Mündliche Verhandlung wegen Freigabe von Dokumenten zur Kernenergiepolitik des BMWK

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Die Kerntechnische Gesellschaft e.V. veröffentlichte in ihrem Fachinfo 02/2024 vom 25.01.2024 dazu folgenden Sachstand:

Am 22. Januar 2024 fand die mündliche Verhandlung im Zusammenhang mit der Klage des Magazins Cicero auf Freigabe von Dokumenten des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klima (BMWK) zur Entscheidung hinsichtlich des Verzichts auf die Möglichkeit eines Weiterbetriebs von Kernkraftwerken zur Sicherstellung der Energieversorgung nach dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 statt, wie ausführlich die Berliner Zeitung berichtete. Der Cicero-Redakteur Daniel Gräber klagt seit 2022 auf Freigabe der entscheidungsrelevanten Unterlagen auf Grundlage des Umweltinformationsgesetzes (UIG) [1] sowie des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) [2]. Bislang verweigert das BMWK die Herausgabe des Großteils der Dokumente, die beantragt wurde.

Die Juristen des BMWK bringen in der Verhandlung verschiedene Argumente vor, die zu großen Teilen vom Richter zurückgewiesen wurden. Es wurde etwa geltend gemacht, dass die Akten des Ministeriums nicht freigegeben werden dürften, da Energie-Engpässe wie im Februar 2022 zukünftig nicht ausgeschlossen wären. Es könnte ohne die Atomkraftwerke wieder zu chaotischen Verhältnissen auf dem Energiemarkt in Deutschland kommen. Daher sei die damalige Notlage auf künftige Krisen übertragbar. Als weiteres Argument wurde vorgebracht, dass eine Veröffentlichung der geheimen Dokumente vertrauliche Beratungen zur Kernenergie oder zur Versorgungssicherheit zwischen Deutschland und anderen Staaten gefährden könne. Deutschland habe einen eigenen Weg mit dem Atomausstieg beschritten. Dieser müsse gegenüber Medien und anderen europäischen Staaten verteidigt werden.

Ein Kollege aus dem eigenen Haus relativiert die Argumentation hinsichtlich einer Energiekrise und erklärt, dass ein Energieengpass nicht um die nächste Ecke lauere, aber eine neuerliche Energiekrise nicht ausgeschlossen sei. Er bringt wiederum die Argumentation vor, dass sich die Bundesregierung zu ihrer kernenergiepolitischen Entscheidung jeden Tag abstimmen und positionieren müsse, etwa gegenüber der Unionsfraktion im Bundestag. Diese stellte über zehn Kleine Anfragen zum Ende der Atomenergienutzung. Darüber hinaus hätten sich auf der Klimakonferenz COP28 medienwirksam mehrere Staaten zusammengeschlossen, die für mehr Atomkraft plädierten. Die Bundesregierung müsse aber den Atomausstieg in der Rückschau und in der Vorschau verteidigen. Auch sei nicht auszuschließen, dass einzelne in den Streckbetrieb aufgenommene Anlagen wieder in die Diskussion Eingang fänden. Letztere Argumentation überzeugte hinsichtlich der Frage der Dokumentenfreigabe den Richter aber nicht, denn der Antrag des BMWK zum Drittbeteiligungsverfahren, in dem vor Freigabe von Dokumenten zuerst relevante Dritte befragt werden müssten – in diesem Fall die Betreiber der Kernkraftwerke – war abgewiesen worden. Geschäftsgeheimnisse der Unternehmen aber seien von einer Dokumentenfreigabe nach Aussage der Juristen des Ministeriums eher nicht betroffen. Die Frage des Richters, ob die Abschaltung der Kernkraftwerke umgekehrt werden könnte, konnten die Vertreter des Ministeriums allerdings nicht beantworten.

Zu den im Verfahren strittigen Dokumenten gehört ein Anschreiben im Rahmen eines Gesetzesentwurfs, Briefwechsel mit dem Kanzleramt, Sprechzettel für den Regierungssprecher Steffen Hebestreit sowie die Dokumentation von Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Ministerien zum Streckbetrieb der Kernkraftwerke. Die Vertreter des Ministeriums sicherten in der Verhandlung bereits die Freigabe von rund 75 Prozent der strittigen Dokumente zu, wie in einem neuen Dokumentenverzeichnis des Ministeriums ersichtlich. So geht es bei dem Urteil, das in zwei Wochen erwartet wird, noch um ein Viertel der zur Freigabe angeforderten Dokumente. Bei einem Gerichtstermin im vergangenen September hatte der Richter das vom BMWK vorgelegte Dokumentenverzeichnis noch für unvollständig gehalten.

Mit den freigegebenen Dokumenten wird sich die Entscheidungsfindung zur Frage eines Weiterbetriebs von deutschen Kernkraftwerken innerhalb der Bundesregierung rekonstruieren und ihre Motivation besser und unabhängig von regierungsamtlichen Aussagen bestimmen lassen. Die in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumente erwecken allerdings entkoppelt von der Frage der Freigabe oder Geheimhaltung einzelner Dokumente den Anschein, dass das Ministerium insbesondere die argumentative Vertretung des deutschen Atomausstiegs im In- und Ausland sowie die Verhinderung jeder offenen Diskussion über Kernenergie in Deutschland als seine vordringliche Aufgabe ansieht. Es erscheinen im BMWK Parteipositionen und Staatsaufgaben, Partei- und Staatsraison in bedenklicher Weise vermischt zu sein, ohne rechtes Bewusstsein dafür, dass der Regierungsapparat nicht in erster Linie einzelne Parteiinteressen, sondern die Interessen des Volkes und des Staates zu wahren hat.

In der Sache Kernkraftausstieg selbst können bemerkenswerte Äußerungen des Vorsitzenden der Internationalen Energieagentur, Fatih Birol, weiterhelfen. In einem am 23. Januar 2024 im Handelsblatt veröffentlichten Interview erklärte Birol, der sich in den vergangenen Jahren gegenüber der deutschen Energiepolitik insbesondere bei Auftritten in Deutschland immer entweder zu einzelnen Aspekten wie dem Ausbau der erneuerbaren Energien lobend oder aber betont diplomatisch ausgedrückt hat, wörtlich: „Auch der Ausstieg aus der Kernenergie war ein historischer Fehler. Ich respektiere die Entscheidung, aber sie hat negative Auswirkungen auf das Stromangebot und die Möglichkeiten, die Emissionen zu verringern. Deutschland hätte wenigstens die noch verbliebenen AKW am Netz lassen können.“ Und weiter: „Wir erleben auf der ganzen Welt ein Comeback der Kernkraft. […] Wenn wir das globale Energiesystem betrachten, sehen wir, dass die Erneuerbaren einen Großteil ausmachen – aber die Nuklearenergie kommt wieder zurück.“, sowie: „Wenn ich mich entscheiden müsste zwischen dem Bau neuer Gaskraftwerke und der Möglichkeit, bereits bestehende Atomkraftwerke am Netz zu halten, würde ich mich für Kernkraftwerke entscheiden.“.

 

[1] https://www.gesetze-im-internet.de/uig_2005/BJNR370410004.html

[2] https://www.gesetze-im-internet.de/ifg/