Nach langen kontroversem Ringen beschloss die EU-Kommission im Sommer 2023 ein von Klimaaktivisten vehement gefordertes Verbot von Neufahrzeugen mit Verbrennermotor ab 2035. Einzige Ausnahme: Neue Verbrennermotoren ausschließlich mit synthetischen, klimaneutralen Kraftstoffen sollen noch erlaubt sein.
Bislang war das eher eine theoretische Möglichkeit, denn es gab diese Treibstoffe nicht in ausreichender Menge. Doch nun scheint sich eine Lösung anzubahnen: Der als „Biodiesel“ vermarktete Treibstoff HVO100 aus verbrauchtem Pflanzenfett ist ein Dieselersatz, der nach Ansicht von Automobilverbänden praktisch in allen auf dem Markt verfügbaren Dieselmotoren verwendet werden kann. Der Biodiesel sei sogar noch sauberer als herkömmlicher Diesel. Weniger Stickoxide und Feinstaub würden ausgestoßen. Und klimaneutral ist er ohnehin.
Der Begriff HVO Kraftsoff steht für „hydrotreated vegetable oil“, hydriertes Pflanzenöl. Seit Ende Mai 2024 ist er zum Verkauf freigegeben. Die neuen Kraftstoffe werden an der Tankstelle mit XTL gekennzeichnet. Das Kürzel XTL steht für „X To Liquid“. Das bedeutet: Ein beliebiges Ausgangsmaterial wird in einen flüssigen Energieträger umgewandelt. Das „X“ ist der Platzhalter für die verschiedenen Rohstoffe, aus denen der neue Kraftstoff gewonnen wird. Die Endprodukte unterliegen der Norm DIN EN 15940 für paraffinischen Diesel.
Erdöl ist beileibe nicht mehr der einzige Stoff, um den sich alles in der Mineralölindustrie dreht. Die Grundstoffe für Tankstellensprit sind vielfältig geworden. Die Produktion alternativer Kraftstoffe funktioniert inzwischen sowohl auf Basis von diversen Pflanzen (Raps, Rüben, Mais etc.) als auch von Holzresten, Gülle, Klärschlamm oder Speiseabfällen. Es werden derzeit sogar Verfahren entwickelt, durch die Plastikabfälle in Treibstoff umgewandelt werden können. HVO100 wird ausschließlich aus Abfällen hergestellt.
Als paraffinischer Diesel aus hydrierten Pflanzenölen werden Pflanzenöle bezeichnet, die durch eine katalytische Reaktion mit Wasserstoff (Hydrierung) in Kohlenwasserstoffe umgewandelt werden. Durch diesen Prozess werden die Pflanzenöle in ihren Eigenschaften an fossile Kraftstoffe (insbesondere Dieselkraftstoff) angepasst. Hydrierte Pflanzenöle können – wie Biodiesel – dem Dieselkraftstoff beigemischt werden (z.B. Diesel R33) oder auch in 100-prozentiger Reinform angeboten werden, zum Beispiel als HVO100 oder C.A.R.E.
Wegen all dieser technischen Möglichkeiten wurde es Zeit, schreibt der ADAC [1], dass der Gesetzgeber formal den Weg für neue Spritsorten ebnet. Er wacht mittels der Verordnung zur Durchführung des Bundes–Immissionsschutzgesetzes (BImschV) darüber, dass nur solcher Sprit an der Tankstelle verkauft wird, der unbedenklich in den Verkehr gebracht werden kann und der einen möglichst umweltpolitischen Nutzen hat. Nun wurde die Verordnung novelliert. Um eine der neuen Spritsorten tanken zu können, werden modellspezifische Freigaben der Hersteller empfohlen.
Deutschland ist hier übrigens europäischer Nachzügler. Vor allem in Skandinavien, aber auch in den Niederlanden („Blauwe Diesel“), Italien (bei Eni) und Österreich sind Tankstellen, die paraffinischen Diesel anbieten, schon weit verbreitet: 2250 Stationen bieten ihn schon in Reinform (100 Prozent) an, über 11.000 zumindest in Beimischungen. Der Mehrpreis gegenüber Mineralöldiesel liegt in diesen Ländern für die Reinform-Variante etwa bei 5 bis 20 Cent.
Fritz Indra, einer der renommiertesten Motorenentwickler Europas, zeigt sich vorsichtig optimistisch. „Das ist ein erster Vorstoß in Richtung E-Fuels“. E-Fuels gibt es noch nicht in kommerziellen Mengen. Das Problem sind die hohen Stromkosten, die in der Produktion anfallen. E-Fuels aber haben einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem batteriebetriebenen Auto: Die Infrastruktur zur Verteilung der Treibstoffe ist vorhanden.
Das einseitige Verbrenner-Aus der EU war geradezu eine Einladung an die chinesischen Hersteller von Elektroautos, Europa als Absatzmarkt massiv in „Bearbeitung“ zu nehmen. Deutschland und andere EU-Länder werden mit E-Autos aus China inzwischen überschwemmt. In Brüssel scheint man sich des Ernsts der Lage bewusst. Notwendige Einfuhrzölle könnten zu handelspolitischen Konflikten mit China führen. Mit dem oben beschriebenen Biodiesel stünde eine wirksame Abwehrstrategie durch – Gesicht bewahrende – Aufhebung des rigiden Verbrennerverbots zur Verfügung. Schon ein Aufweichen wäre ein Erfolg.
Der Staat hat es in der Hand, ob sich HVO an der Tanksäule durchsetzt. Der aktuelle Dieselpreis besteht zur Hälfte aus Steuern: 6% CO2-Abgabe mit wachsender Tendenz, 19% Mehrwertsteuer, 29,4% Mineralölsteuer. Letzteres könnte entfallen, denn der Biodiesel hat keine Mineralölbasis.