Vorteile kleiner, modularer Reaktoren (SMR)

Auf der ganzen Welt wird an den Technologien für kleine, modulare Reaktoren (SMRs) geforscht. Länder, die sich diesen Entwicklungen verwehren, laufen Gefahr, dass sie mittelfristig ins Hintertreffen geraten und den Anschluss verlieren. Diane Cameron, die der Nuclear Technology Development and Economics Division bei der OECD/NEA vorsteht, legt in einem Interview dar, wie sie die Wirtschaftlichkeit dieser neuen Reaktoren einschätzt. Dieses Interview wurde dem Bulletin 3 des Schweizer Nuklearforums entnommen [1].

Frau Cameron, welche Vorteile bieten SMRs und wofür sind sie speziell geeignet?

SMRs haben das Potenzial, einige der Herausforderungen im Energiebereich zu lösen, die sonst nur sehr schwer zu bewältigen sind. Wie große, leistungsstarke Reaktoren können auch SMRs Strom für das Netz erzeugen. Aber SMRs können auch an Orten eingesetzt werden, an denen ein leistungsstarker Kernreaktor nicht erforderlich ist oder nicht betrieben werden kann. Einige SMRs könnten für ein kleineres Stromnetz oder sogar für eine netzunabhängige Stromversorgung geeignet sein. Natürlich können sie auch Wärme liefern, zum Beispiel für die Schwerindustrie und den Bergbau. Sobald SMRs kommerziell verfügbar sind, könnten sie eine ganze Reihe neuer Möglichkeiten und Lösungen für einige dieser schwer dekarbonisierbaren Branchen schaffen.

Es ist wichtig zu verstehen, dass der Weltmarkt mehrere SMR-Konzepte unterstützen kann und wahrscheinlich auch wird. Wir glauben nicht, dass 80 SMRs auf den Markt kommen werden. Aber es wird Platz für verschiedene Typen von SMRs in verschiedenen Grössen und mit unterschiedlichen Kühlmittelaustrittstemperaturen und unterschiedlichen technischen Eigenschaften für verschiedenartige Anwendungen geben. Wir reden dabei nicht nur von der Stromerzeugung im Netz (on-grid), sondern auch vom Einsatz abseits des Netzes (off-grid) oder wenn die Stromversorgung über das Netz unzuverlässig ist (edge-of-grid). Zudem geht es um die mögliche Bereitstellung unterschiedlicher Austrittstemperaturen für industrielle Wärmeanwendungen und für Fernwärmenetze. Es gibt auch Länder, die den Einsatz von SMRs für den Antrieb von Handelsschiffen in Erwägung ziehen. Ich denke, dass wir für diese unterschiedlichen Anwendungen eine Handvoll verschiedener Technologien sehen werden. Schließlich könnten mehrere SMR-Auslegungen weltweit eingesetzt und erfolgreich vermarktet werden. Es geht also nicht um eine einzige siegreiche SMR-Auslegung für die ganze Welt, sondern eher um eine kleine Anzahl an Auslegungen für verschiedene Anwendungen.

Einige SMRs, wie der chinesische HTR-PM, sind bereits in Betrieb und der ACP100 befindet sich in Bau. Wann erwarten Sie, dass weitere SMRs auf den Markt kommen?

 Einer der ersten SMRs im Netzmaßstab, der in einem OECD-Land seinen kommerziellen Betrieb aufnehmen wird, ist der BWRX-300 von GE Hitachi Nuclear Energy am bestehenden Kernkraftwerksstandort Darlington in der Nähe von Toronto in Kanada. Dort hat die Betreiberin Ontario Power Generation bereits mit den Vorbereitungsarbeiten für den Bau begonnen und macht stetige Fortschritte auf dem Weg zu einem möglichen kommerziellen Betrieb bis 2029. Einige weitere SMRs in den USA könnten in einem ähnlichen Zeitrahmen liegen. Soweit zu den größeren Anlagen im Netzmaßstab.

Ich denke, dass wir auch einige Mikroreaktoren sehen werden, die für netzunabhängige Anwendungen gedacht sind – insbesondere für abgelegene Bergbaustandorte – und die schon bald demonstriert werden könnten. Wenn sie diese Hürde nehmen, so könnte die Nachfrage nach einer größeren Anzahl von ihnen an Industriestandorten sehr schnell wachsen und erheblich sein. Wir gehen davon aus, dass Mikroreaktoren bis Mitte/Ende der 2020er- Jahre demonstriert werden können.

Der Siedewasserreaktor BWRX-300 von GE Hitachi Nuclear Energy (GEH) wird einer der ersten kommerziellen SMR sein, der seinen Betrieb aufnimmt – dies voraussichtlich bis 2029. Er soll am bestehenden Kernkraftwerksstandort im kanadischen Darlington gebaut werden und gemäß Plänen durch drei weitere SMRs des gleichen Typs ergänzt werden. (Foto: GEH)

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Energieerzeugung aus SMRs finanziell attraktiv ist und sich SMRs auf dem Markt durchsetzen können?

Die erste Grundvoraussetzung ist eine Verpflichtung zur Dekarbonisierung. Unabhängig davon, ob es sich um eine politische oder gesetzliche Vorgabe oder nur um eine freiwillige Verpflichtung zur Dekarbonisierung handelt, zwingt dies zu einer ernsthaften Diskussion. Wenn man grundsätzlich keine Kohle mehr nutzen will, dann spielt es keine Rolle mehr, ob Kohle die kostengünstigste Option ist. Der erste Einflussfaktor für die Wirtschaftlichkeit von SMRs ist also der politische Rahmen, der die Dekarbonisierung erforderlich macht.

Dort wo Strom aus Wasserkraft in großem Umfang und zu niedrigen Kosten zur Verfügung steht, ist die Kernenergie vielleicht niemals wettbewerbsfähig. Wo es keine Wasserkraft gibt, könnte man auf variable erneuerbare Energien zurückgreifen. Aber man muss die variablen erneuerbaren Energien entweder durch Batterien, Speicher oder Kernenergie unterstützen. In diesem Zusammenhang kann die Kernenergie ein wichtiger Bestandteil des Energiemix werden.

Es gibt mehrere Ansätze, um die Wirtschaftlichkeit von SMRs zu verbessern. Ob dies gelingt, wird sich zeigen. Möglichkeiten zum Senken der Kosten von SMRs sind eine fabrikbasierte Produktion zumindest der großen Komponenten oder sogar des gesamten SMR, eine modulare Bauweise, vereinfachte Auslegungen, aber auch Kosteneinsparungen durch eine Serienproduktion. Die erste Anlage ist überall die teuerste. Und dann lernt man durch Erfahrung. Mit dem Wissen, das man bei der zweiten Anlage gewinnt, sinken die Kosten für die dritte Anlage und so weiter. Irgendwann kommt man in einen sehr effizienten Fertigungs- und Baurhythmus, aber das erreicht man nur, wenn man aufeinanderfolgende Projekte hat. Wenn man etwas baut und dann 20 Jahre lang nichts mehr baut, verliert man das Wissen und die Erfahrungen, und dann steigen die Kosten wieder an. In einigen Ländern, die in letzter Zeit keine Kernkraftwerke termingerecht und unter Einhaltung des Budgets gebaut haben, mussten und müssen wieder viele Dinge von Grund auf neu gelernt werden. Viele dieser Länder haben in der Vergangenheit zwar pünktlich und im Rahmen des Budgets gebaut, aber das war immer in einer Zeit aufeinanderfolgender Projekte. Zwischen 1975 und 1990 hat Frankreich zum Beispiel 52 neue Kernreaktoren gebaut und ans Netz gebracht. Aus wirtschaftlicher Sicht war es grossartig, dass sie es so schnell geschafft haben. Wir können es auch heute wieder lernen und die Kosten senken. Aber wir benötigen dafür einen programmatischen Ansatz.

Darüber hinaus gibt es digitale Innovation und fortschrittliche Fertigungsverfahren und all die wunderbaren Erkenntnisse, die in anderen Branchen im Hinblick auf Projektmanagement und Beschaffungsstrategien gewonnen wurden. Wir müssen all diese Erfahrungen einbringen und wiederholen.

[1] https://www.nuklearforum.ch