Wow, was war das? Habe ich mich verlesen oder was verpasst? In dicken Lettern heißt es in der WirtschaftsWoche vom 15. März 2023:
„Als erster Betreiber der verbliebenen Kernkraftwerke schert E.On-Chef Birnbaum aus: Er greift den Ausstieg im April an und warnt, dass die Krise nicht zu Ende sei. Die wichtigsten fünf Punkte einer bemerkenswerten Rede.“
Anlässlich der Vorstellung des E.On-Geschäftsergebnisses für 2022 sprach Leonhard Birnbaum unter anderem die Energiekrise, die Energiepreise, die Atomnachfrage und Europas Wohlstand an. Hier die drei wichtigsten Erkenntnisse aus seiner Ausführung, teils aus dem auf E.On’s Webseite veröffentlichten Redetext mit dem Zusatz „Es gilt das gesprochene Wort“:
- E.On mahnt: Täuscht Euch nicht! Die Energiekrise ist noch nicht vorbei.
Die derzeit niedrigen Energiepreise sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Krise andauere. Die milde Witterung habe dafür gesorgt, dass Europa besser durch den Winter gekommen sei als erwartet. Aber: „Die Krise ist längst nicht vorbei.“ Das Preisniveau für Gas und Strom im Großhandel sei zwar im Vergleich zum vergangenen Sommer gefallen, aber eben nicht im Vergleich zu der Zeit vor der Krise. Der Markt sei so schwankungsanfällig, dass die Preise schnell wieder ansteigen können – etwa durch eine steigende Nachfrage aus China nach LNG, Flüssigerdgas. „Die Märkte sind nervös und können schnell ausschlagen“.
- Birnbaum kritisiert die Abschaltung der drei deutschen Kernkraftwerke im April
Bisher haben sich alle Betreiber sehr vorsichtig zum Ausstieg geäußert: Man mache, was die Politik wünsche. Punkt. Birnbaum hat bisher immer erklärt, dass man die Kernkraftwerke sicher weiter betreiben könne. Es gäbe keine Indikation, dass die Politik ihre Abschaltpolitik überdenke. E.On’s Planung gehe von einem Ende des Betriebs von Isar 2 in Bayern am 15. April aus. Aber: „Persönlich halte ich das für einen Fehler“, sagte Birnbaum laut Redetext. Und legte dann nach: „Wir schalten eine der sichersten, produktivsten und besten Anlagen der Welt ab.“
Isar 2 sei in seinen insgesamt 35 Jahren Laufzeit zehnmal als das produktivste von weltweit rund 400 Kernkraftwerken ausgezeichnet worden. „Das ist Weltmeister-Technologie Made in Germany“, sagte Birnbaum laut Redetext – und skizzierte dann drastisch, warum er die Entscheidung der Ampel-Koalition für widersinnig hält: „Wir berauben Deutschland einer wichtigen Option, obwohl die Energiekrise noch nicht vorbei ist, und hoffen, dass die französische Kernkraft läuft. Das verstehe, wer will: ich nicht. Aber am Ende ist es das Primat der Politik, solche Entscheidungen zu treffen.“ In der Diskussion ergänzte Birnbaum: „Zwischen Januar und dem 15. April werde Isar 2 in etwa zwei Terawattstunden Strom produzieren und so zu „einer stabilen Stromversorgung“ beitragen.“
- Europa muss um seinen Wohlstand kämpfen
Der Friede in Europa sei nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine nicht mehr selbstverständlich. „Aber auch: Unser Wohlstand nicht. Die Preisstabilität nicht. Und auch das Niedrigzinsumfeld nicht. Und sichere und bezahlbare Energie ist auch nicht selbstverständlich.“ Die Verfügbarkeit von Rohstoffen – Öl und Gas unter anderen – sei in einem „geopolitischen Wettbewerb“ umkämpft. „Hier prallen handfeste industriepolitische Interessen aufeinander, verschärft durch den Inflation Reduction Act (IRA) der USA. Europa wird für seinen Wohlstand hart kämpfen müssen.“ Europa müsse als Ganzes und in Einheit wettbewerbsfähiger werden. Europa müsse sich aus der Krise herausinvestieren.
(Ende des Auszugs aus den Ausführungen des E.On-Chefs).
Für jemand wie mich, der über viele Jahre als Bindeglied zwischen der Nuklearindustrie und der Bundesregierung die Interessen der Kernbrennstoff-Kreislauf-Industrie und für einige Jahre auch der KKW-Betreiber wahrgenommen hat, sind das fast völlig neue Töne. Für die EVU galt seit je her das Primat der Bundesregierung.
Ungeteilte Unterstützung für die friedliche Kernenergienutzung war im Kreis der EVU eher die Ausnahme. Beträchtliche Hürden zur Erlangung atomrechtlicher Genehmigungen, die aggressive Anti-Nuklear-Stimmung in der Bevölkerung wie in den Medien und die politische Halbherzigkeit bis hin zur totalen Ablehnung haben dazu beigetragen. Gleichwohl haben die Sicherheit deutscher Kernkraftwerke und ihre Verfügbarkeit ein Ausmaß erreicht, das weltweit in der Führungsspitze liegt.
Viel zu leichtfertig und vorschnell wurde nach dem Regierungswechsel in 1998 den Forderungen der neuen Regierung nach einem Ausstieg stattgegeben – wohl in der Hoffnung, dass ein erneuter Regierungswechsel den Fortbestand der Kernkraftwerke wieder sichern kann. Den politischen Argumenten für den endgültigen Ausstiegsbeschluss in 2011 keine überzeugende Stirn zu bieten, war und ist unbegreiflich, zumal die Kanzlerin auf dem Katholikentag am 23.5.2008 erklärt hatte:
„Ich halte es nicht für sinnvoll, dass ausgerechnet das Land mit den sichersten Atomkraftwerken die friedliche Nutzung der Atomenergie einstellt. Deutschland macht sich lächerlich, wenn es sich dadurch ein gutes Gewissen machen will, dass Atom- und Kohlekraftwerke stillgelegt würden und gleichzeitig Strom, der aus denselben Energieträgern erzeugt worden ist, aus Nachbarländern importiert wird.“
Auch die EVU hätten für den Fortbestand ihrer Kernkraftwerke frühzeitig kämpfen, vor allem hätten sie die Kanzlerin beim Wort nehmen müssen. Nun ist es wahrscheinlich zu spät. Die weltweite Nutzung und Entwicklung der Kernenergie wird weitergehen – ohne Deutschland.