Unsere Medien werden den vor 10 Jahren, am 11. März 2011, aufgetretenen gravierenden Störfall im Kernkraftwerk von Fukushima erneut nutzen, um an die Gefahren der Kernenergie zu erinnern. Jenes Ereignis, das die Bundeskanzlerin Angela Merkel – in autokratischer Manier – für den Ausstieg aus der Kernenergie zum Anlass nahm. Die Leistung der rund 450 weltweit, Jahrzehnte störfallfrei betriebenen Kernkraftwerke für die Stromversorgung und ihr Beitrag zum Umweltschutz wird wohl dagegen in Medien unerwähnt bleiben.
Was war passiert? Infolge eines durch Erdbeben ausgelösten gewaltigen Tsunamis wurden die völlig mangelhaft gegen Hochwasser ausgelegten Notstromanlagen der Reaktoren überflutet und außer Kraft gesetzt, wodurch die Kühlung der Reaktorbrennelemente nicht mehr gegeben war. Brennelemente überhitzten, zerbarsten und setzten radioaktive Zerfallsprodukte frei, die über Luft und Wasser in die Umgebung gelangten. Der größte Teil der radioaktiven Stoffe verblieb in den Reaktorgebäuden.
Die Flutwellen überfluteten einen 1000 Kilometer langen Küstenstreifen und hinterließen ein Bild der Verwüstung. Sie forderten etwa 20.000 Menschenleben, zerstörten rund 130.000 Häuser und beschädigten über eine halbe Million weiterer Gebäude schwer. Hunderte von Quadratkilometern an fruchtbarem Agrarland wurden durch das salzhaltige Meerwasser langfristig geschädigt.
Für viele Nachrichten-Journalisten war die zugegebenermaßen verheerende Kernkraftwerkshavarie der SUPER-GAU, denn in der Rangfolge der Störfall-Ereignisse gibt es „nur“ den GAU als „den größten anzunehmenden Unfall“. Journalisten übersteigerten sich in Horrorberichten und nicht selten wurden die Todesopfer der Flutwelle textlich derart in die Nähe des Reaktorstörfalls gesetzt, dass der unbedarfte Leser sie als Folge des Störfalls einordnete.
In mehreren Schritten wurde am 11. und 12. März 2011 die Evakuierung der Bevölkerung eine 20-Kilometer-Zone um das Kraftwerk beschlossen und umgesetzt und in den Tagen und Wochen darauf ausgeweitet, einschließlich einem im Nordwesten angrenzenden etwa ebenso großen Gebiet. Insgesamt rund 165.000 Personen wurden evakuiert oder verließen von sich aus ihren Wohnort.
Der Störfall wurde nach der International Nuclear Event Scala (INES-Skala) in Kategorie 7 eingestuft („Severe Accident“).
Eine unabhängige japanische Kommission kommt im ihrem offiziellen Report [1] zu der Erkenntnis:
„Die Unfallursache im Kernkraftwerk TEPCO Fukushima geht auf eine unverantwortliche Absprache zwischen der Regierung, den Aufsichtsbehörden und TEPCO sowie der mangelnden Führung dieser Parteien zurück. Sie haben das Recht der Nation, vor nuklearen Unfällen sicher zu sein, effektiv verraten. Wir kommen daher zu dem Schluss, dass der Unfall eindeutig von Menschen verursacht wurde. Wir glauben, dass die Hauptursachen die Organisations- und Regulierungssysteme waren, die fehlerhafte Gründe für Entscheidungen und Maßnahmen unterstützten.“
Die Ursachen des Unfalls seien voraussehbar gewesen. „Sie alle haben es versäumt, die grundlegendsten Sicherheitsanforderungen korrekt zu entwickeln – beispielsweise die Einschätzung der Schadenswahrscheinlichkeit, die Vorbereitung auf die Eindämmung von Kollateralschäden aufgrund einer solchen Katastrophe und die Entwicklung von Evakuierungsplänen für die Öffentlichkeit im Falle einer schwerwiegenden Strahlenfreisetzung“ [1].
Mittlerweile wurden zahlreiche medizinische Studien internationaler Fachgremien wie des United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation (UNSCEAR) oder der Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen WHO publiziert. Sie kommen zum Schluss, dass die gesundheitlichen Risiken aufgrund der Strahlung sehr gering sind. Das UNSCEAR hielt fest, dass ein strahlungsbedingter Anstieg gesundheitlicher Probleme statistisch nicht nachweisbar sei. Eine erkennbare Zunahme von strahlenbedingten Erkrankungen ist auch in Zukunft nicht zu erwarten. Ein Todesopfer durch Krebserkrankung infolge der Strahlenwirkung wurde 2018 bekannt.
Wesentlich grösser waren im Vergleich dazu die sozialen und psychischen Belastungen der Bevölkerung durch die Kombination eines starken Erdbebens, großer Tsunamis und eines Reaktorunfalls. Die WHO hat daraus unter anderem die Lehren gezogen, dass eine zur Minimierung der gesundheitlichen Risiken der Strahlenbelastung durchgeführte Evakuierung, insbesondere unter den Bedingungen einer schweren Naturkatastrophe, ernsthafte Gesundheitsrisiken mit sich bringt. Das gilt vor allem für gefährdete Bevölkerungsgruppen wie Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen, kleine Kinder. In Fukushima wurden diese Probleme noch vergrößert durch die zerstörte Infrastruktur, die Abtrennung der Evakuierten von ihren Gemeinden, die reduzierte Anzahl von Gesundheitspersonal und das Versagen des lokalen öffentlichen Gesundheitswesens aufgrund der Verlegung [2].
Seit 2011 haben Dekontaminationsmaßnahmen und natürliche Vorgänge in großen Teilen der evakuierten Gebiete zu einem markanten Rückgang der Strahlungswerte geführt. Ab April 2014 wurden Teile der Evakuationszone nach und nach freigegeben. 2019 wurden die Schulen in allen freigegebenen Gemeinden wiedereröffnet. Im März 2020 konnte das letzte Teilstück der für die Region wichtigen Joban-Zugstrecke wieder in Betrieb genommen werden. Im März 2020 wurden zudem erstmals Gebiete der Städte Futuba, Okuma und Tomioka freigegeben. Dort war eine Rückkehr zuvor aufgrund der Strahlenbelastung als langfristig schwierig bezeichnet worden, nachdem auch bei ihnen die insgesamt gemessene Strahlenbelastung auf eine Jahresdosis von unter 20 Millisievert gesunken war [2]. (siehe Abbildung)
Inzwischen werden beim Cäsium-Grenzwert von Kulturpflanzen, Nutztieren und Meeresfischen keine Überschreitungen mehr festgestellt. Einzig Wildtiere überschreiten noch die im internationalen Vergleich sehr strengen japanischen Grenzwerte [2].
RSK-Beurteilung [3] für deutsche Kernkraftwerke:
„Initiierende Ereignisse, die zu derartigen Tsunami führen können, sind nach dem jetzigen Kenntnisstand für Deutschland praktisch ausgeschlossen. In Fukushima I lag eine zu geringe Auslegung der Anlagen gegen einen Tsunami mit einer auf Basis vorliegender Literatur zu betrachtenden Ereignishäufigkeit von circa 10-3/a (das heißt das Ereignis tritt im Durchschnitt einmal alle 1000 Jahre ein) vor. Im Bereich der naturbedingten Einwirkungen sind für deutsche Atomkraftwerke für Eintrittshäufigkeiten von 10-4 pro Jahr für Erdbeben beziehungsweise 10-5 pro Jahr für Hochwasser die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zu berücksichtigenden Einwirkungen durchgehend in der Auslegung berücksichtigt. Die Stromversorgung der deutschen Atomkraftwerke ist durchgehend robuster als in Fukushima I. Alle deutschen Anlagen haben mindestens eine zusätzlich gesicherte Einspeisung und mehr Notstromaggregate, wobei mindestens zwei davon gegen äußere Einwirkungen geschützt sind.“
Diese Erkenntnis, der Reaktorsicherheitskommission (RSK) aus den Reaktorstörfall von Fukushima attestierte den deutschen Kernkraftwerken Robustheit gegen Störfälle insbesondere gegen Überschwemmungen. Für die Bundeskanzlerin bestand demzufolge kein Anlass, aus der Kernenergie auszusteigen.
Der deutsche Ausstieg ist geradezu absurd angesichts der Tatsache, dass Japan weiterhin an der Kernenergie festhält. In Japan wurden zwar aus Sicherheitsgründen bis 2014 sämtliche Kernkraftwerke vom Netz genommen, nach intensiver Sicherheitsprüfung aber neun Anlagen von ihnen wieder erneut „hochgefahren“. Die Wieder-Inbetriebnahme weiterer Kernkraftwerke ist in Vorbereitung. Die weitere Kernenergienutzung wurde von der Regierung nie in Frage gestellt. Sie sei notwendig, eine Klimaneutralität von 80% bis 2050 zu erreichen.
[1] Fukushima Diet Report.pdf, The Offical Report of “The Fukushima Nuclear Accident Independent Investigation Commission”, 2012
[2] Nuklearforum Schweiz, Medien-Dossier, „Fukushima – 10 Jahre danach“, Februar 2021
[3] https://www.bmu.de/themen/atomenergie-strahlenschutz/nukleare-sicherheit/fukushima-folgemassnahmen/kurzbericht-ueber-die-arbeiten-der-reaktorsicherheitskommission-im-jahr-2011/
Die aktuellen behördlichen Verfügungen in den Evakuationszonen (Stand Februar 2017). Quelle: Nuclear Forum Schweiz <Status_Fukushima_Maerz-2017_0>