturgeschichte Ostdeutschlands mit den vernichtenden Stimmen-Einbußen der herrschenden CDU/CSU bei der Bundestagswahl zu tun haben könnte: Von der Halbzivilisation des Römischen Reiches deutscher Nation über das ökonomisch-strukturell ostmitteleuropäische Ostelbien und die sowjetisch-slavische DDR bis zum renitenten sächsischen AfD-Land? Fest steht, dass die vorgebliche Alternativlosigkeit bei gleichzeitiger Prinzipienlosigkeit, mit der unsere Kanzlerin seit einigen Jahren Politik macht, heute inner- und außerparteilich besonders von  Seiten der Peripherie herausgefordert wird, sei es die sächsische oder die bayerische.

Und das gilt offensichtlich nicht nur für die Migrationspolitik, die als Sicherheitsproblem während des Wahlkampfes in aller Munde war – das gilt genauso für ein Thema, das im Wahlkampf fast überhaupt keine Rolle spielte, nämlich unsere Energiepolitik und Energiesicherheit. Auch hier sind es vor allem die Bayern, die wie kein anderes Bundesland von Kernstrom abhängig sind, und die Braunkohle-Länder Sachsen und Brandenburg, in denen sich vermehrt Zweifel am „Weiter so“ in der Energiewende breit machen.

Doch ist letztere ein ungleich sperrigeres Thema. Denn während über Migration, kulturelle Identität und Religion schlechthin jeder glaubt, aus eigener Erfahrung mitreden zu können, sind Energiewirtschaft und Stromversorgung ein Gegenstand, für dessen Bewertung das Alltags- und Überlieferungswissen nicht ausreicht. Während Migration und Integration landauf, landab als akute Frage behandelt werden, hält man die Energiepolitik seit dem Atomausstieg für „gegessen“ und wägt sich in einer Scheinsicherheit.

Und daher ist das Risiko, das momentan von der  energiepolitischen Fehlsteuerung in Deutschland ausgeht, ungleich höher als jenes, das von der missglückten Einwanderungspolitik ausgeht. Denn während wir im Falle der Migrationspolitik inzwischen einen breiten gesellschaftlichen Konsens über die Reformbedürftigkeit des gesamten Prozesses haben, steht diese Diskussion im Falle der Energieversorgung noch aus. Doch an den Peripherien ist sie längst im Gange.

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Verzicht auf nukleare Forschungsförderung zum „Wohle des Volkes“?*

Die Forschungsförderung ist die ursächliche Voraussetzung eines jeden Industriestaates, Innovationen erfolgreich für sich im globalen Wettbewerb umzusetzen und zu nutzen, die unseren Lebensstandard nicht nur ermöglicht, sondern auch weiterhin garantiert. Ihn zu erhalten sieht sich die Bundesregierung nach eigenem Bekunden verpflichtet. Wo stehen wir aber bei der Kernforschung?

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Verteilung von Jodtabletten: Eine mit Risiken verbundene behördliche Anordnung

Der Bonner General-Anzeiger berichtete am 1. September 2017 über die beginnende Verteilung von Jodtabletten in der Stadt und der Städteregion Aachen sowie in den benachbarten Kreisen Düren, Euskirchen und Heinsberg. Die Verteilung geschehe aus Sorge vor einem möglichen Störfall im belgischen Kernkraftwerk Tihange.

Die Ausgabe der Tabletten erfolgt auf Antrag über die Online-Portale der Verwaltung. Bei Freigabe durch die Verwaltung können Bezugsscheine ausgedruckt und bei Apotheken eingelöst werden. Schon der eindringliche Hinweis von Verwaltung und Apotheken, dass die Ausgabe der Tabletten vorsorglich geschehe und diese erst nach ausdrücklicher behördlicher Aufforderung eingenommen werden dürfen, belegt die mit der Einnahme unter Umständen verbundenen Risiken.

Die Verteilung von Jodtabletten ist in dieser Form in Deutschland einmalig. Zwar sind Behörden verpflichtet, für jede Art gefährlicher Anlagen Katastrophenschutzpläne zu entwickeln und in diesem Zusammenhang auch einen Vorrat an Jodtabletten anzulegen. Eine direkte Verteilung von Jodtabletten an die Bevölkerung hat bisher an keinem Kernkraftwerksstandort stattgefunden. Bereits die von Aachen eingereichte Klage gegen den Betrieb des Kernkraftwerks von Tihange und nunmehr auch die Verteilungsaktion sind dazu angetan, Unsicherheit bis hin zu Ängsten in der Bevölkerung auszulösen. Dem gegenüber kam die belgische Aufsichtsbehörde nach umfangreichen Untersuchungen mit verfeinerten Messmethoden und Hinzuziehung nationaler und internationaler Expertenkommissionen zu dem Schluss, dass die im Stahl des Reaktordruckbehälters festgestellten Wasserstoffeinschlüsse keine Gefahr für den sicheren Betrieb der Anlagen darstellten. Sie seien fertigungsbedingt entstanden und nicht während des Betriebs – etwa infolge Strahlungseinwirkung. Gleichwohl ziehen Gemeinden im Raum Aachen gegen den Betrieb zu Felde. Dass die Jodtablettenverteilung durchaus ambivalent beurteilt werden kann, wird nachfolgend dargelegt.

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Tschernobyl Reaktorhavarie Eine Nachlese

Als Sachverständiger im Fach Radioagronomie wurde ich im neu geschaffenen Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit unter Minister Walter Wallmann im Mai 1986 beauftragt, die Auswirkung der durch die Reaktorhavarie freigesetzten Radioaktivität auf Boden, Pflanze und Nahrungskette zu beurteilen. Die Bewertung basierte auf Meßdaten der Luftüberwachung und der vor Ort gemessenen Aktivität und Isotopenanalyse, ca. 1 Woche nach dem GAU (Größter anzunehmender Unfall).

Der havarierte Reaktor Block 4, 1984 in Betrieb genommen, ist ein RBMK-Reaktor, ein Hochleistungs-Siedewasser-Druckröhrenreaktor, wassergekühlt und graphitmoderiert, eine Weiterentwicklung der Serie aus den1950-er Jahren. Sie werden zur Stromerzeugung und für militärische Zwecke (Plutoniumerzeugung) genutzt. Sie haben keine druckfeste und gasdichte Hülle und entsprechen nicht den Sicherheitsbestimmungen internationaler Standards kerntechnischer Anlagen.

Am 25.04.1986, gegen 1.00 Uhr kam es infolge von unvorhersehbaren Verkettungen durch menschliche Fehlentscheidungen und technische Probleme zu einem GAU in dem sowjetischen Kernreaktor Block 4 in Tschernobyl. Dieser ereignete sich während eines Testbetriebs, bei dem geprüft werden sollte, ob bei einem Stromausfall und der damit verbundenen Abschaltung des Reaktors die mechanische Energie der Turbinenrotoren bis zum Anlaufen der dieselbetriebenen Notstromaggregate übergangsweise zur Strombereitstellung für den Steuerbetrieb des Reaktors ausreicht. Menschliche Bedienungsfehler und Unkenntnis der im kritischen Bereich agierenden Betriebsmanschaft führten zu dieser Katastrophe. Bereits 1985 wurde dieser Test bei Block 3 durchgeführt und durch das Abfallen der Spannung am Generator abgebrochen. Dieser Test sollte bei Block 4 im April 1986 wiederholt werden, der jedoch mit verheerenden Folgen in einem GAU endete. Vermutungen, dass bei diesem Eingriff vorrangig militärische Optionen im Vordergrund standen, kann weitgehend ausgeschlossen werden. Ein Außerkraftsetzen von Notabschaltungsmaßnahmen ist eigentlich nur im damaligen Machtbereich der Sowjetunion möglich gewesen und zeigt die Manipulationsmöglichkeit in kerntechnischen Bereichen. Deswegen ist es unverhandelbar, nach eigenem Ermessen Sicherheitsstandards festzulegen, die nicht international akzeptiert werden können. Die IAEA (Internationale Atomenergiebehörde) in Wien hat Richtlinien erarbeitet, die für alle Betreiber kerntechnischer Anlagen verbindlich sind. Die Auffassung, dass durch menschliche Fehlbedienung der katastrophale Unfall ausgelöst wurde, wird nicht angezweifelt und damit begründet, dass durch das zu späte und schnelle Einfahren der Abschalt-und Regelstäbe der unkontrollierbare Leistungszuwachs ausgelöst wurde.

Wieviel radioaktives Material in den Reaktortrümmern verblieb, kann nur näherungsweise geschätzt werden und ist mit rund 190 Tonnen Kernbrennstoff zu veranschlagen. Die gasförmigen radioaktiven Spaltprodukte (Krypton und Xenon), leichtflüchtiges Jod und Cäsium wurden größtenteils in die Atmoshäre freigesetzt und wurden entsprechend den meteorologischen Verhältnissen weiträumig verbreitet. Erst Tage später meldeten norwegische Luftüberwachungseinrichtungen einen unerklärbaren Anstieg der o.a. Radioisotope. Warum diese Meldung erst so spät in die Öffentlichkeit gelangte, ist besorgniserregend, denn die amerikanischen Aufklärungssatelliten hatten das Szenario von Anfang an dokumentiert. Diese Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Das aus dem Stegreif entstandene Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit unter Leitung eines Nichtfachmanns Walter Wallmann war auf eine deartige Herausforderung nicht vorbereitet. Es kam daher zu Kompetenzproblemen zwischen BMU und Innenministerium, geleitet von Minister Friedrich Zimmermann. Auch er war kein Fachmann dieser Problematik und versuchte unter dem Druck der damals sich etablierenden Antiatomkraftbewegung Gefahren und mögliche Schäden durch überstürzte Maßnahmen abzuwenden. Meine Aufgabe war es, die durch radioaktiven Niederschlag und Immisionen entstandene Kontamination auf Pflanzen, Boden und Nahrungskette zu bewerten. Bereits in den 50-er Jahren wurde diese Thematik ausführlich behandelt und aufgrund der Erfahrungen aus den beiden Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki ausführlich dokumentiert, so dass eine Abschätzung der Strahlenbelastung ohne große wissenschaftliche und technische Untersuchung möglich war. Die Beaufschlagung mit Cäsium war zwar deutlich erhöht, dennoch bestand bei den sehr niedrig vorgegebenen Grenzwerten, weit unter einer möglichen gesundheitlichen Beeinträchtigung, keine akute Gesundheitsgefährdung. Pilze und Wildtiere im Süden Deutschlands waren davon am stärksten betroffen, jedoch würde erst bei täglichem Verzehr in kg-Mengen der Strahlendosisgrenzwert überschritten. Die natürliche Strahlenexposition in Deutschland, insbesondere in ehemals vulkanischen Gebieten, Mineralwasser aus Tiefengestein, Bims als Baustoff, Langstreckenflüge und vieles mehr haben größere Strahlenwirkung als die als„belastet“ deklarierten Lebensmittel, die damals im großen Stil vernichtet wurden.

Die Notstandsgesetzgebung war der Rahmen aller wissenschaftlicher Untersuchungen und enthielt auch alle Anweisungen zum Verhalten staatlicher Organe. Durch eigenmächtiges und inkompetentes Verhalten der beiden Ministerien kam es zu einer völligen Verunsicherung nachgeschalteter Dienststellen und der Bevölkerung, die bis in die heutige Zeit wirkt und Grund für eine überzogene skeptische Haltung bezüglich wissenschaftlicher Berichterstattung ist.

Die gesundheitlichen Folgen der Tschernobyl-Reaktorhavarie wurden und werden auch heute kontrovers diskutiert und bewertet. Bei 134 Personen der Betriebsmanschaft und Liquidatoren wurde eine akute Strahlenerkrankung diagnostiziert, an der 28 verstarben. In der Bevölkerung der kontaminierten Gebiete konnte dennoch eine Erhöhung der Leukämie-, Schilddrüsen- und Brustkrebsrate nicht statistisch gesichert nachgewiesen werden. Auch andere Erkrankungen, konnten nicht eindeutig auf eine Strahlenexposition zurückgeführt werden. Das liegt möglicherweise auch daran, dass die Gesundheitsvorsorge und die Lebensbedingungen sich durch intensive medizinische Betreuung nach dem Unfall erheblich verbessert haben. Die 28 Todesfälle sind darauf zurückzuführen, dass für die sofort eingesetzte Notmannschaft und später eingesetzten Liquidatoren während ihres Einsatzes unzureichende Schutzmaßnahmen getroffen wurden. Bei der Reaktorhavarie durch den Tsunami in Fukushima hingegen, wurde das Reaktorgelände rechtzeitig verlassen und nach Rückgang der Wassermassen unter hohen Schutzmaßnahmen mit Sanierungsarbeiten begonnen ohne dass ein Todesfall aktenkundig wurde.

Endlager: Finnland und Schweden zeigen, wie es geht

Die sichere Endlagerung radioaktiver Abfälle ist eine technisch lösbare Aufgabe. Man muss die Endlagerung nur wollen. In Deutschland ist der Bund für Planung, Errichtung und Betrieb von Endlager rechtlich verantwortlich. Seit fast fünfzig Jahren ist der Bund mit dieser Aufgabe befasst, hat aber bis zum heutigen Zeitpunkt kein Endlager für hochradioaktive Abfälle vorzuweisen. Schlimmer noch, seine durchaus aussichtsreiche Erkundung des Salzstockes bei Gorleben lässt er ruhen (oder gibt er sie endgültig auf?) und beginnt wieder bei null, nämlich mit der, wie es heißt, ergebnisoffenen Standortsuche, die laut Gesetz bis 2031 erfolgt sein soll. Es gibt berechtigte Zweifel, dass die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle (z.B. abgebrannte Brennelemente) noch in diesem Jahrhundert realisiert werden kann. Politisch hat sich der Bund immer wieder Fallstricke in den Weg gelegt. Durch das Standortauswahlgesetz haben die Möglichkeiten der Behinderung noch zugenommen.

Für das Endlager Konrad für mittel- und schwachradioaktive Abfälle, ein ehemaliges Erzbergwerk in Salzgitter, kann trotz eines über dreißig jährigen Planungs-, Genehmigungs- und Errichtungsverfahrens noch kein verlässlicher Termin für die Inbetriebnahme angegeben werden.

Finnland und Schweden machen es uns vor, wie man die Endlageraufgabe zeitgerecht angeht und löst.

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Kernenergie – Neubauten auf Rekordhoch

Eine Information, die in Deutschland nur höchst selten bis nie zu lesen oder zu hören ist:

Das Jahr 2016 war mit zehn neuen Kernkraftwerken mit einer Gesamtleistung von 9,1 Gigawatt das Jahr des höchsten jährlichen Leistungszubaus seit 25 Jahren1). Größten Anteil am Zubau hat China mit fünf Inbetriebnahmen von Reaktorblöcken. Überdies befinden sich aktuell ein Drittel der in Bau befindlichen Reaktoren in China. Mit 450 Anlagenblöcken und einer Bruttoleistung von 418 Gigawatt waren 2016 weltweit so viele Kernkraftwerksblöcke in Betrieb beziehungsweise betriebsbereit wie in keinem Jahr zuvor.

Ein besonderes Merkmal von Kernkraftwerken ist ihre Arbeitsverfügbarkeit. Sie lag über alle Anlagen gemittelt in 2016 bei 80,5 % und damit nur leicht unter dem Vorjahreswert (81 %). Unter den „Top Ten“ 2016 befinden sich mit Neckarwestheim II, Brokdorf und Isar2 drei deutsche Anlagen mit Verfügbarkeiten zwischen 93 und 96 %. Drei Anlagen in den USA erreichten 100 %.

Trotz eines anhaltend schwierigen Strom-Erzeugermarktes wird die Kernenergie in den USA wieder stärker als Teil eines langfristigen Energiemixes unterstützt. Dies belegt ein Statement des Energieministers Rick Perry in einem Pressegespräch im Juni dieses Jahres 2):

„Anstatt immer nur über saubere Energie zu sprechen, wird diese Regierung Taten liefern. Ich glaube, kein sauberer Energiemix ist wirklich vollständig ohne Kernenergie. Wenn wir unsere Umwelt und das Klima positiv beeinflussen wollen, gehört die emissionsarme Kernenergie ins Portfolio.“ 1)

In den USA sind derzeit 99 Kernkraftwerksblöcke in Betrieb und vier Blöcke des Westinghouse-Typs AP 1000 im Bau. Rund 80 Reaktorblöcke haben eine Laufzeitverlängerung auf 60 Betriebsjahre bekommen.

Eine Bestandaufnahme aller in Betrieb und im Bau befindlichen Reaktorblöcke weltweit, wie beispielweise im atw-Editorial 3) geschehen, belegt zwar kein extensives Wachstum der Kernenergie, wohl aber zeigt es auf einen weiterhin auf Ausbau gerichteten Trend, der sich maßgeblich in den Ländern Asiens mit hohem Bedarf beziehungsweise auch Nachholbedarf an elektrischer Energie abzeichnet.

In Deutschland wird in fünf Jahren das letzte Kernkraftwerk seinen Betrieb einstellen. Der Nuklearstrom muss künftig weitgehend von Strom aus den Kohlendioxid emittierenden Kohle- und Gaskraftwerken ersetzt werden.

 

  1. World Nuclear Association (WNA) „World Nuclear Performance Report 2017“
  2. Nuklearforum Schweiz, Medienmitteilung vom 30. Juni 2017
  3. atw Vol. 62 (2017) Heft 2, S. 80