Expertisen, die auch unsere Politiker gefälligst beachten sollten

In seinem heutigen Newsletter [1] mit dem Titel „Wissenschaftskommunikation: Das Science Media Center“ machten die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages*) auf Science Media Center Germany (SMC) [2] aufmerksam, das sich als Mittler zwischen Wissenschaft und Journalismus versteht.

Ein erster flüchtiger Blick auf das vom Center veröffentlichte Kapitel „Wie gelingt die Energiewende“ hinterlässt insofern einen positiven Eindruck, da die Probleme angesprochen und die Voraussetzungen für das Gelingen der Energiewende aufgezählt werden. Verschwiegen allerdings werden die Kosten für die Erfüllung der Voraussetzungen und deren wirtschaftliche Machbarkeit.

Newsletter im Wortlaut

Die Anzahl der Nachrichten aus verschiedensten Medienquellen wächst rasant. Daher wird es immer schwieriger, wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse von irrelevanten oder falschen Informationen zu unterscheiden. Je komplexer die Themenfelder und je hitziger die gesellschaftliche Debatte, desto größer ist der Bedarf an schneller, aber wissenschaftlich belastbarer Information. Diesen Bedarf haben Bürgerinnen und Bürger, Politikerinnen und Politiker, Medienschaffende und Forschende in angrenzenden Bereichen, worauf auch in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am 24. April 2024 hingewiesen wurde. Es wurde betont, dass Wissenschaftskommunikation als Grundlage für die Diskussion und Kontextualisierung von wissenschaftlicher Erkenntnis im demokratischen Prozess bedeutsam sei. Zu diesem Zweck haben sich in den letzten Jahren Angebote entwickelt. Dieser Aktuelle Begriff stellt ein Beispiel vor, das Science Media Center Germany (SMC).

Das SMC ist gemeinnützig und arbeitet unabhängig. Es versteht sich als Mittler zwischen Wissenschaft und Journalismus. Das SMC beobachtet den gesellschaftlichen Diskurs und für diesen Diskurs potenziell relevante wissenschaftliche Entwicklungen. Erkennt das SMC einen Bedarf, kontaktiert es Forschende, die nachweislich über die entsprechende wissenschaftliche Expertise verfügen, und bittet sie um eine Einschätzung. Die Auswahl basiert auf Fachkenntnis und Kriterien wissenschaftlicher Anerkennung. Dazu unterhält das SMC nach eigenen Angaben Kontakte zu über 1.000 Forschenden in den Bereichen Medizin und Lebenswissenschaften, Klima und Umwelt, Energie und Mobilität sowie Digitales und Technologie. Die Einschätzungen übersendet das SMC Medienschaffenden und macht sie der Öffentlichkeit über das Internet zugänglich. Die Rolle des SMC zwischen Wissenschaft und Journalismus und eine mögliche Lenkungswirkung auf die Themen- und Quellenauswahl der Wissenschaftsredaktionen wurde selbst zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung.

Das SMC bietet Informationen in verschiedenen Formaten an, die sich an unterschiedlichen Situationen orientieren: In akuten Nachrichtenlagen versucht das SMC, möglichst schnell Einordnungen zu liefern. Herrscht weniger Zeitdruck, stellt es Hintergrundinformationen in einem Überblick zusammen. Ferner veröffentlicht das SMC zu ausgewählten Themen Ergebnisse vertiefter eigener Recherchen oder Datenanalysen.

Beispiel 1 – Kernfusion: Am 13. Dezember 2022 verkündete das Lawrence Livermore National Laboratory – eine Forschungseinrichtung in den USA, dass es erstmals gelungen sei, in einem Fusionsexperiment einen Energieüberschuss zu erzielen. Noch am selben Tag veröffentlichte das SMC Stellungnahmen von Forschenden des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik, des Karlsruher Instituts für Technologie und des Forschungszentrums Jülich, die die Bedeutung dieser Meldung einordnen: Die Berechnung der Energiebilanz habe nicht das gesamte Experiment, sondern nur den Brennstoff einbezogen. Dessen ungeachtet sei der Weg zur Kernfusion als nutzbare Energiequelle zwar noch weit, das Experiment aber aus wissenschaftlicher Sicht ein großer Erfolg.

Am 13. März 2024 stellte das Bundesministerium für Bildung und Forschung ein Förderprogramm zur Fusionsforschung vor „mit Maßnahmen, um möglichst schnell beim großen Ziel – dem Fusionskraftwerk – anzukommen.“ Noch am selben Tag veröffentlichte das SMC Stellungnahmen von Forschenden der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und des Karlsruher Instituts für Technologie: Bei einem ambitionierten Forschungsprogramm und ausreichenden Ressourcen betrage die Zeitskala für ein Demonstrationskraftwerk circa 20 Jahre, ein nennenswerter Beitrag zur Energieversorgung in den nächsten Jahrzehnten sei aber unwahrscheinlich. Falls Kernfusion eines Tages funktioniere, sei sie bahnbrechend („Game Changer“).

Beispiel 2 – Agrarsubventionen: Im Dezember 2023 hatte die Bundesregierung angekündigt, Rabatte für Agrardiesel und die Befreiung von der Kfz-Steuer für Agrarfahrzeuge in Höhe von insgesamt knapp einer Milliarde Euro zu streichen. Nach Protesten von Landwirtinnen und Landwirten kündigte die Bundesregierung am 4. Januar 2024 an, die Befreiung von der Kfz-Steuer beizubehalten und die Rabatte auf Agrardiesel nur schrittweise abzubauen. Dennoch sah der Deutsche Bauernverband die „Zukunftsfähigkeit [der] Branche“ weiterhin gefährdet und rief zu einer Aktionswoche ab dem 8. Januar 2024 auf. Bereits am 9. Januar 2024 veröffentlichte das SMC Stellungnahmen von fünf Forschenden verschiedener wissenschaftlicher Einrichtungen und Disziplinen. Die Forschenden wiesen darauf hin, dass die im Raum stehenden Kürzungen zwar spürbar seien und sehr kurzfristig eingeführt würden, grundsätzlich aber nicht existenzbedrohend seien. Wichtiger als nur finanzpolitische Erwägungen sei es, eine grundsätzliche Vorstellung davon zu entwickeln, wie mit Agrarsubventionen ein gesellschaftlicher Mehrwert erzielt und die Branche aus der Subventionsabhängigkeit herausgeführt werden könne. Für größere Projekte, wie den Umbau der Tierhaltung, würden keine Mittel zur Verfügung gestellt.

Nachdem Landwirtinnen und Landwirte über Monate auf die Straße gegangen waren, schlug die Europäische Kommission am 15. März 2024 vor, „mehr Flexibilität bei der Erfüllung bestimmter Umweltschutzauflagen einzuräumen“, um den Verwaltungsaufwand für landwirtschaftliche Betriebe zu verringern. Noch bevor das Europäische Parlament dem Vorschlag am 24. April 2024 zustimmte, hatte das SMC am 16. April 2024 Stellungnahmen von fünf Forschenden verschiedener wissenschaftlicher Einrichtungen veröffentlicht. Die Forschenden bemängelten, dass der Vorschlag den Verwaltungsaufwand nicht reduziere, sondern langfristige Probleme verschärfe, insbesondere für die Biodiversität.

Das SMC Germany ist Teil eines internationalen Netzwerks von Science Media Centern, die unabhängig voneinander organisiert sind und arbeiten, aber gemeinsame Grundsätze haben. Das erste Science Media Center wurde 2002 in London, UK, gegründet, das erste nicht englischsprachige SMC 2015 in Deutschland als gemeinnützige GmbH mit Sitz in Köln. Die Wissenschaftspressekonferenz e.V. initiierte die Gründung des SMC, die Klaus Tschira Stiftung (KTS) förderte die Gründung maßgeblich. Das SMC finanziert sich durch Zuwendungen. Die KTS ist derzeit mit Abstand die größte Geldgeberin. Weitere Fördernde sind vor allem Wirtschaftsunternehmen, Forschungsgesellschaften und -institute, Universitäten und Medienhäuser. Zur Wahrung der Unabhängigkeit der redaktionellen Arbeit unterliegen Zuwendungen an das SMC bestimmten Grenzen. (Newsletter-Ende)

 

Um unseren Lesern einen flüchtigen Eindruck zu vermitteln: Das SMC-Kapitel „Wie gelingt die Energiewende“ [3] enthält den „Stresstest für den vorgezogenen Kohleausstieg – Preppen für die Dunkelflaute III“ mit einem Fact Sheet auf der Basis historischer Stromerzeugungsdaten [4].

Der Stresstest hat folgendes Fazit

  1. Ein Kohleausstieg 2030 ist von den Bilanzen her machbar, wenn:

– der Ausbauplan der Windanlagen von derzeit 71 auf mindestens 80 bis 120 GW angehoben wird und die genehmigten Anlagen   auch tatsächlich gebaut werden,

– der Ausbau der Offshore-Windparks wieder in Gang kommt und auf 25 GW angehoben wird,

– der Ausbau der Photovoltaik von derzeit 100 auf 150 bis 200 GW angehoben wird,

– ein Ausbau von Gaskraftwerken als Back-up in der Größenordnung von 53 bis womöglich 80 GW angestrebt wird.

2. Wichtig: Diese Kraftwerke werden die Stromerzeugung der Kohlekraftwerke nicht ersetzen, sondern nur dann in Aktion treten, wenn Wind- und PV-Anlagen weniger erzeugen als gebraucht wird.

3. Wichtig auch: Es gibt derzeit Ausbaupläne für Gaskraftwerke, viele liegen jedoch offenbar auf Eis [11]. Inwiefern sich diese Situation geändert hat, wie viele Gaskraftwerke immer noch abgeschaltet werden sollen und wie schnell sich diese bauen ließen, wäre eine eigene Recherche.

4. Denkbar erscheint, dass zumindest ein Teil von Kohlekraftwerken nach britischem Vorbild auch auf Gasfeuerung umgerüstet werden könnte. Entsprechende Vorhaben gibt es bereits.

5. Um eine klimaneutrale Stromversorgung zu erreichen, müssten jedoch die Gaskraftwerke, egal welcher Brenntechnik (Turbine, Motor, Brennstoffzelle) entweder künftig mit Wasserstoff betrieben werden können oder der von ihnen erzeugte Kohlendioxidausstoß per CCS oder mit Direct Air Capture Anlagen wieder aus der Luft entfernt werden.

6. Sollte absehbar nicht genug Wasserstoff zur Verfügung stehen, erscheint es sinnvoll, das Für- und Wider von CCS-Technik an den Gaskraftwerken abzuwägen.

7. Für einen Kohleausstieg 2030 sollte jedoch auch geprüft werden, inwieweit die Stromnetze beschleunigt ausgebaut werden müssten.

8. Ebenso scheint es sinnvoll, ein Finanzierungssystem für die Back-up-Kraftwerke zu entwerfen, da diese mit Sicherheit niedrigere Auslastungen erreichen werden als heute.

9. Diese Arbeit basiert auf der Entwicklung eines Analysetools für die von der Bundesnetzagentur unter www.smard.de veröffentlichten Strommarktdaten durch das Science Media Center selbst.

*) Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung.

Quellen:

[1] www.dbtg-newsletter.de, Nr.12/24 (24. Juli 2024), Dr.-Ing. Wolfgang Schanderl

[2] https://www.sciencemediacenter.de/

[3 ]https://wie-gelingt-die-energiewende.smc.page/

[4] https://www.sciencemediacenter.de/fileadmin/user_upload/Fact_Sheets_PDF/Stresstest-fuer-den-vorgezogenen-Kohleausstieg-III_SMC_Fact-Sheet_24112021.pdf