„Bund zahlt 2,4 Milliarden an Energieversorger“

Prof. Dr.-Ing. Helmut Alt schrieb folgenden Leserbrief zu dem FAZ Bericht vom 5.3.2021:

Der FAZ-Bericht zu der „Einigung über Entschädigungen für den Atomausstieg“ wird sicher viele Halbwissende zur Sache zu Protesten anregen. Aufgrund der wirtschaftlichen Fakten war dies aber bereits mit dem überhasteten Ausstiegsbeschluss unserer Bundeskanzlerin im Jahr 2011 absehbar:

Den ersten Schlag gegen die deutschen Kernkraftwerke (KKW) führte im Dezember 2001 der Bundesumweltminister Jürgen Trittin. Mit seinem „Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung“ reduzierte er die Gesamtlaufzeit der KKW auf 30 bis 35 Volllastjahre (VLJ). (International waren damals bereits 40 bis 50 VLJ üblich.) Außerdem zwang Trittin die Energieversorgungsunternehmen (EVU) die kleineren KKW Stade und Obrigheim sofort stillzulegen.

Die EVU leisteten damals nur geringen Widerstand. Offensichtlich hofften sie auf eine zukünftige konservative Regierung, welche die Laufzeitlimitierung in ihrem Sinne wieder aufheben würde. Dies geschah tatsächlich im Herbst 2009, als die Christdemokraten und Liberalen eine schwarz-gelbe Koalitionsregierung bilden konnten. Trittins Laufzeitlimit wurde für die noch betriebenen 17 KKW auf 40 Jahre angehoben. In den USA wurden inzwischen atomrechtliche Genehmigungen für eine Lauf- zeit von 40 Jahren erteilt – mit einer zusätzlichen Option für weitere 20 Jahre. In Schweden hob der Reichstag im Juni 2010 ein früheres Gesetz zum Ausstieg aus der Kernenergie komplett auf.

Das änderte sich radikal, als es am 11. März 2011 in der japanischen Region Fukushima zu einem Monstererdbeben mit einem nachfolgenden Tsunami kam. An den vier dortigen zerstörten Kern- kraftwerken gab es zwar keine strahlenbedingte Todesfälle, aber die anschließende 14 m hohe Wasserwelle forderte 20.000 Tote. In Deutschland war unsere verehrte Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel, die frühere Befürworterin der Kernenergie zu einer strikten Gegnerin geworden. Als Bundeskanzlerin ordnete sie die sofortige Stilllegung der acht Kernkraftwerke Biblis A+B, Neckarwestheim I, Brunsbüttel, Isar I, Krümmel, Philippsburg 1 und Unterweser an. Die restlichen neun KKW sollten nach Stufenplan bis zum Jahr 2022 ebenfalls abgeschaltet werden. Am 30. Juli 2011 wurden die sogenannten Ausstiegsgesetze im Bundestag – mit nur wenigen Ge- genstimmen – beschlossen.

Es nützte wenig, dass die Experten der Reaktorsicherheitskommission (RSK) nach zwei- monatiger Beratung im April 2011 einen 115-seitigen Bericht zu den Vorgängen in Fukushima vorlegten. Darin kamen sie zu der Feststellung, dass ein ähnlich schwerer Unfall an deutschen Reaktoren nicht möglich sei. Zum einen, weil die geologischen Verhältnisse dies nicht zulassen würden, zum anderen, weil die deutschen KKW gegen Störfälle viel besser ausgelegt seien. Diese Prüfergebnisse wurden von den politischen Entscheidungsträgern und den Medien jedoch weitgehend ignoriert.

Stattdessen setzte die Bundeskanzlerin eine sogenannte „Ethikkommission“ ein, um ihren Ausstiegsplänen eine argumentative Basis zu verleihen. Dieser Kommission gehörten keine Fachleute der Kernkraftwerksbetreiber an, wohl aber hohe Würdenträger aus der katholischen und evangelischen Kirche. Der Münchener Kardinal Reinhard Marx gab den Ton vor, indem er schlicht die Kernkraft zum „Teufelszeug“ erklärte. Im Mai 2011 legte die Ethikkommission ihren Abschlussbericht vor und die Bundeskanzlerin konnte zufrieden sein. Darin stand zu lesen:

„Der schnellstmögliche Ausstieg aus der Kernenergie ist ethisch gut begründet; im besten Fall kann der Zeitraum für den Ausstieg sogar noch verkürzt werden.“

Die Energieerzeuger hätten es in der Hand gehabt, den politisch gewollten Ausstieg aus der Kernenergie zu verhindern, oder zumindest zu verzögern. Dafür hätte eine einfache Klage gegen
die Stilllegungsanordnung der Länder genügt. Juristisch wäre es den EVU dann gestattet gewesen, ihre Anlagen weiter zu betreiben. Um dies zu verhindern, hätten die Behörden ihre Stilllegungsverfügungen mit Sofortvollzug ausstatten müssen. Dafür hätten sie aber eine saubere sicherheitstechnische Begründung beilegen müssen, was sie nicht konnten und daher auch nicht erfolgte.

Angesichts des sachkundigen RSK-Gutachtens wäre das aber kaum gelungen. Nun, die EVU wagten in dieser turbulenten Zeit nicht die Konfrontation mit den Ministerien, vermutlich auch mit Rücksicht auf die kerntechnikfeindliche Stimmungslage in der Bevölkerung. Die Verfassungsrichter hatten gemäß unserer rechtsstaatlichen Rechtsordnung aber keine andere Wahl. Der Umsatzausfall der mit dem Moratorium spontan abgeschalteten acht Kernkraftwerksblöcke betrug rd. 24 Milliarden Euro. Demnach ist die vom Bundesverfassungsgericht zuerkannte Entschädigung nur 10 % dieser Summe.