‘Die Energiewende’ – Vorreiter oder Geisterfahrer?

Von Dr. Jürgen Schulz, 28.6.2024 

Der Norweger Jan Emblemsvåg veröffentlichte im Mai 2024 im ‘International Journal of Sustainable Energy’ eine ausführliche Studie über die deutsche Energiewende [1]. Die historischen Wurzeln für diese Energiepolitik sind in der deutschen Anti Kernkraft Bewegung der 70er und 80er Jahre verankert. Die Ziele der Bundesregierung sind klar formuliert: ‘Deutschland soll bis 2045 klimaneutral werden. Bis 2030 soll sich der Anteil der Erneuerbaren Energien fast verdoppeln – ausgehend vom Jahr 2021. Dafür muss sich die Ausbaugeschwindigkeit sogar verdreifachen [2]. Das Bundesverfassungsgericht hat am 29. April 2021 Klimaschutz sogar zum deutschen Staatsziel erklärt [3a, b].

Jan Emblemsvåg fasst die 3 Schlüsselkomponenten wie folgt zusammen:

1. Reduziere und entferne Kernenergie

2. Reduziere und entferne fossile Energiequellen

3. Erweitere umweltfreundliche Energiequellen, die definiert sind als Windenergie, Solarenergie und Bioenergie

Fragestellungen

Die Studie zieht die Bilanz der deutschen Energiepolitik von 2002 bis 2022 und vergleicht sie mit einer hypothetischen, alternativen Energiepolitik, die Kernenergie eingeschlossen hätte. “What if German had invested in nuclear power? A comparison between German energy policy the last 20 years and an alternative policy of investing in nuclear power” (“Was wäre, wenn Deutschland in Kernenergie investiert hätte? Ein Vergleich zwischen Deutschlands Energiepolitik der letzten 20 Jahre und einer alternativen Politik, die in Kernenergie investiert hätte”) [1].

Nach wissenschaftlichen Methoden wird dabei folgenden Fragen nachgegangen:

1. Wie hoch waren die Kosten?

2. Was hat Deutschland in Bezug auf die Reduktion von Emissionen von Treibhausgasen erreicht?

Es stehen jedoch fast noch interessantere Fragen versteckt im Raum:

1. Warum beschäftigt sich jemand im Ausland mit der deutschen Energiewende?

2. Warum werden die Ergebnisse in einem internationalen wissenschaftlichen Journal veröffentlicht?

Deutschland zählt

Was Deutschland macht, ist wichtig. Es ist wichtig für Deutschland selbst, aber auch für seine europäischen Nachbarländer, und es ist sogar wichtig für die Welt. Was Deutschland macht, hat Konsequenzen, denn es ist das wirtschaftlich größte Land der EU. Deutschland hat sich deshalb entschieden voranzugehen, um Vorbild zu sein [4].

Made in Germany’ ist zu einem weltweiten Qualitätsbegriff geworden. Seine Autoindustrie hat seit Jahrzehnten internationale Maßstäbe gesetzt, sie war Vorreiter und Vorbild zugleich. ‘Vorsprung durch Technik’ wurde zu einem international stehenden Begriff. Auch in der Kernenergieforschung war Deutschland eine führende Kraft in der Welt.

In den Nuller Jahren wurde beschlossen, die Kernenergie aufzugeben, seit Fukushima im Jahre 2011 sogar mit beschleunigtem Tempo. Im April 2023 war es schließlich so weit, die letzten 3 verbliebenen Kernkraftwerke wurden in Deutschland abgeschaltet. Dies geschah freiwillig und ohne Druck von außen. Es war der Wunsch der gewählten Regierungen und Bevölkerung, während dieses Zeitraums aus der Kernenergie auszusteigen. Es war gewissermaßen ein Druck von innen, basierend auf verständlichen Ängsten gegenüber den inhärenten Gefahren dieser Technologie, wie Missbrauch, Reaktorunfälle und dem Endlagerproblem.

Der Wunsch nach Transformation

Während dieses Zeitraums reifte ein neuer Wunsch im ganzen Land, nämlich Vorreiter in sogenannten ‘Erneuerbaren Energien’ zu werden: Windenergie, Solarenergie und Bioenergie. Der Begriff ‘Erneuerbare Energie’ ist ein Oxymoron, denn Energie kann weder erzeugt und schon gar nicht erneuert werden. Das ist ein elementares physikalisches Grundgesetz. Energie kann immer nur von einer Form (z.B. Materie, Bewegung) in eine andere Form (z.B. Wärme, Elektrizität) umgewandelt werden. Der Begriff ‘Die Energiewende’ ist daher zwar auch etwas unglücklich gewählt. Aber der Begriff bezeichnet die Transformation‘weg‘ vom Verbrennen von Materie (z.B. fossilen Brennstoffen, Uran, Thorium), ‚hin‘ zur Umwandlung von Windenergie (Bewegungsenergie) und Sonnenenergie (elektromagnetische Strahlung) in elektrische Energie.

Diese Transformation, diese Wende, ist so fundamental und so radikal, aber sie wurde trotzdem von Deutschland angestrebt. Sie wurde, und wird, rigoroser verfolgt als in jedem anderen Land der Welt. Sie trägt in ihrer Form absolutistische Züge, Abweichungen werden nicht geduldet, stehen nicht mehr zur Diskussion. Die Transformation wird gar als alternativlos bezeichnet.

Ein völlig neues System von Null aufzubauen ist das eine. Ein bestehendes System abzubauen und gleichzeitig ein neues aufzubauen ist etwas grundlegend anderes. Worin liegt die Wertschöpfung, die die Kosten für solch eine Transformation rechtfertigt? Sie liegt sicherlich indirekt darin, dass die Emissionen von Treibhausgasen eingespart werden.

Die Transformation in Zahlen: Energie

In offiziellen Zahlen sind recht einfach zugänglich [1, 5]:

2002 – Kernkraft – 156,3 TWh; ‘Erneuerbare’ – 0,0 TWh

2022 – Kernkraft – 32,8 TWh; ‘Erneuerbare’ – 176,8 TWh

Die Transformation scheint ‘geglückt’: Die 2002 produzierte Kernenergie wird 20 Jahre später vollständig durch ‘Erneuerbare’ ersetzt. Dies erforderte eine gewaltige Kraftanstrengung an Kapital, Rohstoffen aus aller Welt, Flächen im eigenen Land und vieles mehr [6a, b, c].

Von 1962 bis 2023 waren in Deutschland insgesamt 37 Kernkraftwerke (außer Forschungsreaktoren) in Betrieb [7]. Die durchschnittliche Lebensdauer der Kernkraftwerke betrug über 30 Jahre. Dagegen stehen 2022 etwa 29000 Windräder, mit entsprechend hohem Flächenverbrauch und Rohstoffverbrauch, um nur 2 Aspekte zu nennen; deren durchschnittliche Lebensdauer darf realistisch mit 20 Jahren kalkuliert werden. Der aktuelle Stand [5]:

31.12.2023 – installierte Kernenergie: 0 GW

31.12.2023 – installierte Windkraftleistung: 69 GW

2023 – Zubau von installierter Windkraftleistung: 3 GW

Die folgende Grafik vom Fraunhofer Institut [5] illustriert diese Transformation sehr anschaulich: 

Bei diesem Tempo werden 23 Jahre benötigt, um die 2023 bestehende Kapazität zu verdoppeln. Natürlich haben bis dahin die heute bestehenden Windräder ihre Lebensdauer überschritten und müssen währenddessen ersetzt werden.

Kernenergie ist nachhaltig

Deutschland will Emissionen von Treibhausgasen reduzieren. Die Taxonomie der EU besagt, dass Kernenergie nachhaltig ist [8]. Kernenergie ist nahezu emissionsfrei, bzgl. Treibhausgase. Auch der Weltklimarat, der IPCC (International Panel of Climate Change), wertet Kernenergie als emissionsarme Energiequelle [9]. Deutschland jedoch lehnt das ab [10a], der WWF (World Wildlife Fund) übrigens auch [10b].

Es ist müßig darüber zu streiten, wer Recht hat in seiner Bewertung. Beide Sichtweisen haben ihre Berechtigung, entscheidend ist jedoch etwas anderes. Entscheidend ist, dass es Richtlinien aus obersten Instanzen gibt, an denen man sich orientieren kann, aber nicht muss.

Die individuelle Bewertung determiniert jedoch den Weg, den man einschlägt. Die Ablehnung der Kernenergie führt zwangsläufig zu der Suche nach einem Ersatz. Unter den G20-Staaten haben sich nur Deutschland, Italien und Australien den Weg ohne Kernkraft ausgesucht, wobei Italiens Melonie-Regierung sich erneut für die Kernenergienutzung ausgesprochen hat. Während des letzten Weltklima-Gipfels 2023 in Dubai, bildeten 22 Staaten, darunter die USA, Großbritannien und 11 EU Staaten, ohne Deutschland, eine Atom – Allianz [11]. Diese Staaten beschlossen, die Kernenergie weltweit zu verdreifachen.

Man ist sich mehrheitlich einig, in der EU, dem IPCC, der OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development) und der Atom – Allianz: das sogenannte 1,5 0C – Ziel ist nur mit Kernenergie zu erreichen, wenn man gleichzeitig den Wohlstand bewahren will. Weitere Studien [12] kommen zum selben Ergebnis, eine davon stammt von der DPG (Deutsche Physikalische Gesellschaft) [13]. All diese Staaten setzen auf einen Mix von Energiequellen, sie verschieben dabei lediglich die Gewichtung der einzelnen Quellen, und zwar zugunsten von Kernenergie. Die Gewinnung von bezahlbarer Energie korreliert mit Wohlstand. Die Erhaltung von Wohlstand muss daher bei jeder Transformation berücksichtigt werden. 

Deutschlands Optionen [1]

Wie könnte ein Kompromiss geschaffen werden aus der Notwendigkeit die Klimaziele zu erreichen, und dem Wunsch aus fossiler Energie und Kernenergie auszusteigen? Kernenergie wird jedoch international als Schlüsseltechnologie zum erreichen der globalen Klimaziele bewertet. Also, was tun?

1. Erhalt des Bestandes an Kernenergie mit gleichzeitigem Ausbau von Wind und Solarenergie und/oder

2. Ausbau von Kernenergie, um aus Kohle und Gas auszusteigen.

Deutschland entschied sich gegen beides. Als Staat unter Staaten ist Deutschland alleine unterwegs, entweder als Vorreiter oder Geisterfahrer. Italien und Australien steigen vorerst nicht aus fossilen Energien aus. Innerhalb Deutschlands jedoch sind sich alle einig, sowohl die Regierung als auch die Gesellschaft.

Bertrand Russell sagte einmal: “Auch wenn alle einer Meinung sind, so können sich alle irren.” Und Goethe sagte: “Nichts ist so widerwärtig als die Majorität, denn sie besteht aus wenigen kräftigen Vorgängern, aus Schelmen, die sich accomodieren, aus Schwachen, die sich assimilieren, und der Masse, die nachtrollt, ohne nur im mindesten zu wissen was sie will.” Beide Zitate treffen auf Deutschland zu, je nach Kontext.

Aber die Welt braucht Vorreiter. Die berühmtesten Naturwissenschaftler sind diejenigen, die neue Wege zuerst gedacht haben, und sie dann gegangen sind. 

Made in Germany

Warum macht Deutschland es so, wie es es macht? Man ist sich innerlich einig, aber äußerlich anders als alle anderen? Die Regierung wiederholt öffentlich und ständig, dass man Vorreiter und Vorbild in der Welt sein möchte. Man möchte Zeichen setzen, so dass andere Länder dem deutschen Weg folgen. Ist man da auf dem richtigen Weg?

Der gewählte Weg ist einzigartig, und daher hat er sich zu einem neuen, stehenden internationalen Begriff entwickelt:Die Energiewende. Als Deutschland beschloss auch aus der Kohle auszusteigen, da erschien 2019 ein Artikel im ‘Wall Street Journal‘ mit dem Titel ‘The World’s Dumbest Energy Policy’ (‘Die dümmste Energiepolitik der Welt’) [14].

2021 wurde eine neue Regierung gewählt, die sich selbst ‘Fortschrittsregierung’ getauft hat. Was die Energiepolitik angeht, hat sie Die Energiewende’ beschleunigt. Es überrascht nicht, dass das internationale Aufmerksamkeit erregt.

Die Transformation in Zahlen: Treibhausgase

Jan Emblemsvåg zieht Bilanz aus 20 Jahren ‘Die Energiewende[1]:

1. Die Reduktion von Treibhausgasemissionen von 2002 – 2022 betrug 25%. 2002 betrugen die Emissionen durch fossile Energien 999 Millionen Tonnen (CO2, CH4, N2O), 2022 betrugen sie 746 Millionen Tonnen. (siehe Grafik [15]).

2. Die geschätzten nominalen Kosten betrugen EUR 386 Milliarden, plus Subventionen in der Höhe von EUR 310 Milliarden, insgesamt Euro 696 Milliarden. 

Für sich isoliert betrachtet, und basierend auf den obigen Zahlen, ist man geneigt ‘Die Energiewende’ als Erfolg zu bewerten. Erfolg ist jedoch immer relativ. Zum Vergleich untersucht Jan Emblemsvåg daher die Frage, was das Resultat hätte sein können, wenn Deutschland seine 2002 bestehende Kernenergie erhalten oder sogar ausgebaut hätte [1]:

1. Reduktion von Treibhausgasemissionen von zusätzlichen 73%.

2. Die geschätzten Kosten hätten etwa die Hälfte betragen im Vergleich zum Weg, der tatsächlich eingeschlagen wurde.

Das Fazit seiner Kalkulationen spricht für sich selbst. Es ist ernüchternd. Man fragt sich unwillkürlich: Kann das stimmen? Ja, es kann.

Der Bundesrechnungshof

Der Bundesrechnungshof kommt 2024 zu folgenden Ergebnissen [16]:

1. Die Ziele für den Ausbau der Windenergie werden in absehbarer Zeit nicht erreicht.

2. Der Zeitplan für Backup-Kraftwerke wird nicht eingehalten werden können.

3. Der zwingend notwendige Netzausbau hinkt 7 Jahre hinterher (siehe Grafik).

4. Die Stromversorgung in Deutschland ist gefährdet.

5. Die Bundesregierung kann die Systemkosten der Energiewende nicht benennen, und sie kann nicht definieren, was man unter einer bezahlbaren Stromversorgung versteht.

6. Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist mit negativen Umweltwirkungen verbunden: knappe Flächen, knappe Ressourcen werden in Anspruch genommen, die biologische Vielfalt wird beeinträchtigt.

7. Die Bundesregierung kann keine Daten vorlegen über die Umweltbelastungen durch ‘Die Energiewende’. 

Zusätzlich zu der Analyse von Jan Emblemsvåg tauchen neue Aspekte auf: Umweltbelastungen (Anm.: im In- und Ausland): Sie sind eine wichtige Dimension dieser Transformation und müssen zwingend im Vordergrund stehen. Vermeidung von CO2 – Emissionen, dabei jedoch die Umwelt zu zerstören wäre absurd. Neue Ergebnisse bzgl. Artensterben tauchen mittlerweile gehäuft auf [17].

Jeder einzelne Punkt ist schon für sich genommen eine sehr ernste Kritik an der Energiewende, aber in der Gesamtheit stellen sie der Regierung ein ungenügendes Zeugnis aus. Besonders hervorzuheben sind auch die Punkte 5 und 7.

Jedes Projekt in jeder Firma verlangt nach einer Kalkulation der Kosten (Kapital, Rohstoffe, Fachkräfte, Umweltbelastung) sowie Messgrößen und Zeitabschnitte, um in der Lage zu sein, den Fortschritt eines Projekts bewerten zu können. Der Bundesrechnungshof [16] und Jan Emblemsvåg [1] attestieren der Bundesregierung, dass keine dieser Kriterien erfüllt ist. Die Energiewende fischt also im Trüben.

Variabilität und Energiedichte von Wind und Sonne

Um das Dunkel über die Probleme mit ‘Erneuerbaren Energien’ zu lichten, muss man auf die Kernprobleme der ‘Erneuerbaren Energien’ schauen: “Der Wind weht nicht immer und die Sonne scheint nur tagsüber.” Das wird immer wieder gesagt, auch von Befürwortern dieser Energiequellen. Es sind fundamentale Weisheiten und jeder weiß es, aber welche Konsequenzen haben sie?

Über 90% der 8760 Stunden im Jahr liefern sehr wenige Kernkraftwerke Strom, und zwar viel Strom [5]. Dagegen liefern Offshore – Wind nur 35-40%, Onshore – Wind nur etwa 20% und Solar nur etwa 10% des Jahres Strom (siehe Grafiken) [5]. 

Die Energiedichte, die Energiemenge pro Volumen- oder Masseneinheit, von Wind und Sonne ist der von fossilen Brennstoffen und Uran um Größenordnungen unterlegen [6a,b,c]. Außerdem hängt Windenergie stark von der Wind-geschwindigkeit ab, d.h. Verdopplung der Windgeschwindigkeit bedeutet Verachtfachung der Leistung. Das erklärt den notwendigen gigantischen Materialaufwand der ‘Erneuerbaren’ und deren ungleiche geographische Verteilung z.B zwischen Schleswig-Holstein und Bayern : 1000e von Windrädern und PV – Panelen müssen aufgestellt werden, um die inhärenten physikalischen Nachteile von Wind und Sonnenenergie, die geringe Energiedichte, zu überwinden. Zahlen für Deutschland [18]:

2002 – 13759 Windkraftanlagen

2022 – 28443 Windkraftanlagen

Aus diesen Gründen fielen Windmühlen der Industriellen Revolution zum Opfer. Der Variabilität von Sonne und Wind ist jedoch noch ein weiterer, viel wichtigerer Aspekt, geschuldet: ‘Die Energiewende’ benötigt Backups. 

Backups

Zu jeder Zeit muss eine Frequenz von 50Hz im Stromnetz gewährleistet sein. Der schrittweise Ausstieg aus der Kernenergie und die vermehrte Einspeisung von Strom aus ‘Erneuerbaren Energien’ wirken sich auf die Lastflüsse im Netz aus und führen dazu, dass Netzbetreiber häufiger als bisher Redispatch-Maßnahmen, also Eingriffe um Stromnetze vor Überlastung zu schützen, vornehmen müssen [19]. Bisher war russisches Erdgas als Backup gedacht, das allerdings nur temporär, bis genügend Speicherkapazität für Strom vorhanden ist. Durch den Ukraine-Krieg musste diese Strategie geändert werden.

Stromspeicher ist ein großes Thema für sich und würde hier den Rahmen sprengen. Wichtig ist festzuhalten, dass selbst die Regierung zugibt, dass es keine Speicher mit ausreichender Kapazität gibt, und es auch nicht in absehbarer Zeit geben wird. Die Materialschlacht kann hier weitergetrieben werden, mit den entsprechenden Konsequenzen für die Volkswirtschaft und die Umwelt. Wasserstoff wird durch das soeben verabschiedete Wasserstoffbeschleunigungs-gesetz als Speicherform der Zukunft weiter ausgebaut [20]. Es muss jedoch mehr Energie aufgewendet werden, um Wasserstoff herzustellen, als bei seiner Verbrennung wieder freigesetzt wird. Das ist nicht nur eine energetische Verlustrechnung [21a, b].

Es bleibt die Möglichkeit des Stromhandels mit den europäischen Partnerländern. Und genau das ist passiert, Deutschland ist zum Stromimporteur geworden (siehe Grafik) [22]. 

Der gigantische Mehrbedarf an Rohstoffen und Fläche treibt ‘Die Energiewende’ jetzt schon an die Grenzen der Belastbarkeit für Ökonomie und Umwelt. Ist es ökologisch und moralisch vertretbar, Wüsten und Meere in aller Welt in Beschlag zu nehmen, um den Energiebedarf Deutschlands zu decken, nur weil Deutschland das ineffizienteste Energiesystem für sich gewählt hat?

Könnte es jedoch möglich sein, wenn alle Hürden beseitigt würden, dass ‘Die Energiewende’ trotzdem noch funktionieren könnte? Oder anders gefragt: Kann Deutschland seinen Energiebedarf decken, alleine durch ‘Erneuerbare Energien’? Nein, denn die Physik ist die Hürde, und sie kann nicht weggezaubert werden [6,a,b,c].

Historische Grossprojekte

Gab es erfolgreiche Riesen-Projekte in der Vergangenheit, wo übergeordnete Ziele jedes Mittel rechtfertigten, um sie zu verwirklichen? Ja, die gab es. Das ‘Manhattan Projekt’ und der Flug zum Mond fallen jedem sofort ein. Beide begründen sich auf harte Physik, im ersten Fall basierte das Projekt, simpel ausgedrückt, auf einer einzigen Formel (E = mc2) und einem erfolgreichen Experiment (von Otto Hahn, Fritz Strassmann, Lise Meitner). Darum waren sie erfolgreich.

Der Gedanke, die Idee für diese Projekte, erschien absurd, ebenso der Aufwand an Kapital, Rohstoffen und Gehirnschmalz der besten Wissenschaftler der Welt. Aber sie wurden als Projekte von außerordentlicher Bedeutung betrachtet, und sie erreichten ihr Ziel.

Zur Erinnerung, der Begriff ‘Erneuerbare Energie‘ verstößt gegen ein einziges physikalisches Gesetz, den 1. Hauptsatz der Thermodynamik. Es besagt, hier angewendet folgendes: Wind wird beim Passieren durch ein Windrad Bewegungsenergie entzogen und in Wärme (Abwärme an die Umwelt) und Elektrizität umgewandelt; der Wind ‘hinter’ dem Windrad ist um diesen Energiebetrag geringer. Dasselbe Prinzip gilt für Solarenergie. Nichts wird erneuert. ‘Brain or brawn’ heißt es so schön im Englischen, ‘Gehirn oder Muskeln’. ‘Die Energiewende’ ist nichts anderes als ein gigantischer Kraftakt, ohne Aussicht auf Erfolg. 

EU Nachbarn

Die Konsequenzen der Transformation werden jedoch immer spürbarer. Deutschland hat die höchsten Stromkosten der Welt, interessanterweise zusammen mit Dänemark, dem einzigen Land, das einen noch höheren Anteil an ‘Erneuerbaren Energien’ hat.

Einige Aspekte, auf die der Bundesrechnungshof seine Finger legt, zeigen ebenfalls erste negative Konsequenzen:

• Schweden [23] hat seine Pläne, Stromnetze nach Deutschland auszubauen, zurückgezogen. Die ‘Hansa Powerbridge’ wird nicht gebaut. Schweden hat immer grösser werdende Bedenken an die Regelbarkeit des deutschen Stromnetzes.

• Die Niederlande [24] wollen die staatliche Firma Tennet verkaufen, weil sie nicht weiter Kapital in ein immer ineffizienter werdendes Stromnetz in Deutschland versenken will. Verhandlungen mit der Bundesregierung zur Übernahme verliefen bis jetzt ergebnislos aufgrund fehlenden Geldes in der Staatskasse.

Damit ist der Wunsch nach ‘Deutsche Netz AG’ vorerst gescheitert. Michael Kruse [24], energiepolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag kommentierte dies mit den Worten: „Wenn nicht mal mehr demokratische Staaten bereit sind, unter den aktuellen Rahmenbedingungen in das Netz in Deutschland zu investieren, dann sagt das viel aus über das aktuelle Investitionsklima in Deutschland und warum es dringend eine Wirtschaftswende braucht.

• Spanien [25] vollzieht eine energiepolitische Wende. Spanien plant den Rückbau von 7500 Windkraftanlagen. Als Hauptgrund wird das Recycling Problem angegeben, insbesondere für die glasfaserverstärkten Rotorblätter. Diese Achillesferse nährt Bedenken an die Nachhaltigkeit von Windkraft.

Die Alarmsignale erscheinen also von allen Seiten. Die Regierung wundert sich, dass notwendige Investitionen nicht getätigt werden, bzw. existierende Pläne geändert werden. Es fehlt an Investitionen, weil das ‚Energiewende Schiff’ auf Kurs für immer stürmischer werdende Fahrwasser ist. Es braucht keine Wirtschaftswende, stattdessen braucht es eine Energiewende von der Energiewende.

DPG Studie

Wie bereits oben angedeutet, hat die DPG (Deutsche Physikalische Gesellschaft) eine Studie veröffentlicht über ‘Klimaschutz und Energieversorgung[13]. Es soll an dieser Stelle näher darauf eingegangen werden.

In Punkt 8 der Zusammenfassung stehen 10 Erkenntnisse zur Klimapolitik. Unter Punkt 8 ‘Plädoyer für das Weiterlaufen der Kernkraft’ steht: “Wie oben gezeigt, stellt das geplante Abschalten der Kernkraftwerke die bei weitem grösste Trend verändernde Massnahme dar, die durch die Summe aller anderen Einzelmassnahmen nicht kompensiert werden kann (es fehlt ein Faktor zwei). Hatte man bisher gehofft, genügend Spielraum für eine Kompensation der wegfallenden CO2 – freien Strommengen aus Kernkraft zu haben, so muss man heute einsehen, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Vielmehr ist es geboten, die Abschaltpläne zeitlich so zu strecken, wie es die Realisierungsmöglichkeiten der CO2 – Reduktion erlauben. Dies gilt unabhängig davon, ob die Kernkraft eine Renaissance erlebt oder ganz verschwindet. Das Abschalten laut Plan würde alle bisherigen Anstrengungen zur CO2 – Verminderung sinnlos erscheinen lassen.”

Ziele und Konsequenzen

Nimmt man hypothetisch an, dass das 1,5 0C – Ziel ein Ziel ist, das alle Mittel heiligt, und nimmt man an, dass die Reduktion von Treibhausgasen erforderlich ist, um es zu erreichen, dann muss der Blick auf die Karte der Treibhausgas-emissionen Europas ernüchternd sein (siehe Grafik) [26]. Nur Polen, Tschechien, Bulgarien und Griechenland haben eine noch schlechtere CO2 – Bilanz als Deutschland. Aber das wird sich ändern, denn einige von Ihnen setzen in Zukunft auf emissionsfreie Kernenergie.

Die Folgen der deutschen Energiepolitik werden immer spürbarer. Deutsche Unternehmen verlagern ihre Produktion immer mehr ins Ausland. Ausländische Unternehmen investieren immer weniger in Deutschland. Deutschland befindet sich in einer der längsten Industrieflauten der vergangenen 70 Jahre. Vor allem die enorm gestiegenen Energiekosten belasten die Produktion [27]. 

Viel wichtiger jedoch, und etwas versteckt, ist folgende Erkenntnis: Das, was Deutschland an fossilen Brennstoffen nicht verbrennt, wird anderswo in der Welt verbrannt. Hans-Werner Sinn erklärt diesen Sachverhalt und diese ‘Energiewende ins Nichts’, seit Ende der Nuller Jahre [28]. Erst heute, 2024, sickert allmählich die Erkenntnis durch, dass er Recht hatte.

Ein Produkt, das Deutschland nicht mehr herstellen will, um seine CO2 – Bilanz zu verbessern, aber dennoch konsumieren will, muss zwangsläufig woanders in der Welt hergestellt werden. Korreliert man CO2 – Emissionen von Ländern mit seinem Bruttosozialprodukt, so wird sofort klar, dass z.B. ein Kühlschrank, hergestellt in Deutschland, einen geringeren CO2 – Fußabdruck hinterlässt als derselbe Kühlschrank, hergestellt in Polen (Anm.: Miele verlagert seine Produktion von Deutschland nach Polen).

Die Energiewende’, führt also indirekt sogar zu höheren CO2 – Emissionen in der Welt (siehe Grafik) [26].

Deutschland schöpft sein Potential nicht aus. Sogar das Gegenteil ist der Fall: Deutschland wickelt gerade seine eigene Wirtschaft ab, und es bewirkt damit genau Null Reduktion von globalen CO2-Emissionen. Diese Selbstzüchtigung nützt also niemandem.

Verantwortung

Die 2021 neu gewählte Bundesregierung ignoriert die Erkenntnisse der Physik. Sie ignorierte auch die Ergebnisse, der 2022 von ihr selbst in Auftrag gegebenen Studien zur Laufzeitverlängerung der noch verbliebenen Kernkraftwerke [29]. Sie handelte, streng genommen, gegen die Interessen des eigenen Landes. Sie gefährdet damit die deutschen Klimaschutzziele, die eigene Wirtschaft und damit die Stabilität in Europa. 

Als reiches Industrieland hat es eine besondere Verantwortung, es kann und muss sein Potential voll ausschöpfen. ‚Die Energiewende‘ stellt eine immer größer werdende Last dar für Deutschland selbst, seine europäischen Nachbarn und die Umwelt. Ein Vorreiter ist zum Geisterfahrer mutiert. Er ist weiterhin alleine unterwegs, mit dunklen Gewitterwolken im Anmarsch.

Eine brandneue, von der Bundesregierung beauftragte Expertenkommission, beurteilt alle Dimensionen von ‘Die Energiewende’ mit Farben (rot = grosser Handlungsbedarf, gelb = Handlungsbedarf, grün = auf Kurs): Energieversorgung (gelb), Versorgungssicherheit (gelb), Energiesicherheit (rot), Preiswürdigkeit / Wirtschaftlichkeit (gelb), Umweltverträglichkeit (gelb), Gesellschaftliche Aspekt (gelb) [30]. Man darf sagen, dass auch diese Bewertung für sich spricht. Diese Strategie, eine Mischung aus ‘mit-dem-Kopf-durch-Wand’ und ‘Vogel Strauss-Taktik’ hat noch nie irgendjemanden genutzt. Es wird Zeit anzuhalten, sich umzuschauen, aus seinen Fehlern zu lernen. Erst wenn man wieder zur Vernunft kommt, kann man wieder zum Vorbild zu werden, dann geht auch die Sonne wieder auf. 

Quellenverzeichnis:

[1] What if Germany had invested in nuclear power? https://www.tandfonline.com/ doi/full/10.1080/14786451.2024.2355642

[2] https://www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte/klimaschutz/faq-energiewende- 2067498

[3a] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/ 2021/03/rs20210324_1bvr265618.html;

[3b] Fritz Vahrenholt, Sebastian Lüning: Unanfechtbar – Der Beschluss des Bundesverfassungsgericht zum Klimaschutz im Faktencheck

[4] https://www.nationalgeographic.de/umwelt/energiewende-vorbild-deutschland

[5] https://www.ise.fraunhofer.de/de/presse-und-medien/presseinformationen/ 2024/oeffentliche-stromerzeugung-2023-erneuerbare-energien-decken-erstmals-grossteildes-stromverbrauchs.html; https://www.energy-charts.info/downloads/ Stromerzeugung_2023.pdf

[6a] Fritz Vahrenholt: Die grosse Energiekrise und wie wir sie bewältigen können;

[6b] Vince Ebert: Lichtblick statt Blackout;

[6c] https://www.thlemv.de/wp-content/ uploads/2020/10/Windkraft_Pet.A-TH-15.10.2020_Dipl.-Phys.D.Böhme.pdf

[7] https://www.ingenieur.de/technik/fachbereiche/energie/das-ende-einer-aera- 60-jahre-atomkraft-in-deutschland/

[8] https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20220701IPR34365/ taxonomie-keine-einwande-gegen-einstufung-von-gas-und-atomkraft-als-nachhaltig

[9] https://www.oecd-nea.org/upload/docs/application/pdf/2021-10/ nuclear_energy_and_climate_change_-_cop26_flyer.pdf

[10a] https://www.umweltbundesamt.de/themen/eu-taxonomie-atomkraft-erdgas-sindnicht-nachhaltig;

[10b] https://www.wwf.de/themen-projekte/klimaschutz/ klimaschutz-europa/eu-taxonomie-atomkraft-und-erdgas-ploetzlich-nachhaltig

[11] https://www.energie-und-management.de/nachrichten/detail/atomenergie-fuersklima-203184

[12] EW-Szenarien 2040_V1.1: https://magentacloud.de/s/Azie8ak9KCL5NQ4

[13] https://www.dpg-physik.de/vereinigungen/fachuebergreifend/ak/ake/ publikationen/energiestudie.pdf

[14] https://www.wsj.com/articles/worlds-dumbest-energy-policy-11548807424

[15] https://ourworldindata.org/co2-and-greenhouse-gas-emissions

[16] https://www.bundesrechnungshof.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2024/ energiewende/kurzmeldung.html

[17] https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/saeugetiere/fledermaeuse/wissen/ 15018.html

[18] https://www.wind-energie.de/themen/zahlen-und-fakten/deutschland/

[19] https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Fachthemen/ElektrizitaetundGas/ Versorgungssicherheit/Netzengpassmanagement/Engpassmanagement/ Redispatch/start.html

[20] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2024/05/20240529- bundesregierung-stellt-weichen-fuer-den-beschleunigten-ausbau-von-wasserstoffprojekten. html

[21a] http://ageu-die-realisten.com/archives/6980;

[21b] http://www.ageu-dierealisten.com/archives/7273

[22] https://www.energy-charts.info/charts/import_export_map/chart.htm? l=de&c=DE&interval=year&exp=tcs

[23] https://www.cicero.de/wirtschaft/schweden-energiepolitik-deutschland-hansapowerbridge icid=search.product.onsitesearch [24] https://www.welt.de/wirtschaft/energie/plus252131952/Deutschen-Netz-AG-Der- Tennet-Deal-ist-gescheitert-und-damit-ein-grosser-Traum-der-Gruenen.html

[25] https://www.kettner-edelmetalle.de/news/ruckbau-von-windkraftanlagen-spaniensenergiepolitische-wende-13-02-2024

[26] https://app.electricitymaps.com/map

[27] https://www.iwd.de/artikel/deutsche-industrie-auf-talfahrt-594960/

[28] Hans-Werner Sinn: Das Grüne Paradoxon

[29] https://www.cicero.de/innenpolitik/robert-habeck-akten-atomkraftwerke-kernkraftwerkeklage-akw-laufzeit-atomausstieg

[30] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Publikationen/Energie/ monitoringbericht-expertenkommission-zum-energiewende-monitoring.pdf? __blob=publicationFile&v=6