Kernkraftwerke würden mit ihrer grundlastfähigen Stromerzeugung weiterhin einen entscheidenden Beitrag zur Energiesicherheit leisten

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Kernenergieverband widerspricht Bundesregierung

Im Zuge der aktuell geführten Diskussion über einen möglichen Weiterbetrieb einzelner Kernkraftwerke zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit in Deutschland erklärt Kerntechnik Deutschland (KernD), der Verband von Unternehmen und wissenschaftlichen Institutionen der Kerntechnik in Deutschland [1]:

Der Weiterbetrieb von deutschen Kernkraftwerken über den aktuell verbindlichen Abschalttermin 31.12.2022 hinaus kann einen wichtigen Beitrag zur Energiesicherheit Deutschlands leisten, sowohl im kommenden Winter als auch in der Zeit danach. Die kerntechnische Wirtschaft – Betreiber, Industrie, Dienstleister – ist bereit, den Weiterbetrieb von Kernkraftwerken in Deutschland zu unterstützen und die dafür notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Dabei sind aktuell folgende Punkte von besonderer Bedeutung:

  • Die verfügbaren deutschen Anlagen sind in sicherheitstechnisch hervorragendem Zustand. Einem weiteren Betrieb stehen keine sicherheitsbezogenen Gründe entgegen.
  • Die kerntechnische Wirtschaft hat den im großen politischen Konsens gefassten Ausstiegsbeschluss akzeptiert und setzt diesen umfassend um. Voraussetzung für einen darüber hinaus gehenden Weiterbetrieb deutscher Kernraftwerke ist, dass sich die Bundesregierung dazu bekennt, die Kernenergie weiter zur Sicherung der Energieversorgung zu nutzen und der Bundestag die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür schafft. Diese politische Entscheidung muss belastbar mit Blick auf unternehmerische Entscheidungen und Investitionen sein und zeitnah erfolgen. Dies gilt gerade mit Blick auf eine möglichst rasche Beschaffung von Kernbrennstoff, wenngleich dieser Prozess nicht beliebig beschleunigt werden kann.
  • Da auch die sicherheitsbezogenen regulatorischen Prozesse bei den zuständigen Behörden und den Gutachtern eingehalten werden müssen, ist hierzu ebenfalls eine rasche politische Entscheidung wichtig. Ein weiterer Abbau von Personal und kerntechnischer Kompetenz in diesen Bereichen muss sofort gestoppt und soweit möglich rückgängig gemacht werden.

Die von den Bundesministerien für Wirtschaft und Umwelt durchgeführte „Prüfung des Weiterbetriebs von Atomkraftwerken aufgrund des Ukraine-Kriegs“ [2] kommt

Im Ergebnis einer Abwägung von Nutzen und Risiken, dass eine Laufzeitverlängerung der drei noch bestehenden Atomkraftwerke auch angesichts der aktuellen Gaskrise nicht zu empfehlen ist“.

Der Verband Kerntechnik Deutschland e.V. widerspricht dem Prüfergebnis in allen Punkten und kommt zu folgendem Fazit [3]:

Fazit von KernD:

Der Branchenverband KernD hält wie unten ausgeführt die Argumente und Annahmen der Bundesregierung, die der Einschätzung zugrunde liegen, dass ein Weiterbetrieb von Kernkraftwerken in der aktuellen Situation nicht empfehlenswert sei, für nicht stichhaltig. Im Gegenteil können die Kernkraftwerke in einer Gasmangellage oder gar einer allgemeinen energiewirtschaftlichen Notlage in Deutschland mit ihrer grundlastfähigen Stromerzeugung einen entscheidenden Beitrag zur Energiesicherheit leisten, ohne unverhältnismäßigen Aufwand zu erzeugen. Die Anlagen, das Personal, das Know-how, die Lieferketten – kurzum das technisch-wirtschaftliche Gesamtsystem der Kerntechnik – sind schließlich alle noch vorhanden, anders als LNG-Terminals, zusätzliche Strom- und Gasleitungen, viele zusätzliche erneuerbare Erzeugungsanlagen oder Bezugsverträge über sehr große Mengen Flüssiggas vom umkämpften Weltmarkt. Nicht zuletzt würden die Kernkraftwerke auch im Weiterbetrieb CO2-armen Strom bereitstellen, der mit günstigen und stabilen Erzeugungskosten die Entwicklung am Strommarkt stabilisieren würde.

Ein effektiver Beitrag der Kernenergie zur Vorbeugung oder Verhinderung einer potentiell massiven Energiekrise erfordert rasche politische Weichenstellungen, denn wenn politische Zögerlichkeit und eine offenbar aktuell von der Bundesregierung nicht erwartete Zuspitzung im Energiebereich zusammenfallen sollten, wird es für wirksame Maßnahmen hinsichtlich der Kernkraftwerke möglicherweise zu spät sein. Wie lange ein weiterer Beitrag der Kernenergie sinnvoll ist, hängt von den geopolitischen und energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Die Möglichkeit eines mittel- statt nur kurzfristigen Weiterbetriebs ist aber gewiss kein Nachteil oder gar Hinderungsgrund, da etwa die Europäische Kommission jüngst angekündigt hat, mit ihrer Initiative REPowerEU auf eine Unabhängigkeit von Russland bei fossilen Energieträgern bis 2027 zu zielen.

Nachfolgend die Kommentierung des KernD in vollem Wortlaut:

  1. Ausgangslage

Die Bundesregierung führt an, dass in Deutschland gegenwärtig und bis zum 31.12.2022 die Kernkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 in Betrieb sind, mit zusammen rund 4300 MW Leistung (brutto). Zuletzt wurden am 31.12.2021 die Kernkraftwerke Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen C abgeschaltet, die zusammen rund 4200 MW Leistung (brutto) bereitstellen konnten.

Im Hinblick auf eine mögliche Gasmangellage im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine hat sich die Bundesregierung der Frage gewidmet, ob die Kernkraftwerke weiter genutzt werden können oder sollen.

Kommentar KernD:

Wichtig, jedoch nicht im Papier der Bundesregierung berücksichtigt, ist die Tatsache, dass die Wertigkeit der Stromproduktion aus den KKW durch die Verfügbarkeit „rund um die Uhr“ (bis auf die Revisionszeiten) deutlich höher anzusetzen ist als eine Stromproduktion aus volatilen Quellen (d.h. aus Wind und Sonne). Letztere sind nicht grundlastfähig, Strom aus Kernenergie und Kohle indes schon. Dies ist ein sehr wichtiges Kriterium gerade bei der Bewertung in Krisensituationen. So haben die sechs Kernkraftwerke in 2021 zusammen 69,1 Milliarden Kilowattstunden Strom (brutto) erzeugt, was 11,9 Prozent der deutschen Bruttostromerzeugung entsprach.

  1. Gesetzes- und Genehmigungslage

Die Bundesregierung schreibt, dass für einen Weiterbtrieb der zum 31.12.2021 abgeschalteten Anlagen rechtlich Maßnahmen erforderlich wären, die einer „Neugenehmigung“ auf „EPR-Standard“ gleichkämen, die technisch-wissenschaftlich nicht erreichbar wären und die deshalb vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben werden würden.

Kommentar KernD:

Solange die Genehmigung für den Rückbau nicht bei den Kernkraftwerken eingegangen ist, gilt weiterhin ausschließlich die bestehende Betriebsgenehmigung. Gemäß Atomgesetz erlischt mit den in §7 Abs 1a gesetzten Fristen nur die Berechtigung zum Leistungsbetrieb, die Betriebsgenehmigung indes ist davon nicht berührt. Tatsächlich sind die Genehmigungen aus verwaltungsrechtlicher Sicht immer noch wirksam, da das Gesetz sie nicht aussetzt. Es sollte ausreichend sein, die Enddaten des vorgenannten §7 1a zu ändern und auf die Festlegung von Reststrommengen zu verzichten. Die Genehmigungsgrundlage in Deutschland ist im Übrigen nicht der angeführte „EPR-Standard“, sondern die „Sicherheitsanforderungen an Kernkraftwerke“ (SiAnf). Die SiAnf konkretisieren als Basis für wesentliche kerntechnische Änderungsverfahren und die Periodische Sicherheitsüberprüfung (PSÜ) die Anforderung an die Schadensvorsorge nach Stand von Wissenschaft und Technik (W&T). Daraus lässt sich nicht ableiten, dass für einen Weiterbetrieb der zum 31.12.2021 abgeschalteten Anlagen ein wie auch immer gearteter “EPR-Standard” erfüllt werden muss. Es ist derzeit vollkommen unklar, auf welcher rechtlichen Basis die neuen “EPR-Standards” angewendet werden sollten.

Die Bundesregierung macht als eine rechtliche Hürde für den Weiterbetrieb der noch laufenden Anlagen in ihrem Prüfvermerk geltend, dass nach Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch eine gesetzliche Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) erforderlich machen würde. Als weiteres Hindernis wird das Erfordernis einer neuen, umfassenden Risiko- und Güterabwägung des Gesetzgebers hinsichtlich der Kernenergie in Änderung der entsprechenden Einschätzung nach dem Unfall von Fukushima angeführt.

Kommentar KernD:

Es handelt sich bei der Aufhebung der kalendermäßigen Befristung und einem möglichen Entfall der Strommengenbegrenzung um die Wiederherstellung des ursprünglichen Genehmigungszustandes. Die Anlagen könnten somit weiter betrieben werden. Erst in den Jahren 2028 und 2029 (Erreichen der so genannten “Design- Lebensdauer” von 40 Jahren) wären über die periodischen Maßnahmen hinausgehende Sicherheitsanalysen durchzuführen. Die Aussage der Bundesregierung zur UVP ist nicht korrekt und beruht auf einer Fehlinterpretation der einschlägigen EuGH-Entscheidung. Der EuGH hatte zum einen über eine Verlängerung der Laufzeit um 10 Jahre zu entscheiden – was hier aktuell nicht zur Debatte steht – und zweitens eine wichtige Ausnahme für den Fall festgelegt, dass der Mitgliedstaat nachweist, dass andernfalls die Energiesicherheit gefährdet wäre. Genau eine solche Gefährdung ist aber nun der Grund, aus dem aktuell Analysen hinsichtlich eines Weiterbetriebs von Kernkraftwerken überhaupt durchgeführt werden.

Die Risiko- und Güterabwägung nach dem Unfall von Fukushima basierte auf rein politischen Überlegungen. Aus technischer Sicht haben die im Nachgang zu Fukushima durchgeführten Robustheitsanalysen aufgezeigt, dass die deutschen Anlagen zu den robustesten weltweit gehören. Im Rahmen der Post-Fukushima Maßnahmen wurden zusätzliche Verbesserungen realisiert. Dadurch wird beispielsweise sichergestellt, dass bei längerfristigen Stromausfällen die Stromversorgung für die Kernkühlung für mindestens 7 Tage gewährleistet ist. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass Kernkraftwerke der neueren Bauart aufgrund ihrer massiven Stahlbetonkonstruktion die mit am besten geschützten Industrieanlagen überhaupt sind.

  1. Sicherheitsbetrachtung

Die Bundesregierung verweist im Prüfvermerk darauf, dass bei den aktuell laufenden Anlagen von einer Ausnahmegenehmigung im Atomgesetz hinsichtlich der alle 10 Jahre erforderlichen (Periodischen Sicherheits-Überprüfung) PSÜ Gebrauch gemacht wurde und die Ende 2019 fälligen PSÜ deshalb nicht durchgeführt worden seien. Die Bundesregierung erklärt, dass unerkannte Sicherheitsdefizite mit Blick auf die Sicherheitsanforderungen SiAnf von 2012 (Neufassung 2015) und damit auch Investitionsbedarfe in die Sicherheitstechnik nicht auszuschließen seien.

Kommentar KernD:

Für die noch laufenden so genannten Konvoi-Anlagen wurde noch keine PSÜ auf Basis der SiAnf durchgeführt. Dahingegen wurde für ältere Anlagen (z.B. Brokdorf und Gundremmingen C) bereits eine PSÜ auf Basis dieser SiAnf durchgeführt.

Dabei wurden keine nennenswerten Defizite identifiziert. Daher ist auch bei der Aktualisierung der PSÜ für die Konvoi-Anlagen unter Berücksichtigung der Anforderungen aus den SiAnf nicht mit nennenswerten Defiziten zu rechnen. Aus diesem Grund sind auch keine daraus resultierenden längeren Stillstandsphasen für Nachrüstungen zu erwarten.

Nach Abschluss der PSÜ 2009 für die Konvoi-Anlagen ergab sich in der anschließenden Dekade aufgrund des Fukushima-Ereignisses die Sondersituation der sicherheitstechnischen Nachrüstungsmaßnahmen, die mit vorlaufenden Robustheitsanalysen und Stresstests ca. 2014 abgeschlossen wurden. Daher sind entsprechende sicherheitstechnische Verbesserungen bereits realisiert und es kann bei einer nun beginnenden Sicherheitsüberprüfung gestaffelt vorgegangen werden. Die wesentlichen Ergebnisse für den Überblick des Sicherheitsniveaus können innerhalb eines Jahres vorgelegt werden. Die kerntechnische Wirtschaft steht zur Unterstützung bei der Durchführung dieser Analysen und der Umsetzung der ggf. daraus resultierenden Maßnahmen zur Verfügung.

Auch die Erfahrungsauswertungen aus sonstigen nationalen und internationalen Ereignissen wurden weitergeführt und, falls erforderlich, entsprechende Optimierungen bereits vorgenommen. Das 2015 aktualisierte kerntechnische Regelwerk fordert die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden. Wie oben gezeigt, sind diese Anforderungen für die hier diskutierten Anlagen erfüllt. Die SiAnf enthalten auch Anforderungen an die Beherrschung auslegungsüberschreitender Ereignisse der sogenannten Sicherheitsebene 4. Auch diese Anforderungen werden erfüllt. Dadurch wird ein ähnliches Sicherheitsniveau wie beim EPR erreicht.

Aus Sicht von KernD kann ein Weiterbetrieb der Kernkraftwerke ohne Abstriche beim vorhandenen Sicherheitsniveau erfolgen.

  1. Technische Situation

Die Bundesregierung schreibt in ihrem Prüfvermerk aufgrund einer von ihr verwendeten Definition des so genannten Streckbetriebs als zeitlicher Verschiebung der Stromproduktion durch Aussetzung des Betriebs, dass ein möglicher Weiterbetrieb der Kernkraftwerke keine zusätzlichen Strommengen bis Ende März 2023 erbringen würde. Darüber hinaus macht die Bundesregierung geltend, dass frische Brennelemente frühestens zum Herbst 2023 geliefert werden könnten und führt auch die Versorgung mit Ersatzteilen als Hindernis für einen Weiterbetrieb an.

Kommentar KernD:

Die Aussage hinsichtlich Streckbetrieb und zusätzlichen Strommengen ist nicht korrekt. Die Kernkraftwerke, insbesondere das Kernkraftwerk Isar 2, könnte bei vorliegender Beladung im Frühjahr 2023 noch für einige Monate zusätzliche Strommengen im Streckbetrieb produzieren. Streckbetrieb bedeutet Ausnutzung von Brennstoff über das geplante Zyklusende hinaus und damit die Produktion zusätzlicher Strommengen. Zusätzlich könnte bei vorhandenem Stromüberschuss (Sonne, Wind) insbesondere in den Sommermonaten 2022 Brennstoff durch Leistungsreduktion der Kernkraftwerke eingespart und dann dadurch zusätzliche Kapazitäten für eine etwaige kritische Phase im Winter 2022/23 geschaffen werden.

Die kerntechnische Wirtschaft in Europa fühlt sich verpflichtet, die Elektrizitätsversorgung in Europa zu unterstützen. Dementsprechend räumt die Branche der Beschaffung von Brennelementen für die Verlängerung des Betriebs der deutschen Kernkraftwerke Priorität ein. Dies würde es ermöglichen, eine gewisse Menge an Brennelementen innerhalb einer deutlich verkürzten Vorlaufzeit unter Einhaltung der gegenwärtigen sicherheitstechnischen Anforderungen zu liefern, um sie z.B. rechtzeitig für einen kurzen Zyklus im Winter 2022/2023 verfügbar zu haben. Mit dieser Strategie könnten bereits im Winter 2022/2023 signifikante zusätzliche Strommengen produziert werden. Die im Prüfvermerk der Bundesregierung erwähnten größeren Nachlademengen würden dann erst später, im Sommer 2023 erforderlich. Dies würde dann normale Zeiträume für die Beschaffung von Brennelementen ermöglichen. Die genannten Kernbeladungen würden unter Einhaltung der gegenwärtigen sicherheitstechnischen Anforderungen und Rahmenbedingungen erfolgen. Insofern würde kein zusätzlicher, über den üblichen Umfang hinausgehender Prüf- und Genehmigungsaufwand erforderlich werden.

Somit kann mit Sicherheit gesagt werden, dass die Brennelementbeschaffung, wenn mit der Beschaffung jetzt begonnen wird, nicht zum Engpass wird und ein unterbrechungsfreier Betrieb der KKW aufrechterhalten werden kann. Die Brennelementfertigung ist nicht abhängig von einer Versorgung aus Russland, sondern es sind entsprechende Alternativen verfügbar. Diese werden bereits genutzt. Deshalb gibt es hier keine negativen Auswirkungen aus einem möglichen Embargo für Lieferungen aus Russland.

Zum Thema Ersatzteile ist festzustellen, dass das Ersatzteilmanagement der deutschen Betreiber für den Weiterbetrieb ausreichend ist. Ersatzteile wurden nicht vernichtet, sondern von anderen Kunden des Serviceverbandes VGB Powertech übernommen und sind daher bei Bedarf weiterhin verfügbar. Die Reparaturfähigkeit ist auch für Steuerungsplattformen und Steuerungstechnik gewährleistet, z.B. durch deutsche Betreiber selbst mit eigenen Werkstätten und durch externe Anbieter. Dies ist im Übrigen keine neue Situation für deutsche Betreiber.

Die Lieferketten der maßgeblichen Kerntechnikunternehmen in Deutschland und Europa sind weiterhin etabliert, um die Bedürfnisse der deutschen Anlagen zu befriedigen. Es sei hierzu verwiesen auf die in der Bauart den deutschen Anlagen ähnlichen KKW, welche von der ehemaligen Kraftwerk Union (KWU) weltweit errichtet wurden (Angra 2, Trillo, Gösgen, Borssele). Durch ein gezieltes Obsoleszenz- management können auslaufende Produkte oder eine schrumpfende Lieferantenbasis kompensiert werden, so z.B. durch Qualifizierung neuer Lieferanten, Unterstützung bei der Querqualifizierung, Qualifizierung neuer Produkte und Nachrüstungen. Diese Lösungen stünden bei einem Weiterbetrieb auch den deutschen Anlagen zur Verfügung.

  1. Personal

Im Prüfvermerk der Bundesregierung wird erklärt, dass keine Personalressourcen für einen Weiterbetrieb zur Verfügung stünden und für neues Personal eine mehrjährige Fachkundeausbildung erforderlich ist.

Kommentar KernD:

Für einen Weiterbetrieb für kurze oder mittlere Frist kann grundsätzlich durch die Betreiber eine Abdeckung der Personalressourcen ermöglicht werden. Zusätzlich wäre eine Umschulung von Mitarbeitern anderer Standorte innerhalb eines Jahres möglich. Ggf. zusätzlich erforderliches Bedienpersonal könnte auch von Herstellerunternehmen geschult werden. Hierzu stehen Kapazitäten zur Verfügung, die für die Erstschulung des Personals für Anlagenneubauten geschaffen wurden.

Aufgrund der internationalen Aktivitäten der Unternehmen für Neubau und Service steht entsprechendes Servicepersonal zur Verfügung, das dann auch für den Weiterbetrieb der deutschen Anlagen eingesetzt werden kann.

Für einen – aktuell nicht zur Diskussion stehenden – Weiterbetrieb über längere Frist wäre in der Tat eine mehrjährige Fachkundeausbildung für weiteres Personal im bewährten Rahmen erforderlich, die aber unter entsprechenden Bedingungen auch wieder ermöglicht werden könnte.

  1. Wirtschaftlichkeit und Risikoverteilung

Im Prüfvermerk der Bundesregierung werden neben den schon adressierten Kosten für mögliche Nachrüstmaßnahmen und Ersatzteile auch Kosten für die Entsorgung zusätzlich entstehender radioaktiver Reststoffe und der zu verlängernden Haftpflichtversicherung als mögliche Hindernisse für einen Weiterbetrieb angegeben.

Kommentar KernD:

Aus Sicht von KernD ergeben sich aus dem Anfall radioaktiver Reststoffe und der Haftpflichtversicherung keine nennenswerten Mehrkosten pro Betriebsjahr gegenüber dem jetzigen, wirtschaftlich durchgeführten Betrieb.

  1. Energiewirtschaftliche und klimapolitische Bewertung

Hier behauptet die Bundesregierung wiederum, dass durch die Kernkraftwerke im ersten Quartal 2023 keine zusätzlichen Strommengen zur Verfügung gestellt werden könnten, da diese zuvor im Sommer eingespart und durch andere Anlagen wie Gas- und Kohlekraftwerke erzeugt werden müssten. Daraus folgert die Bundesregierung, dass ein zusätzlicher Einsatz von Stein- und Braunkohlekraftwerken mögliche Engpässe infolge einer Gasmangellage im kommenden Winter ebenso abdecken könnte.

Kommentar KernD:

Durch zusätzlichen Streckbetrieb ab Januar 2023 können zusätzliche Strommengen erzeugt werden. Im Rahmen des Lastfolgebetriebes könnte im Jahr 2022 gezielt nuklearer Brennstoff in Zeiten mit hoher Solar- und Windstromerzeugung eingespart werden. Damit würde kein zusätzlicher Gasverbrauch im Sommer 2022 entstehen. Mit dem Streckbetrieb und den durch Lastfolge eingesparten Brennstoffmengen könnten im Winter 2022/2023 zusätzliche Strommengen produziert und dadurch die Netze bei schwankender Solar- und Windstromversorgung stabilisiert werden. Damit könnte in dieser kritischen Zeit Gas in der Stromerzeugung in erheblichem Umfang eingespart werden, was bei den dezentralen und so genannten geschützten Verbrauchern im Wärmemarkt gar nicht möglich ist.

Wenn durch die nukleare Stromerzeugung Strom aus Kohlekraftwerken ersetzt wird, wird ein erheblicher Beitrag zur Vermeidung zusätzlicher CO2 Emissionen geleistet.

Außerdem wäre zu klären, ob ohne Kohleimporte aus Russland die Kapazitäten der Kohlekraftwerke alleine zur Netzstabilisierung ausreichen, wenn gleichzeitig auch keine Gaskraftwerke verfügbar sind. Überdies ist auch noch zu beachten, dass die Kohlekraftkapazitäten südlich der Mainlinie nicht groß sind und die im Zuge des Ausstiegs aus der Kernenergie zu errichtenden großen HGÜ-Stromleitungen, die Strom bzw. hier vorübergehend Kohlestrom in größerem Umfang von West- und Mitteldeutschland nach Süddeutschland transportieren könnten, noch mehrere Jahre lang nicht verfügbar sein werden.

  1. Fazit

In ihrem Fazit kommt die Bundesregierung aufgrund der oben genannten Argumente und Annahmen hinsichtlich der genehmigungsrechtlichen Situation, des vermeintlichen Fehlens zusätzlicher Strommengen aufgrund ihrer Interpretation des Konzepts Streckbetrieb, der Annahmen zur Versorgung mit neuem Brennstoff, Hypothesen zu erforderlichen umfangreichen Nachrüstungen, einer erklärten möglichen Anwendbarkeit eines nicht existierenden EPR-Standard, unterstellter Personalengpässe beim Betriebspersonal der Kraftwerke und bei den Aufsichtsbehörden sowie durch Aufwerfen verfassungsrechtlicher Zweifel an einer geänderten Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers und der Befürchtung von Abstrichen an der Sicherheitsphilosophie zu der Auffassung, dass in einer Abwägung von Nutzen und Risiken ein Weiterbetrieb der Kernkraftwerke in Deutschland auch angesichts der aktuellen politischen und insbesondere Gasversorgungskrise nicht zu empfehlen sei.

Die Bundesregierung führt darüber hinaus an, dass aufgrund des Mehraufwands ein Weiterbetrieb nicht nur für zwei oder drei Jahre, sondern für mindestens drei bis fünf Jahre notwendig sei, um den Aufwand wirtschaftlich zu rechtfertigen. Die Regierung unterstellt dabei, dass „bis 2028 andere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um eine ausreichende Stromversorgung trotz einer Gasmangellage zu gewährleisten.“

Berlin, 15. März 2022

 

[1] https://www.kernd.de/kernd/presse/pressemitteilungen/2022/2022-03-04_Energiesicherheit-und-KKW-Betrieb.php

[2] https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/P-R/pruefvermerk-laufzeitverlaengerung-atomkraftwerke.pdf?__blob=publicationFile&v=6

[3] https://www.kernd.de/kernd-wAssets/docs/presse/Kommentar_KernD_Pruefvermerk_BReg_Weiterbetrieb_KKW.pdf